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cc) Dem Unternehmen dienende feste Geschäftseinrichtung oder Anlage
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Nach § 12 Satz 1 HS 2 AO muss die feste Geschäftseinrichtung oder Anlage der Tätigkeit eines Unternehmens dienen. Es gilt der aus § 2 Abs. 1 UStG bekannte Unternehmensbegriff. Aus dem Gesetzeswortlaut ist nicht abzuleiten, dass es sich um ein gewerbliches Unternehmen handeln muss. Deshalb können auch selbstständig Tätige im Sinne des § 18 EStG oder Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft im Sinne des § 13 EStG Betriebsstätten begründen. Lediglich vermögensverwaltende Tätigkeiten werden nach hM vom Unternehmensbegriff nicht erfasst[181].
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Weiterhin wird aus der Formulierung in § 12 Satz 1 HS 2 AO deutlich, dass ein Unternehmen mehrere Betriebsstätten unterhalten kann. Bei der Gewerbesteuer mit Betriebsstätten in verschiedenen Gemeinden erlangt dies auch national eine besondere Bedeutung, der Grundsatz gilt aber auch international. Der Gegenbegriff zur Betriebsstätte ist das sog. Stammhaus. Mit diesem Begriff wird – obgleich in den Steuergesetzen nicht definiert – in der Terminologie des Internationalen Steuerrechts der Ort des Unternehmens bezeichnet, an dem die Oberleitung aller zum Unternehmen gehörenden Betriebsstätten angesiedelt ist (vgl Tz. 3.4.1 Betriebsstättenerlass). Damit ist der Ort der Geschäftsleitung im Sinne des § 10 AO gemeint, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass auch das Stammhaus eines Unternehmens eine Betriebsstätte – und sei es nur eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte – im Sinne des § 12 AO begründet.
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Eine Geschäftseinrichtung oder Anlage kann dem Unternehmen nur dienen, wenn der Unternehmer über die Einrichtung eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Dies erfordert eine Rechtsposition, die dem Unternehmer nicht ohne weiteres entzogen werden kann[182]. Auf welchem Rechtsgrund die Rechtsposition beruht, ist unerheblich. Neben dem Eigentum genügen dingliche und schuldrechtliche Nutzungsrechte, sofern wenigstens ein Recht zum unmittelbaren Besitz im Sinne des § 854 BGB eingeräumt wird. Die alleinige Verfügungsmöglichkeit ist keine zwingende Voraussetzung, ein Gleiches gilt für die Entgeltlichkeit der Nutzungseinräumung sowie die Frage, ob die Nutzungsmöglichkeit für Dritte erkennbar sein muss. Selbst eine von Dritten nur geduldete, rein tatsächliche Nutzung durch den Unternehmer ist ausreichend[183]. Neben der rechtlichen Verfügungsmacht muss der Unternehmer die Einrichtung jedoch auch rein faktisch für eine bestimmte Dauer zu unternehmerischen Zwecken verwenden[184]. Mit „unternehmerischen Zwecken“ sind ausschließlich eigenbetriebliche Zwecke gemeint. Eine bestimmte Art von Tätigkeiten, für die die Einrichtung verwendet werden müsste, schreibt das Gesetz nicht vor. Es genügt daher jede Art von kaufmännischen, technischen und sonstigen Tätigkeiten, die auch der Erfüllung von Nebenzwecken und Hilfsfunktionen dienen können[185].
Im Einzelnen: Die Meinungen über die notwendige Intensität der Verfügungsmacht gehen auseinander. Zu weit geht die Forderung, die genutzte Geschäftseinrichtung müsse im zivilrechtlichen Eigentum des Unternehmens stehen, weil dieses Postulat keine Stütze im Wortlaut der Norm findet. Miete, Pacht oder andere Nutzungsüberlassungsverhältnisse sind also ausreichend.[186] Umgekehrt kann trotz eines bestehenden Eigentumsverhältnisses die Verfügungsmacht, dh die tatsächliche physische Nutzung fehlen, wenn ein Dritter (etwa aufgrund eines Miet- oder Pachtverhältnisses[187] oder rein tatsächlich) über die jeweilige Geschäftseinrichtung verfügt. Vermietete oder verpachtete Betriebsgebäude und sonstige Einrichtungen können daher allenfalls bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale als Betriebsstätte des Mieters oder Pächters, nicht aber als Betriebsstätte des Vermieters oder Verpächters angesehen werden.[188] Eine Betriebsstätte kann aber auch in der Betriebsstätte eines Dritten begründet werden[189] (zB durch die Gesellschafter einer Gesellschaft in der Betriebsstätte der nämlichen Gesellschaft), wobei jedoch stets eine eigene Verfügungsmacht über die Einrichtung oder Anlage und nachhaltige eigene betriebliche Handlungen erforderlich sind. Diese Voraussetzungen sind insb zu prüfen, wenn unabhängige Vertreter, dh selbstständige Gewerbetreibende, für ein Unternehmen tätig werden. Der Sitz des ständigen Vertreters wird nur in Ausnahmefällen eine Betriebsstätte des vertretenen Steuerpflichtigen begründen.[190]
Die Verfügungsmacht muss nicht rechtlich fundiert sein, insb muss sie nicht auf einer vertraglichen Grundlage beruhen.[191] Eine tatsächliche Nutzung ist ausreichend.[192] Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Nutzung durch den Rechtsinhaber hingenommen wird („faktisches Innehaben“)[193] bzw wenn dem Nutzenden die Rechtsposition ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres entzogen oder diese nicht ohne weiteres verändert werden kann.[194] Es ist insgesamt festzustellen, dass die Tz 4.1 ff MK, die durch die Revision des MK im Jahre 2003 hinzugefügt wurden, die Anforderungen an die Betriebsstättenbegründung im Einklang mit international in der Praxis zu beobachtenden Tendenzen erheblich reduziert haben. Die faktische Nutzung einer Einrichtung im anderen Staat und damit letztlich die bloße Anwesenheit an einem Leistungsort im Rahmen der vertraglich geschuldeten[195] Leistungserbringung kann danach eine Betriebsstätte begründen, was bereits auf nichts anderes hinausläuft als auf erste Ansätze einer Dienstleistungsbetriebsstätte (dazu Rn 689). In diese Richtung schien auch der BFH zu tendieren, als er zunächst einen zur ständigen Nutzung überlassenen Raum als Betriebsstätte ausreichen ließ.[196] In jüngerer Zeit ist der BFH jedoch wieder zu dem Grundsatz zurückgekehrt, dass das bloße Tätigwerden in den Räumen eines Vertragspartners auch dann nicht zur Begründung der Verfügungsmacht ausreicht, wenn die Tätigkeit über mehrere Jahre hinweg erbracht wird. Neben der zeitlichen Komponente müssten „zusätzliche Umstände auf eine örtliche Verfestigung der Tätigkeit schließen lassen“.[197] Eine tatsächliche Änderung der Rechtsprechung ist damit jedoch nach Auffassung des erkennenden Senats selbst nicht verbunden (mE sehr fraglich). Die jüngere BFH-Rechtsprechung zeigt lediglich einmal mehr deutlich, dass es bei der Frage einer Betriebsstättenbegründung sehr auf die Umstände des Einzelfalls ankommt und dass sich jede schematische Betrachtungsweise verbietet.
Eine alleinige Verfügungsmacht an der Geschäftseinrichtung ist keine Voraussetzung,[198] so dass eine Geschäftseinrichtung von mehreren Unternehmen genutzt werden kann. Eine bloße Mitnutzung von Räumlichkeiten aber begründet keine Betriebsstätte, wenn sich die Verfügungsmacht nicht aus anderen Umständen ergibt.[199] Auch eine gelegentliche Nutzung von Räumlichkeiten oder bloße Zutrittsrechte begründen idR nicht die erforderliche Verfügungsgewalt,[200] vgl insbesondere die Vorbehalte der Bundesrepublik Deutschland in Tz 45.7 MK zu Art 5. Zudem wird es dann auch an der notwendigen örtlichen und zeitlichen Verfestigung fehlen.
In der Praxis ist hinsichtlich des Merkmals der Verfügungsmacht va dann Vorsicht geboten, wenn ein Unternehmen Mitarbeiter in das Ausland entsendet bzw wenn der Geschäftsführer eines Unternehmens in einem anderen Staat als dem Ansässigkeitsstaat des Unternehmens seinen Wohnsitz nimmt. Nach der Rechtsprechung liegt eine inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens auch dann vor, wenn der Betrieb in Räumen ausgeübt wird, die ein leitender Angestellter des Unternehmens unter seinem Namen gemietet und dem Unternehmen zur Verfügung gestellt hat.[201] Zudem kann die Wohnung eines Geschäftsführers (oder ggf eines leitenden Angestellten) zur Annahme einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte führen.[202] Generell ist festzustellen, dass die Anforderungen an die Verfügungsmacht von der Rechtsprechung sukzessive gelockert worden sind. Es bedarf keiner „örtlich konkretisierten Verfügungsmacht“[203] mehr, sondern entscheidend ist vielmehr, dass eine „gewisse Verwurzelung“ des Unternehmers mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit gegeben ist.[204] Von der Haltung der OECD ist die bundesdeutsche Sicht damit noch weit entfernt. Berühmt sind das sog. Anstreicherbeispiel in Tz 4.5 MK zu Art. 5 OECD-MA sowie das Beispiel in Tz 5.4 MK zu Art. 5 OECD-MA. Hiernach soll ein Anstreicher, der zwei Jahre lang wöchentlich drei Tage in einem großen Bürokomplex seines Hauptkunden seine Tätigkeit verrichtet, bereits durch seine bloße Anwesenheit und das Erbringen der wichtigsten Funktion seiner Geschäftstätigkeit (das Anstreichen) eine Betriebsstätte begründen. Ein Gleiches (Tz 5.4 MK) gilt danach für einen Berater, der in verschiedenen Zweigstellen einer Bank an verschiedenen Orten im Rahmen eines einzigen Projekts in der Personalschulung arbeitet. Gegen diese Weiterungen des Betriebsstättenbegriffs hat die Bundesrepublik Deutschland mE zu Recht einen Vorbehalt eingelegt (vgl Tz 45.7 MK zu Art. 5 OECD-MA).
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Eine Besonderheit gilt bei originär gewerblich tätigen oder gewerblich geprägten Personengesellschaften bzw Mitunternehmerschaften, die im Internationalen Steuerrecht von besonderer Relevanz ist: Jede in- und ausländische Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft wird für steuerliche Zwecke zugleich als anteilige Betriebsstätte der Mitunternehmer angesehen[205]. Eine Personengesellschaft mit Betriebsstätten in Frankreich und Großbritannien wird daher steuerlich so behandelt, als ob die Gesellschafter anteilig (dh gemäß ihrer Beteiligung) für steuerliche Zwecke Betriebsstätten in Frankreich und Großbritannien unterhalten. Bei gewerblichen Personengesellschaften gilt damit das sog. Betriebsstättenprinzip (vgl Tz. 1.1.5.1 Betriebsstättenerlass), und zwar unabhängig davon, ob der Gesellschaft oder den einzelnen Gesellschaftern die Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung oder Anlage eingeräumt worden ist. Nur bei der Gewerbesteuer gilt dieses Prinzip – bezogen auf die Gesellschafterebene – nicht, weil nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG die Personengesellschaft Steuerschuldner der Gewerbesteuer ist.