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2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Übermaßverbot)

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Der Eingriffsakt muss verhältnismäßig sein.[47] Handelt es sich um einen Exekutivakt (z.B. belastende Verfügung der Kommunalaufsichtsbehörde) so müssen sowohl die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage als auch der Einzelakt (Gesetzesanwendung) verhältnismäßig sein. Erfolgt der Eingriff unmittelbar durch den Gesetzgeber, so muss das Gesetz selbst verhältnismäßig sein.[48]

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Die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Eingriffsgesetzes erfolgt nach dem bekannten Muster des Verfassungsrechts:[49]

Verhältnismäßigkeit des Eingriffsgesetzes

I.Legitimer Gesetzeszweck = Der Gesetzgeber muss ein im Gemeininteresse liegendes Ziel verfolgen.

II.Objektive Eignung zur Förderung des gesetzgeberischen Zweckes = Das eingesetzte Mittel ist zur Erreichung des Zwecks geeignet, wenn mit seiner Hilfe das angestrebte Ziel erreicht oder die Zielerreichung gefördert werden kann.

III.Erforderlichkeit = Das Mittel ist erforderlich, wenn es kein anderes Mittel gibt, welches unter geringeren Belastungen der Kommune zur Zielerreichung ebenso geeignet ist (Grundsatz des mildesten Mittels).

IV.Angemessenheit = Die für die Kommune eingetretenen Nachteile müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem bezweckten Vorteil stehen (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, Herbeiführung einer praktischen Konkordanz zwischen dem konkret in Rede stehenden Gemeininteresse und der kommunalen Selbstverwaltung).

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Bereits bei der Bestimmung des legitimen Zwecks ist vom Gesetzgeber zu berücksichtigen, dass die verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilungsregelungen der Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 78 Abs. 1 LVerf NRW einen grundsätzlichen Vorrang der Gemeinden für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft vorsehen. Demgemäß ist die grundsätzlich weite Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers insoweit eingeschränkt, als der Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie nicht lediglich aus rein „organisatorischen“ oder „verwaltungsvereinfachenden“ Zwecken motiviert sein darf.[50] Aufgrund der grundsätzlich gegebenen gemeindlichen Kompetenz für örtliche Angelegenheiten müssen eingreifende Gesetze vielmehr „mehr“ bezwecken. Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung rechtfertigen z.B. die gesetzliche Hochzonung einer vormals gemeindlichen Aufgabe auf einen Gemeindeversand erst, wenn ein Belassen der Aufgabe bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde.[51] Ein hinreichender Gemeinwohlbelang dürfte jedenfalls vorliegen, wenn auf anderem Wege die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre.[52]

50

Bei der Prüfung der Eignung reicht eine grundsätzliche Förderung des gesetzgeberischen Zweckes aus. Das Ausmaß der Förderung und die Effektivität des Mittels sind für die Frage der grundsätzlichen Eignung nicht entscheidend.

51

Die Erforderlichkeitsprüfung ist nichts anderes als ein Gebot zum Interventionsminimum. Zu berücksichtigen ist dabei immer, dass nur solche milderen Mittel herangezogen werden können, die auch gleich geeignet sind.

52

Im Rahmen der Angemessenheit sind die widerstreitenden Interessen möglichst präzise zu benennen und unter Berücksichtigung der Wertigkeit der kommunalen Selbstverwaltung und der Schwere des Eingriffs gegenüber der Wertigkeit des bezweckten Vorteils miteinander abzuwägen.

Beispiel[53]

Wenn der Landesgesetzgeber das Einsammeln und Befördern des Abfalls als vormals gemeindliche Aufgabe durch Änderung des Abfallgesetzes zur Kreisaufgabe bestimmt, so kann ein legitimer Gesetzeszweck in der verbesserten Aufgabenerledigung durch Konzentration der Abfalleinsammlung mit der bereits bei den Kreisen befindlichen Abfallbeseitigung gesehen werden. Die Aufgabenverlagerung wäre auch geeignet, geradezu Bedingung für die gewollte Aufgabenkonzentration. Ein gleich geeignetes milderes Mittel ist nicht erkennbar. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist eine Abwägung zwischen der vom Gesetzgeber angenommenen verbesserten Aufgabenerfüllung gegenüber dem nicht unwesentlichen Eingriff in die gemeindliche Selbstverwaltung durch Entzug einer örtlichen Angelegenheit vorzunehmen. Berücksichtigung könnte dabei beispielsweise eine gesetzlich ermöglichte Rückübertragungsmöglichkeit finden, aufgrund derer einzelne Kreise aus besonderen Gründen die Abfalleinsammlung doch ihren kreisangehörigen Gemeinden belassen können.

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Die Grenze der Angemessenheit ist jedenfalls überschritten, wenn der Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie verletzt wird.[54] Die Wesensgehaltsgarantie ist damit zum einen äußerste Grenze der Angemessenheit, aber zum anderen als eigenständiger Prüfungspunkt auch ein selbstständiger Rechtsverstoß, der eigenständig zu würdigen ist.

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