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II. (Bundes-)Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG
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Die Kommunalverfassungsbeschwerde einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes vor dem BVerfG gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 91 BVerfGG hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. Hierfür kann folgendes Aufbauschema verwandt werden:
Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 91 BVerfGG
I. Zulässigkeit
1.Beteiligtenfähigkeit, § 91 S. 1 BVerfGG
Gemeinden und Gemeindeverbände
2.Beschwerdegegenstand, § 91 S. 1 BVerfGG
Gesetze des Bundes oder der Länder: formelle Gesetze sowie Rechtsverordnungen und Satzungen (Landesrecht NRW ist damit zwar tauglicher Beschwerdegegenstand, kann aber wegen Subsidiarität – siehe I. 4 – nicht überprüft werden!)
3.Beschwerdebefugnis, § 91 S. 1 BVerfGG
a)Behauptung, dass das Gesetz die Vorschrift des Art. 28 Abs. 2 GG verletzt
b)Möglichkeit einer solchen Verletzung (darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein)
c)Beschwerdeführer muss unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen sein
4.Subsidiarität, § 91 S. 2 BVerfGG
Ausschluss der (Bundes-)Kommunalverfassungsbeschwerde, wenn für Landesrecht Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts gegeben ist (in NRW ist dies in Gestalt der Landeskommunalverfassungsbeschwerde der Fall, deshalb keine Bundeskommunalverfassungsbeschwerde gegen Landesrecht NRW)
5.Form und Frist, §§ 23, 92, 93 Abs. 3 BVerfGG
II. Begründetheit
Die Kommunalverfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die zur Überprüfung gestellte Vorschrift Art. 28 Abs. 2 GG verletzt.
Beispiel[6] (Fall zum prozessualen Vorgehen einer Kommune gegen Landesrecht)
Der Landtag NRW beschließt in formell einwandfreier Weise ein Änderungsgesetz zur Gemeindeordnung. Durch dieses wird § 5 Abs. 2 GO eingefügt, nachdem in Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern hauptamtlich tätige Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen sind. Das Änderungsgesetz enthält gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten durch das Land. Die kreisfreie Stadt S (200 000 Einwohner) fühlt sich dadurch in ihrer Personal-, Finanz- und Organisationshoheit beeinträchtigt und fragt nach den Erfolgsaussichten von Prozessrechtsbehelfen.
In Betracht kommt die Erhebung einer Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof NRW (VerfGH) gemäß Art. 75 Nr. 4 LVerf NRW, §§ 12 Nr. 8, 52 VGHG NRW.
Die Stadt S ist hierfür als Gemeinde gemäß § 52 Abs. 1 VGHG NRW beteiligtenfähig. Das Änderungsgesetz zur Gemeindeordnung ist ein tauglicher Beschwerdegegenstand, da es sich um eine landesrechtliche Gesetzesvorschrift handelt.
Die Stadt S müsste beschwerdebefugt sein. Hierfür ist erforderlich, dass eine Verletzung ihres gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts aus Art. 78 LVerf NRW möglich erscheint. Hier ist eine Verletzung ihrer – aus der Garantie der eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung abzuleitenden – Organisationshoheit möglich. Diese beinhaltet das Recht der Gemeinden, für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten festzulegen sowie ihren Handlungsapparat selbst zu organisieren. Durch den eingefügten § 5 Abs. 2 GO wird Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern vorgegeben, eine hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte mit entsprechenden Kompetenzen zu installieren. Da die Stadt S mehr als 10 000 Einwohner hat, erscheint eine entsprechende Verletzung ihrer Organisationshoheit möglich. Dagegen dürfte vorliegend eine Verletzung der Finanzhoheit ausgeschlossen sein, da eine Kostendeckung für die Übertragung der Aufgabe für die Gemeinden im Sinne des Art. 78 Abs. 3 S. 1 LVerf NRW vorgesehen ist. Auch die Verletzung der Personalhoheit – verstanden als Befugnis, das Gemeindepersonal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen – scheidet aus, da die konkrete personelle Entscheidung innerhalb des gesetzlich vorgegebenen organisatorischen Rahmens nicht beschränkt wird.
Die Stadt S ist schließlich durch das Gesetz auch unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen. Denn sie ist Adressatin des Gesetzes, das seit seinem Inkrafttreten Regelungswirkung entfaltet und einer Vollziehung durch untergesetzliche Rechtsnomen oder Verwaltungsakte nicht bedarf.
Die Kommunalverfassungsbeschwerde müsste schließlich in schriftlicher Form mit Begründung rechtzeitig, nämlich vor Ablauf der Jahresfrist des § 52 Abs. 2 VGHG NRW erhoben werden.
Die damit zulässige Kommunalverfassungsbeschwerde ist auch begründet, wenn das angegriffene Änderungsgesetz das Recht der Stadt S auf Selbstverwaltung aus Art. 78 Abs. 1 und Abs. 2 LVerf NRW verletzt.
Hierfür müsste zunächst der Schutzbereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts eröffnet sein. Es umfasst grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sowie die Befugnis zur grundsätzlich eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich. Ein Teilaspekt des Selbstverwaltungsrechts ist die Organisationshoheit. Sie beinhaltet die Befugnis der Gemeinden, für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten festzulegen. Die Pflicht zur Bestellung hauptamtlicher Gleichstellungsbeauftragter ist eine staatliche Organisationsvorgabe in Bezug auf die Erfüllung der auch den Gemeinden obliegenden Aufgabe, die tatsächliche Gleichberechtigung von Frau und Mann zu fördern (vgl. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG). Sie berührt damit den Bereich der eigenverantwortlichen Organisationsgestaltung.
Es handelt sich um einen hoheitlichen unmittelbaren Eingriff des Landesgesetzgebers in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht. Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern werden durch das Gesetz unmittelbar verpflichtet, hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen.
Der Eingriff könnte jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Das Recht auf Selbstverwaltung gilt nicht uneingeschränkt, sondern ist nur im Rahmen der Gesetze garantiert (Art. 78 Abs. 2 LVerf NRW). Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gewicht der Gewährleistung sind allerdings der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers Grenzen gesetzt. Er darf den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts nicht antasten. Außerhalb des Kernbereichs hat er zudem insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Die Vorgabe, eine hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte zu installieren, müsste zunächst verhältnismäßig sein.
Sie dient einem legitimen Zweck, nämlich der Verwirklichung des Verfassungsgebotes der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG). Die Regelung müsste auch geeignet sein, diesen Zweck zu fördern. Die Prognose, dass in Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern die Wahrnehmung der Gleichstellungstätigkeit in einem Hauptamt mit einem Zugewinn an Professionalität verbunden ist, ist nicht offenkundig verfehlt und geeignet, dem Gleichstellungszweck zu fördern.
Die gesetzliche Verpflichtung müsste zudem erforderlich sein, d.h. es dürfte kein gleich geeignetes schonenderes Mittel geben, den Zweck zu erfüllen. Ein solches ist vorliegend nicht zu erkennen. Insbesondere würde eine ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte typischerweise nicht den gleichen Zugewinn an Professionalität gewährleisten können, da sie nicht Mitglied der Kommunalverwaltung sein könnte. Auch eine Ansiedlung der Gleichstellungsaufgaben an den Personalrat stellt kein gleich geeignetes Mittel dar, da dieser die Vertretung der Bediensteten verfolgt. Die Gleichstellungsaufgabe in der Gemeinde geht jedoch darüber hinaus und wirkt auch nach außen.
Auch unter Berücksichtigung des hohen Gewichts der gemeindlichen Organisationshoheit erscheint die gesetzliche Regelung schließlich auch angemessen. Die Regelung belässt den Gemeinden einen hinreichenden organisatorischen Spielraum bei der Wahrnehmung und Ausgestaltung des ihnen obliegenden Gleichstellungsauftrages. Sie sind dadurch nicht gehindert, für den Bereich der Gleichstellung eigene organisatorische Maßnahmen zu treffen und auf die Besonderheiten der örtlichen Verhältnisse zu reagieren. Darüber hinaus bleibt es Sache der Gemeinden, die Gleichstellungsbeauftragte in die Arbeit der verschiedenen zur Entscheidung berufenen Stellen der Gemeindeverwaltung näher einzubinden. Hinzu kommt, dass der Gleichstellungsbeauftragten keine Entscheidungskompetenzen zustehen, sondern die Organisation der Entscheidungszuständigkeiten in Gleichstellungsangelegenheiten weiterhin den Gemeinden überlassen bleibt.
Schließlich bleibt auch der Kernbereich der gemeindlichen Organisationshoheit unangetastet, da die Pflicht zur Bestellung der Gleichstellungsbeauftragten nur einen bestimmten Sachbereich betrifft und lediglich in sich begrenzte Organisationsmaßnahmen regelt.
Da das Änderungsgesetz mithin verhältnismäßig ist und nicht den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts der Stadt S antastet, ist die Kommunalverfassungsbeschwerde im Ergebnis nicht begründet und kann daher keinen Erfolg haben.