Читать книгу Patente wozu? und wofür sie erlangen? - Frank P. Goebel - Страница 20
Welche Rolle spielt der technische „Fachmann“ im Patentrecht?
Оглавление(97) Der „Fachmann“ hat im Patentrecht eine besondere Bedeutung. Nämlich dann, wenn es um das Verständnis (um die Auslegung) einer technikbezogenen Erklärung oder Darstellung oder Zeichnung oder Kodierung geht.
(98) Juristisch gesehen richtet sich der Erklärungsinhalt (der Aussagegehalt) einer rechtserheblichen Äußerung nach dem Verständnis (dem Erklärungshorizont) der Beteiligten (in erster Linie des Erklärenden). Im Patentrecht wird der Erklärungsinhalt (der Offenbarungsgehalt) einer technischen Offenbarung (Erklärung, Darstellung, Zeichnung, Kodierung) danach bestimmt, was der technische Fachmann daraus entnimmt. Einfaches Beispiel: H20 heißt für den Fachmann Wasser. Das weiß nicht unbedingt jeder technische Laie; der Offenbarungsgehalt dieser Buchstaben-/Zahlenfolge eröffnet sich aber dem Fachmann; und zwar dem durchschnittlichen Fachmann (Durchschnittsfachmann) . Hierbei ist dreierlei zu beachten:
(99) Erstens gibt es nicht den allzuständigen technischen Fachmann. Der im Patentrecht gemeinte Fachmann ist vielmehr derjenige, der im konkreten Fall für die dort behandelte technische Problematik technisch im allgemeinen zuständig wäre, also z.B. bei H20 ein Chemiker, bei bit und byte ein Informatiker usw. Je nach dem technischen Niveau des im konkreten Fall behandelten Problems kann es sich z.B. um einen Professor oder einen Facharbeiter oder einen einfachen Praktiker usw. handeln. Damit wird zugleich deutlich: der im jeweiligen Fall beim Patentamt oder Gericht maßgebliche “Durchschnittsfachmann“ ist nicht der Patentprüfer oder der gerichtliche Sachverständige.
(100) Zweitens ist bei der Bewertung der Erfindung zu berücksichtigen, dass der technische Fachmann der technischen Offenbarung unterschiedliche Inhalte entnehmen kann, je nachdem ob er sie nur flüchtig und oberflächlich zur Kenntnis nimmt oder ob er sie aufmerksam liest oder sogar intensiv studiert oder sich darüber hinaus akribisch nachforschend und vergleichend in sie vertieft. Der im Patentrecht gemeinte Fachmann ist nun derjenige, der als Fachmann durchschnittlicher Qualifikation eine Offenbarung aufmerksam aufnimmt; alles das (und nur das), was er dabei ohne weiteres als technischen Gehalt entnehmen kann, ist patentrechtlich erheblich.
(101) Drittens ist der Fachmann des Patentrechts kein „zeitloser“ Fachmann; er ist der Fachmann, wie er am Anmeldetag/Prioritätstag des jeweils vorliegenden Patents existierte. Wird also über die Patenterteilung oder später über das Schicksal des Patents (beim Patentamt oder vor Gericht) entschieden, muss auf das fachmännische Wissen und Können des jeweiligen Zeitrangs abgestellt werden.
(102) Dieser Maßstab des „Durchschnittsfachmanns“ ist für die verschiedenen Stellen im Patentrecht, in dem technische Inhalte wichtig werden, von Bedeutung, insbesondere
für den letztlich gültigen Inhalt der Patentanmeldung
für erklärte Beschränkungen und Erweiterungen der Anmeldung und des Patents
für den Aussagegehalt der Schriften, Dokumente und sonstigen Quellen im Stand der Technik
für die Frage, ob die Ausführungsform eines Dritten das Patent verletzt.