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Zur Klärung der Begriffe Stadt und Land

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Mit dem Begriff der Stadt ist in unserem Sprachgebrauch der Begriff des Landes aufs Engste verknüpft: »In Stadt und Land« ist eine sehr gebräuchliche Redewendung. Aber sie trifft die Wirklichkeit nicht mehr. Das Begriffspaar Stadt und Land entstammt der Agrargesellschaft, in der ein vergleichsweise geringer Anteil der Gesamtbevölkerung in Städten wohnte – in meist ummauerten, deutlich begrenzten Siedlungen, die nur einen verschwindend geringen Teil der Erdoberfläche einnahmen. Sie waren gleichsam Inseln in der weiten Landschaft, die durch Land- und Forstwirtschaft geprägt war, soweit sie nicht noch im Naturzustand verharrte. In ihr gab es dörfliche Siedlungen kleinerer oder größerer Art, die fast ausschließlich von Bauern, Waldarbeitern, Fischern und einzelnen Handwerkern bewohnt waren. Den unterschiedlichen Siedlungsformen entsprachen verschiedenartige Lebensweisen auch lange nachdem die strenge ständische Trennung von Bürgern und Bauern sich aufgelöst hatte.

Man braucht sich nur dieses Bild zu vergegenwärtigen, um die fundamentalen Unterschiede gegenüber der heutigen Siedlungsstruktur zu erkennen: Die Städte sind heute weit ausgeufert, erstrecken sich ohne scharfe Grenzen in die Landschaft, gehen auch häufig in dem Erscheinungsbild ihrer Baugebiete ineinander über, so dass die Verwaltungsgrenzen keine Entsprechung mehr in einer Trennung der Siedlungselemente besitzen. So ist es verständlich, dass der Begriff der Stadt sich nicht mehr recht zur Charakterisierung der heutigen Siedlungsstruktur eignet. Das Raumordnungsgesetz von 1965 kommt deshalb ohne ihn aus, indem es sich auf die Kategorien des Verdichtungsraums und des ländlichen Raums beschränkt. Der Verdichtungsraum besteht in aller Regel aus einer oder mehreren zentralen Städten und den sie umgebenden »verstädterten« kleineren Gemeinden; mit diesem Begriff ist hier gemeint, dass die Formen der Bebauung weitgehend »städtisch« oder zumindest »vorstädtisch« geprägt sind.

Aber auch der Komplementärbegriff des Dorfes und der »ländlichen« Bauweise trifft die Situation heute nicht mehr recht. Die Fortschritte in der landwirtschaftlichen Produktivität haben die Zahl der Landwirte radikal verringert; zugleich ist die Landwirtschaft vom einst bestimmenden Faktor der Agrargesellschaft zunehmend zu einem Bestandteil der arbeitsteiligen Industriegesellschaft geworden. Damit hat auch das Dorf seinen überkommenen Charakter eingebüßt und so ist es verständlich, dass in beschreibend-ana-lytischen Texten eher von ländlichen Sied-lungen oder – genauer – von Siedlungen im ländlichen Raum gesprochen wird. Geht man nun von den Problemen aus, die sich in der räumlichen Entwicklung und damit auch in der räumlichen Planung solcher verschiedenartiger Bereiche stellen, so scheint noch eine weitere Untergliederung der beiden großen Kategorien notwendig. So zeichnen sich im Verdichtungsraum deutlich verschiedene Größenordnungen ab; die Planungsprobleme und die technische Ausstattung einer Halbmillionenstadt sind in aller Regel komplexer und differenzierter als die eines kleinen Verdichtungsraums nahe der unteren Schwelle von 150 000 Einwohnern. Aber auch der ländliche Raum kann nicht als Einheit betrachtet werden; nicht nur, dass er nach dieser Definition Städte von 150 000 Einwohnern abwärts enthält, die als zentrale Orte ihres Raums häufig einen ausgeprägt eigenständigen städtischen Charakter haben, auch die eigentlichen ländlichen Zonen unterscheiden sich in ihrem Siedlungscharakter und ihren Veränderungstendenzen sehr deutlich danach, ob sie im Ausstrahlungsbereich eines Verdichtungsraums liegen oder nicht. Im ersten Fall führt der Zuzug von Städtern häufig zu Wachstum und räumlicher Ausdehnung, so dass es leicht zur Konkurrenz zwischen verschiedenen Nutzungsansprüchen kommen kann, die eine sorgfältige Planung erfordern. In den ballungsfernen Gebieten fehlt dagegen meist jeder Siedlungsdruck; eher besteht die Gefahr der Entleerung.


Abb. 1.4: Dörfliche Idylle – allerdings durch Entwicklungen in der landwirtschaftlichen Produktion wie auch in den Beziehungen zur Stadt weitgehenden Veränderungen unterworfen. Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin


Abb. 1.5: Verdichtungsräume stehen ländlichen Räumen gegenüber und sind durch eine hohe Dichte von Einwohnern und Arbeitsplätzen gekennzeichnet. Quelle: BBSR Bonn 2016

So wird die heutige Siedlungslandschaft nicht mehr wie früher durch den ausgeprägten Gegensatz von Stadt und Land bestimmt; vielmehr kann man ein Stadt-Land-Kontinuum beobachten, in dem eine Fülle verschiedenartiger Siedlungsformen – vom hoch verdichteten Kern der Großstädte über ausgedehnte Bereiche spezifischer Nutzungen wie Wohn- und Gewerbegebiete bis zu den Randzonen der Verdichtungsräume mit einem eher zufällig wirkenden Gemisch städtischer und ländlicher Nutzungsflächen – nebeneinander anzutreffen ist. Sieverts hat diese Entwicklung analysiert und ihrem Ergebnis mit dem Begriff der »Zwischenstadt« einen eingängigen Namen gegeben (Sieverts 1999).


Abb. 1.6: Verstädterte Landschaft – »Zwischenstadt« nach dem von Thomas Sieverts gewählten Buchtitel. Quelle: Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig 2000

Den Gegensatz von Stadt und Land aufzuheben, ist ein altes Thema gesellschaftlicher Wunschvorstellungen, das sich in der Utopie des Thomas Morus ebenso findet wie bei den utopischen Sozialisten des frühen neunzehnten Jahrhunderts, bei William Morris ebenso wie bei seinem Landsmann Ebenezer Howard, der in der von ihm propagierten »Gartenstadt« dieses Ideal verwirklicht sah (Howard 1898). Uns Heutigen mag es eher Sorge bereiten, in welchem Maße diese früher die Umwelt prägende Polarität verloren gegangen und durch eine großflächige, kaum akzentuierte Siedlungslandschaft ersetzt worden ist.

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