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Stadtentwicklung im Industriezeitalter

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Geht man nun der Geschichte des »modernen Städtebaues« – des Städtebaues im Industriezeitalter – nach, so wird man verschiedene Aspekte im Zusammenhang und in ihren Wechselwirkungen darstellen müssen: das Verständnis der Aufgabe räumlicher Planung und – dadurch mitbedingt – die Entwicklung des Planungsrechts und der Planungsmethodik, die technischfunktionale Entwicklung des Städtebaues und den Wandel der Gestaltungsprinzipien. Zugleich gilt es zu differenzieren zwischen der Geschichte der städtebaulichen Leitvorstellungen und derjenigen der realen Stadtentwicklung, die solchen Vorstellungen meist nur bedingt folgte.

Der italienische Architekturhistoriker Benevolo setzt den Beginn des modernen Städtebaues für die Zeit zwischen 1830 und 1850 an und nennt als Ursprungsländer England und Frankreich, in denen die Industrialisierung am weitesten fortgeschritten war (Benevolo 1964, S. 107). Für Deutschland hat Treitschke dem Jahre 1840 die Bedeutung einer Schwelle zuerkannt: »Erst um das Jahr 1840 begannen mit den Fabriken und den Börsen, den Eisenbahnen und den Zeitungen auch die Klassenkämpfe, die unstete Hast und das wagelustige Selbstgefühl der modernen Volkswirtschaft in das deutsche Leben einzudringen [. . .]« (v. Treitschke 1919, S. 682). Einprägsamer als Zäsur mag uns heute das Jahr 1848 erscheinen mit der Märzrevolution, der Nationalversammlung in der Paulskirche, dem Kommunistischen Manifest – und erst ein Jahrzehnt später findet sich die erste deutschsprachige Veröffentlichung über zeitgenössische städtebauliche Probleme, ausgelöst durch den Wettbewerb um die Umgestaltung des Wiener Glacis zu einem großzügigen Baugelände (Eitelberger v. Edelberg 1858, S. 5 u. 33).

Aber jede Datenangabe hat nur den Charakter einer Näherung; der Wandlungsprozess erwächst ja aus einer großen Anzahl von einzelnen Entwicklungslinien, deren Wirkung zwar letztlich auf ihrer Bündelung beruht, die aber mit zeitlichen Unterschieden auftreten. Nach der Jahrhundertmitte jedenfalls setzt in Deutschland jenes sprunghafte Stadtwachstum ein, das die demographische Entwicklung der Verstädterung kennzeichnet. Geburtenüberschuss und Wanderungsgewinn lassen die Einwohnerzahlen der Städte anschwellen, und die Bautätigkeit überschreitet alle bisher bekannten Maßstäbe.

Dabei glaubte man durchaus an das Erwachsen einer sinnvollen Ordnung aus dem freien Spiel der Kräfte und entschloss sich nur dort zu obrigkeitlichen Eingriffen, wo dessen Ergebnisse deutlich hinter dem Möglichen und Erstrebenswerten zurückblieben. Das war zunächst im Bereich der Hygiene, der Feuersicherheit und der Wasserversorgung der Fall, und so haben wir es anfangs im Städtebau mit den Ingenieurproblemen zu tun, welche die Stadtentwicklung maßgeblich prägten. Dabei ging, wie erwähnt, das verbindende Element der alten Stadtbilder, die einheitliche Maßstäblichkeit der Bauten, infolge neuer funktionaler Anforderungen und neuer technischer Möglichkeiten verloren. Andererseits finden wir doch an einzelnen Stellen großzügige Gesamtanlagen, die jedenfalls entfernt an den landesfürstlichen Städtebau des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts erinnern. Sie sind Ausnahmen in der Flut von Stadterweiterungen des neunzehnten Jahrhunderts, die in der Regel nach einem vielleicht nicht streng geometrischen, aber doch schematischen Grundmuster entwickelt wurden. Hauptelement war der Baublock mit den ihn rings umgebenden Straßen, die beiderseits von mehrgeschossigen Häusern mit mehr oder minder reichem Schmuck aus den Stilelementen früherer Zeiten gesäumt waren. Der Schmuck pflegte sich auf die Schauseite zu beschränken; die meisten der Häuser in den Großstädten waren Mietskasernen mit Rückgebäuden und Hinterhöfen, die nichts mehr von der anspruchsvollen Fassade ahnen ließen.

Hier, im Bereich des Wohnungswesens, erhob sich zuerst scharfe Kritik: »Die Wohnungsnot der kleinen Leute in großen Städten« – so der Titel einer Schrift von Victor Aimé Huber (1857, ausführlich zitiert bei Schumacher 1941, S. 304 ff.) – war eines der zentralen sozialpolitischen Themen, und tatsächlich sind maßgebliche Impulse für Veränderungen im Städtebau aus diesen Bemühungen um die Reform des Wohnungswesens hervorgegangen. Das trifft noch mehr für England zu, wo der »Public Health Act« von 1848 mit seinen wohnhygienischen Vorschriften als erster Anstoß zum neuzeitlichen Städtebau gilt.

So wurden in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Schattenseiten des stürmischen Stadtwachstums – zunehmende bauliche Verdichtung und hygienische Missstände – immer deutlicher; Choleraepidemien in mehreren Städten verliehen dem Ruf nach Abhilfe Nachdruck. In Frankreich gab es seit 1850 ein Gesetz, das Enteignung und Abbruch in stark benachteiligten Gebieten ermöglichte; aus dem französischen Begriff des »assainissement« wurde zunächst die »Assanierung« als Bezeichnung für solche Abhilfemaßnahmen hergeleitet. Nach der Jahrhundertwende setzte sich der Begriff »Sanierung« durch. Als Gegenstand solcher Sanierungsmaßnahmen galten zunächst in erster Linie die vorindustriellen Bauten ohne sanitäre Einrichtungen und ohne Wasserversorgung; der Abbruch solcher Gebäude, wenn auch gelegentlich von wehmütigen Betrachtungen begleitet, wurde in der Regel als notwendiger Tribut an den Fortschritt gefördert oder zumindest hingenommen.

Zur gleichen Zeit entwickelten sich, wenn auch zunächst langsam und spärlich, Ansätze einer städtebaulichen Fachliteratur teils mit technisch-positivistischen, teils mit kulturkritischen Zügen. 1858 knüpfte der Wiener Kunsthistoriker Eitelberger von Edelberg Betrachtungen an den Ringstraßenwettbewerb. Er erahnte die neuen Aufgaben des Städtebaues, sah die gesellschaftliche Funktion der Kunst, erkannte aber zugleich auch das Unvermögen der Zeit, zu einem eigenen stilistischen Ausdruck zu kommen: »In den Fällen, wo die Kunst sich an Stadtbauten und Stadtanlagen anknüpft, da ist sie ein Kind der Not, eine Frucht der Bedürftigkeit des menschlichen Geschlechtes, und vermag sich nicht all den Folgen zu entziehen und darf sich ihnen auch nicht entziehen. Da soll sie zeigen, dass sie den Zwecken der Gesellschaft dient, da muss sie in jedem ihrer Werke auch diesen Zweck an ihrer Stirne tragen [. . .]« (1858, S. 5). Hier handelt es sich um ein deutliches Bekenntnis zum Vorrang der Funktion im Städtebau, das allerdings in einem eigentümlichen Gegensatz zu Eitelbergers an anderer Stelle bekundeter Rechtfertigung des Eklektizismus in der Architektur steht.

Um die gleiche Zeit, also in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, vollziehen sich nicht nur in Wien, sondern auch in anderen europäischen Großstädten umfassende Veränderungen. So ist Paris um diese Zeit im vollständigen Umbruch; die vom Präfekten Haussmann dekretierten neuen Straßendurchbrüche, die den Verkehr in der Stadt erleichtern, aber zugleich auch revolutionäre Umtriebe besser unter Kontrolle halten sollten, sind vielleicht das spektakulärste städtebauliche Ereignis der Zeit.

In diesen Jahren entstehen auch zwei umfangreiche großstädtische Erweiterungspläne, die im Urteil der Nachwelt eher skeptisch beurteilt wurden: der sogenannte Hobrecht-Plan für Berlin und der großzügige Rasterplan von Cerdà für Barcelona. 1870 kommentiert der Berliner Statistiker Ernst Bruch den acht Jahre zuvor fertiggestellten Bebauungsplan mit den Worten: »Mit diesem Bebauungsplan und seinen zahl- und geistlosen Häuserquadraten soll die bauliche Zukunft Berlins identisch sein? – Sie wäre danach wahrlich keine erfreuliche« (1870, S. 71 ff.).

Das mag man als erstes Zeichen einer Abkehr von den gängigen Städtebauprinzipien des mittleren neunzehnten Jahrhunderts werten; ein zweites ist die Schrift der Gräfin Dohna unter dem Decknamen »Arminius« von 1874 »Die Großstädte in ihrer Wohnungsnot und die Grundlagen einer durchgreifenden Abhilfe«, in der, auf sozialethische Argumente gegründet, zukunftsweisende städtebauliche Vorschläge gemacht werden. Im gleichen Jahr tagt erstmals der Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine, um sich mit dem Problem der Stadterweiterungen auseinanderzusetzen. Die abschließende Resolution wird von Reinhard Baumeister, Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe, vorbereitet, der bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs hinein eine der maßgeblichen Figuren des deutschen Städtebaus bleibt.


Abb. 2.3: Die in der Berliner Bauordnung von 1853 geforderte Mindestgröße von Hinterhöfen war nicht durch hygienische, sondern durch brandschutztechnische Erwägungen bestimmt. Eine Feuerspritze musste im Hof wenden können. Der Schwarzplan verdeutlicht die städtebauliche Stuktur. Auf Grund von Teilabrissen, Sanierungsmaßnahmen und Begrünungen entspricht die heutige Situation nicht mehr dem im Schwarzplan von 1940 dargestellten Zustand.

Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin. Foto: Ph. Meuser/D. Dubrau

1876 erscheint aus seiner Feder ein erstes Kompendium des Städtebaues, dessen Schwerpunkt auf technischem und baurechtlichem Gebiet liegt; soziale Aspekte werden nur gestreift, gestalterische Fragen nicht behandelt (Baumeister 1876). Das entspricht auch dem gewählten Titel »Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Beziehung«; wenn Camillo Sitte sein 1889 veröffentlichtes Buch »Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen« nennt, so ist das sicher als demonstrativer Hinweis auf eine Lücke gemeint, die Baumeister – von Sitte als »erster und bisher einziger Theoretiker des deutschen Städtebaus« bezeichnet – in der Aufzählung der für den Städtebau maßgeblichen Aspekte gelassen hatte. Sittes Buch, weithin mit Enthusiasmus begrüßt, löste eine allgemeine Hinwendung zu Gestaltungsfragen aus und trug seinem Verfasser den Ehrennamen des »Wiederbegründers der Stadtbaukunst« ein. In Sittes Argumentation überlagert sich auf eigentümliche Weise die Forderung nach einer Neubestimmung der Gestaltungsprinzipien auf der Grundlage der historischen, vor allem der mittelalterlichen Stadtbaukunst mit einer Interpretation des Künstlerischen im Sinne einer dekorativen Beigabe, die dem Verständnis der späteren Zeit nicht mehr entsprach. Diese Zwiespältigkeit hat zweifellos zu der unterschiedlichen Bewertung Sittes in der Folgezeit beigetragen. Als weiterer bedeutender Autor dieses Zeitabschnitts ist Joseph Stübben zu nennen, der 1890 Baumeisters enzyklopädischen Ansatz aufnahm, aber auch Gestaltungsfragen einbezog. Indessen ist es bemerkenswert, dass in diesen drei grundlegenden und für das späte neunzehnte Jahrhundert kennzeichnenden Werken die Sanierung von Baugebieten noch nicht ins Blickfeld kommt. Erst in der 1907 veröffentlichten zweiten Auflage seines Buches nimmt sich Stübben dieses Themas an: »Es gibt aber auch zahlreiche Baulichkeiten, Winkelgassen und Ortsteile, gesundheitswidrig und verkehrswidrig, welche nicht bloß keine Schonung verdienen, sondern dem alsbaldigen Abbruch zu überweisen sind, um Licht, Luft und Verkehr aufgrund neuer Straßen- und Blockpläne den Bewohnern zuzuführen« (1907, S. 237).


Abb. 2.4: Auf Anweisung des Pariser Präfekten Baron Georges-Eugène Haussmann wurde ein Netz breiter Boulevards in die Stadtstruktur geschlagen, um Raum für den Verkehr – insbesondere zwischen den am Rand der Kernstadt gelegenen Bahnhöfen – zu schaffen, aber auch um Truppenbewegungen gegen etwaige Aufstände zu erleichtern. Quelle: Schüle, K.: Paris: Vordergründe – Hintergründe – Abgründe, 1997, S. 31


Abb. 2.5: Zwei Stadterweiterungspläne großen Umfanges: für Barcelona von Ildefonso Cerdà (1859) und für Berlin von James Hobrecht (1858–62).

Oben: Quelle: Lichtenberger, E.: Die Stadt, 2002, S. 171

Unten: Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin


Abb. 2.6: Nach der verheerenden Cholera-Epidemie in einem Teil der Hamburger Altstadt 1892 wurden die verbliebenen Bewohner umgesiedelt und die gesamte historisch gewachsene, dichte Bebauung (oberer Plan) abgerissen. Das untere Bild zeigt den 1914 erstellten Lageplan für die Neubebauung des Sanierungsgebietes, die ab 1923 realisiert wurde. Quelle: Architekten- und IngenieurVerein zu Hamburg (Hg.): Hamburg und seine Bauten 1918–1929, 1929, S. 18

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