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Neue Entwicklungen um die Jahrhundertwende

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Im letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts werden nun deutliche Anzeichen einer umfassenderen Betrachtung des Städtebaues sichtbar. In München und Wien werden Wettbewerbe zur Erlangung von Gesamtplänen für die Stadterweiterung ausgeschrieben, wobei auch auf notwendige Änderungen im bebauten Stadtgebiet hingewiesen wird. Mit Theodor Fritsch (1896) und Ebenezer Howard (1898) treten erstmals Autoren auf, die Vorschläge für die künftige Stadtentwicklung machen – für die Nutzungsstruktur, für die Grundsätze zur Steuerung des Stadtwachstums, ja auch für die Grundbesitzverhältnisse in der Stadt. Das erheblich einflussreichere dieser Werke ist die Schrift von Howard, die zunächst unter dem Titel »To-Morrow. A Peaceful Path to Real Reform« und erst in der zweiten Auflage unter dem weitaus bekannter gewordenen Titel »Garden Cities of To-Morrow« erschien, als »Gartenstädte in Sicht« ins Deutsche übersetzt (1907).

Dabei ist der Begriff der »Gartenstadt« im Grunde irreführend; es geht vielmehr um den Grundgedanken, die zunehmende Verstädterung nicht durch die Vergrößerung der bestehenden Städte, sondern durch die Gründung neuer, in ihrer Einwohnerzahl auf Dauer begrenzter »ländlicher« Städte aufzufangen. Ziel ist also die planmäßige Entwicklung neuer Städte mit allen erforderlichen Arbeitsplätzen und zentralen Einrichtungen, groß genug, um ein eigenständiges städtisches Leben zu ermöglichen, aber auch klein genug, um überschaubar und in allen Teilen für den Fußgänger erreichbar zu sein. Ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes ist auch die Regelung, den gesamten Grund und Boden der Stadt auf Dauer im genossenschaftlichen Eigentum zu erhalten und lediglich Erbbaurechte auszugeben.


Abb. 2.7: Diagramm der Gartenstadt nach Howard (1898)

Unmittelbare Folge war die Gründung zweier derartiger Städte in der Nähe Londons – Letchworth 1904 und Welwyn 1919 –, letztlich geht aber auch der britische »New Towns Act« von 1946 und damit die umfassende Politik der Stadtneugründungen in Großbritannien darauf zurück. In Deutschland dagegen blieb es – trotz einer »Deutschen Gartenstadtgesellschaft« – bei weitaus bescheideneren Ansätzen; was bei uns anspruchsvoll »Gartenstadt« genannt wurde, waren in der Regel vorstädtische Siedlungen, ohne zugeordnete Arbeitsstätten, von Selbstverwaltung ganz zu schweigen. Eine gewisse Sonderstellung nahm die Gartenstadt Hellerau bei Dresden insofern ein, als sie auf eine renommierte Arbeitsstätte der Moderne – die Deutschen Werkstätten für Handwerkskultur – bezogen war und besondere kulturelle Akzente setzte. Die neuen Impulse zur Stadtentwicklung, die das zwanzigste Jahrhundert mit sich brachte, fanden 1903 einen Niederschlag in der ersten deutschen Städteausstellung in Dresden, die die Einrichtungen des großstädtischen Lebens darstellen sollte – »einen Bereich [. . .], der in dieser Zusammenfassung noch nicht zur Darstellung gebracht worden ist«, wie es in der dazu herausgegebenen Schrift heißt. Zugleich sollte sie auf die Frage antworten: »Was sind die Großstädte? [. . .] Welche Bedeutung haben sie materiell und ideell für die Gegenwart und Zukunft der Nationen? Wie müssen sie eingerichtet sein, um ihre Aufgabe zu erfüllen?« (Bücher 1903, S. 4).

In dieser Schrift herrscht der optimistische Grundton vor; die Großstädte gelten als »Bahnbrecher auf dem Wege einer aufwärts strebenden, wahrhaft sozialen Kulturentwicklung«. Nur Georg Simmels Beitrag über »die Großstädte und das Geistesleben« – wohl die erste soziologische Analyse des Städters in Deutschland – spiegelt eine skeptischere Auffassung wider. Im Übrigen schlägt sich in diesem Buch das wachsende Interesse der Wissenschaft an der Stadt und ihren Phänomenen nieder, das sich an einer Reihe von Veröffentlichungen etwa seit den neunziger Jahren nachweisen lässt.

Aber es ist nicht nur die Wissenschaft, die sich der Stadt zuwendet – auch in der Dichtung findet die Auseinandersetzung mit diesem Element des modernen Lebens ihren Ausdruck. Bekannt ist Rilkes Anklage der großen Städte – »Verlorene und Aufgelöste« – im »Stundenbuch«; eindringlicher noch und hartnäckiger beschwört Georg Heym in seinen Gedichten das Bild der unheimlichen, durch Düsternis, Feuer und Blut gekennzeichneten Stadt.

Die Jahre zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg markieren nun einen deutlichen Umbruch im Städtebau. Kritik an der Stadtentwicklung des neunzehnten Jahrhunderts nimmt überhand; aus den verschiedenen Quellen des städtischen Ingenieurwesens, der Baupolizei, der Wohnungsreform und der Architektur formt sich ein neuer Berufsstand mit dem Bewusstsein einer umfassenden Ordnungsaufgabe. Die ersten berufsständischen Vereinigungen entstehen, die ersten Städtebauzeitschriften werden gegründet, die ersten Hochschullehrstühle für Städtebau eingerichtet. Der Begriff der »Planung« taucht zuerst – als »planning« – im englischen, dann auch im deutschen Sprachgebrauch auf, und im Vorwort zur deutschen Übersetzung eines englischen Städtebaubuches heißt es: »Städtebau ist seit einigen Jahren bei uns zur Disziplin geworden. Sozialwissenschaftler, Architekten, Kunstästhetiker und Ingenieure tragen die Resultate ihrer Wissenschaft und praktischen Erfahrungen zur gemeinsamen Lehre vom Städtebau zusammen« (McLean in Unwin 1910).


Abb. 2.8: Howards Gedanke, die wachsenden Großstädte durch Gründung neuer Mittelstädte (»Gartenstädte«) in ihrem Umfeld zu entlasten, führte zu den Stadtgründungen Letchworth (1904) und Welwyn (1919). Hier der Plan von Welwyn.

Quelle: Hofrichter, H.: Stadtbaugeschichte – Von der Antike bis zur Neuzeit, 1982, S. 199

Zur gleichen Zeit veränderten sich auch die Vorstellungen von dem, was Stadtplanung leisten solle. Bis dahin war es offenbar darum gegangen, das Stadtgefüge an Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen, die weder vorhersehbar noch steuerbar erschienen. Nun aber – angesichts der ersten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse über das Wesen der Stadt, die sich mit Namen wie Georg Simmel (1922), Max Weber (1922), Werner Sombart (1907) oder Charles Horton Cooley (1909) verbinden – schien sich die Möglichkeit zu bieten, zumindest einen Teil der künftigen Entwicklungen zu prognostizieren und damit einen räumlichen Rahmen zu entwerfen, in den sich solche evolutionären Kräfte ohne allzu viele Reibungen einfügen ließen: »Koordination« wurde zum Schlagwort dieser Zeit.


Abb. 2.9a: Stadtdiagramm Heiligenthal (1921).

Quelle: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Grundriß der Stadtplanung, 1983, S. 21

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