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1 Die Standortbestimmung – Stadtplanung als Beitrag zur Ordnung des Zusammenlebens Die Stadt im Lebensraum des Menschen
ОглавлениеDer Lebensraum des Menschen baut sich in gestuften Größenordnungen auf. Elementar und unmittelbar erfassbar sind die Wohnung und das Haus, das sie umschließt – der Bereich individueller Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeit. Zur täglichen Erfahrung schon des Kindes gehört die nähere Umge- bung des Hauses: die Landschaft um den Einzelhof, das Dorf, das engere Stadtquartier – ein bald vertraut gewordener Bereich.
Den erwachsenen Stadtbewohner führt der Weg zur Arbeit, der Gang zur Behörde oder zum Einkauf, das Streben nach Erholung weiter in die Stadt hinein – oder aus ihr heraus. Was er dabei sieht, erlebt er vielleicht nur als Reihung beziehungsloser Eindrücke, doch kann es ihm auch Einsichten in den Zusammenhang des Stadtganzen erschließen.
Mag man hier schon an die Grenzen der Überschaubarkeit des erlebten Raumes stoßen, so pflegt diese in der weiteren Umgebung ganz verloren zu gehen. Allenfalls wird sie aus der erinnerten Zusammenschau vieler verschiedener Erfahrungen gleichsam zusammengesetzt oder aus dem abstrakten Kartenbild gewonnen.
In allen diesen Bereichen bedürfen wir der Orientierung, versuchen wir deshalb Ordnungsprinzipien zu erkennen. Das ist gewiss am einfachsten im Haus. Es ist, so weiß man, nach einem bestimmten Plan gebaut, vielleicht inzwischen auch nach einem anderen Plan verändert worden; jedenfalls bestand es zuerst in der Vorstellung und dann auf dem Reißbrett des Baumeisters, ehe die Handwerker an die Arbeit gehen konnten.
Den Gegenpol bildet die Landschaft. Sie ist in ihren großen Linien von Jahrtausenden natürlicher Entwicklung geprägt, in deren letzten von Rodung, Pflanzung, Siedlung des Menschen überlagert, aber ihre Formung erscheint im Wesentlichen anonym, nicht einer bestimmten gestaltenden Hand zuzuschreiben.
Zwischen beiden Polen steht die Stadt: Werk vieler Geister und Hände, über Jahrhunderte hin einige ihrer Formelemente be- wahrend, andere schnell wechselnd – aber doch immer wieder aufs Neue von den Zeitgenossen als Ganzes gesehen, überplant, neuen Ordnungsprinzipien unterworfen. Insofern ist sie also Niederschlag vieler unter- schiedlicher Bemühungen über lange Zeiträume, bald als bauliches Chaos angeklagt, bald als Gesamtkunstwerk gepriesen.
Aber jenseits aller Werturteile ist festzuhalten, dass die Stadt, soweit wir ihre Entwicklung geschichtlich zurückverfolgen können, immer auf die Einwirkung von Ordnungsvorstellungen angewiesen war und niemals allein den individuellen Entscheidungen der Stadtbewohner überlassen blieb.
Abb. 1.1: Das Wohnen in der Stadt – als Grundfunktion und elementarer Baustein der Stadtstruktur steht es im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach individuellem Lebensraum und dessen notwendiger Einordnung in das vielfältige Gefüge städtischer Nutzungen. Foto: N. Heiss
Die Dichte der Bewohner, die – zumindest relative – Knappheit des verfügbaren Raumes zwangen zu Ordnungsmaßnahmen: zur Vorgabe eines Straßennetzes, zur Festlegung von Grundstücksbreiten, zur Begrenzung von Gebäudehöhen. Zuzeiten waren die Bindungen locker, zu anderen Zeiten strenger; ganz konnte man auf solche Vorgaben aber nie verzichten.
Abb. 1.2: Die Kulturlandschaft wurde seit Jahr- tausenden vom Menschen geprägt. Foto: D. Dubrau
Insofern ist die in der Literatur verbreitete Unterscheidung zwischen »geplanten« und »gewachsenen« Städten unscharf. Auch die »gewachsene« Stadt ist in aller Regel aus Planungsschritten entstanden, wenn auch aus vielen verschiedenen, zeitlich getrennten und sachlich meist unkoordinierten. Die »aus einem Guss« geplante Stadt ist selten, und auch solche ursprüngliche Einheitlichkeit wurde stets bald durch spätere Entwicklungsphasen überlagert, die anderen Ordnungsgrundsätzen folgten.
Außerhalb der Stadt jedoch, im größeren Raum, gab es solche Probleme der räumlichen Beengtheit bis ins vorige Jahrhundert hinein kaum. Hier ging es vielmehr um eine andere Dimension von Knappheit, die nicht den Raum selbst, sondern die Mittel zu seiner Entwicklung und Gestaltung betraf. Arbeitskraft, Geld, technische Mittel zur Besiedlung und Erschließung, zur Urbarmachung und zum Bau von Verkehrswegen waren immer beschränkt, und deshalb bedurfte die Wahl geeigneter Siedlungsplätze und günstiger Trassen für die Verkehrswege auch einer vorausschauenden und abwägenden Planung. Indessen ist im vergangenen Jahrhundert vor allem in den dichter besiedelten Ländern Europas zunehmend deutlich geworden, dass auch in diesem weiteren Raum konkurrierende Nutzungsansprüche aufeinanderstoßen und eine planerische Einflussnahme ähnlicher Art erfordern, wie sie in der Stadt seit langem besteht.
Seit dem neunzehnten Jahrhundert war die Planung auf die sinnvolle Steuerung des Wachstums gerichtet; im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts rückten jedoch die mit der Ausweitung der Bebauung verknüpften Probleme in den Vordergrund und ließen Grenzen des Wachstums erkennen. Zugleich zeichnete sich in Deutschland, wie auch in anderen europäischen Ländern, eine Schrumpfung der Bevölkerung ab, aus der sich ganz neue Ansprüche an Planung und Lenkung der Stadtentwicklung ergeben.
Abb. 1.3: Das städtebauliche Gefüge der Stadt, in Jahrhunderten gewachsen und immer wieder durch neue Ordnungsvorstellungen überformt. Foto: Ph. Meuser/D. Dubrau