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2 Die Herkunft – zur geschichtlichen Entwicklung von Städtebau und Stadtplanung Die frühe Stadt

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In dem vorangegangenen Kapitel ist schon angeklungen, dass viele Wesenszüge der heutigen Stadtplanung nur aus ihrer Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten heraus verstanden werden können. Deshalb ist die Kenntnis dieser Entwicklungsgeschichte keineswegs nur für den Historiker von Interesse, sondern sie stellt eine unerlässliche Voraussetzung für sinnvolles Planen in der Gegenwart dar. Aus diesem Grunde wird im nachfolgenden Kapitel ein kurzer zusammenfassender Überblick über die Entwicklung der Städte und der Stadtplanung gegeben, wobei der Schwerpunkt der Darstellung auf der Zeit nach 1850, also auf der Stadtentwicklung in der Industriegesellschaft, liegen wird. Diese Zusammenfassung macht es jedoch nicht überflüssig, auch in die folgenden Kapitel orientierende Rückblicke auf die Entwicklungsgeschichte des jeweiligen Teilaspektes einzubeziehen, wobei gewisse Wiederholungen in Kauf genommen werden.

Über die Geschichte der Stadtentwicklung und des Städtebaues liegt heute eine sehr umfangreiche und vielfältig differenzierte Literatur vor, die gerade in den letzten Jahrzehnten erheblichen Zuwachs erhalten hat. Eine Auswahl ist im Rahmen des Literaturverzeichnisses gesondert zusammengefasst.

Ursprung und frühe Entwicklung der Stadt liegen in einem Dämmerlicht, das durch geschichtliche Zeugnisse nur spärlich erhellt wird. Indessen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Stadt mehrere Wurzeln hat. Die eine ist der Markt, die Stätte des Austausches von – zunächst wohl landwirtschaftlichen – Gütern durch die Produzenten selbst. Zu den Bauern kommen dann bald auch Handwerker im engeren Sinne, die sich nicht mehr der unmittelbaren Nahrungsproduktion aus dem Boden widmen, eben weil sie hier Kunden finden, und schließlich die reinen Vermittler, die Händler. So finden sich hier die ersten Ansätze einer arbeitsteiligen Gesellschaft – gleichsam in der Nussschale die drei großen Wirtschaftssektoren jeder heutigen Analyse:

der primäre, auf die unmittelbare Gewinnung von Nahrung und Bodenschätzen gerichtete,

der sekundäre, durch die Produktion von Gütern gekennzeichnete,

der tertiäre, mit Dienstleistungen wie Verwaltung, Verteilung und Vermittlung beschäftigte.

Weitere Wurzeln der Stadtbildung sind sicher die Zwingburg und das Heiligtum – also der Sitz der weltlichen und der religiösen Macht, die häufig auch zusammenfielen. Auch hier ist es die Arbeitsteiligkeit, die zur Stadtbildung führt: Erst der Herrscher, der Tribute oder Opfergaben fordern kann, besitzt damit die Hilfsquellen zur Ernährung seiner Gefolgsleute, die sich wiederum hierarchisch gliedern. Solche Hierarchien erlauben dann eine Differenzierung der Tätigkeiten, die der kulturellen Entwicklung zugute kommt. Hier liegen wohl auch die Ursprünge der Schrift, der Statistik und der Landvermessung.

Durch Ausgrabungen wissen wir, dass sich neben den eher zufällig erscheinenden, unregelmäßigen Gebäudeanordnungen schon früh in verschiedenen Kulturen das Ordnungsprinzip des rechten Winkels findet, das dem Menschen offenbar immanent ist. Für die griechische Welt wird die »Erfindung« des konsequent rechtwinkligen Straßenrasters dem Hippodamos von Milet zugeschrieben; in Rom war es das Grundmodell des Castrums mit seinem Achsenkreuz von Cardo und Decumanus, das der Rechtwinkligkeit zugrunde lag. Eine maßgebliche Rolle in der physischen Struktur der antiken Städte spielte der Platz der Volksversammlung, die Agora in der griechischen, das Forum in der römischen Kultur.


Abb. 2.1: Die Entwicklung des konsequent rechteckigen Straßenrasters wird Hippodamus von Milet zugeschrieben. Das Grundmuster eines römischen Castrums bildet das Achsenkreuz zweier rechtwinklig zueinander verlaufenden Straßen, Cardo und Decumanus genannt.

Ganz links: Quelle: Lichtenberger, E.: Die Stadt, 2002, S. 15

Links: Quelle: Hofrichter, H.: Stadtbaugeschichte – Von der Antike bis zu Neuzeit, 1982, S. 38

Die geschichtliche Entwicklung zeigt in den Städten sehr unterschiedliche Herrschaftsstrukturen; die freiheitlich organisierte Stadt der griechischen Antike war ebenso eine Ausnahmeerscheinung wie die selbständigen Stadtstaaten und »freien Städte« des europäischen Mittelalters. Indessen sind sie es gewesen, die durch Überlieferung oder unmittelbares Fortwirken maßgeblich zu dem beigetragen haben, was in der Neuzeit die Stadt als Lebensform geprägt hat. Mit dem Wachstum der Städte, den gesellschaftlichen Veränderungen und der Entwicklung der Bautechnik wandelt sich auch die Gestalt der Stadt; eine gleichsam klassische Darstellung hat Karl Gruber mit den Zeichnungen von vier Entwicklungsphasen einer Stadt geliefert (Abb. 2.2). Besonders auffällig dabei ist der Einfluss der Kriegstechnik; er führt von der einfachen Stadtmauer über die verstärkten Befestigungsanlagen der Renaissance bis zu den weiträumigen Erdbefestigungen des Barock, die zu kaum überwindbaren Hindernissen für die räumliche Ausdehnung der Städte wurden.

Eine maßgebliche Rolle in der frühen Stadtentwicklung spielte das labile Gleichgewicht der rivalisierenden sozialen Institutionen wie des Patriziats und der Zünfte im Mittelalter; in ihm hat man die Voraussetzung für die Entwicklung der Demokratie in Europa gesehen. Auch das Entstehen einer städtischen Öffentlichkeit im heutigen Sinne, wie sie sich im achtzehnten Jahrhundert ausformt, gehört in diesen Zusammenhang. Um diese Zeit allerdings war die Bedeutung der Städte schon hinter die der großen Flächenstaaten zurückgefallen, und so überdauern in Deutschland den Reichsdeputationshauptschluss nur sechs selbständige Städte, von denen Augsburg und Nürnberg wenige Jahre später in Bayern aufgehen, während Frankfurt 1866 und Lübeck 1937 an Preußen fallen.

Aber auch in anderer Hinsicht schafft das neunzehnte Jahrhundert neue Voraussetzungen für die Städte: Fortschritte in der Landwirtschaft und hygienische Verbesserungen erlauben ein bisher nicht gekanntes Bevölkerungswachstum, das im Wesentlichen den Städten zugute kommt. Die beginnende Industrialisierung schafft dort die Arbeitsmöglichkeiten, die der ländliche Raum seiner wachsenden Bevölkerung nicht mehr zu bieten vermag. Damit ändert sich zugleich die Siedlungsstruktur: War bis dahin die Stadt noch eine Ausnahmeerscheinung, gleichsam die Krone des agrarischen Wirtschafts- und Siedlungsgefüges, so wird sie nun zum Normalstandort der Industriegesellschaft. Zugleich wandelt sie sich von der Bürgerzur Arbeiterstadt; die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte wird zur Regel, und über die aufgelassenen, weil durch die Kriegstechnik überholten Befestigungsanlagen weitet sich die Stadt in die Landschaft hinein aus.


Abb. 2.2: Vier Entwicklungsphasen der historischen Stadt nach Gruber: eine deutsche Stadt um 1250, um 1350, um 1550 und um 1750. Quelle: Gruber, K.: Die Gestalt der deutschen Stadt, 1952, S. 160–173

Dabei verwandelt sich auch das Bild der Stadt: Die vorindustrielle Stadt ist – in Europa wie in anderen Kulturen – sehr deutlich geprägt durch den Maßstabsunterschied zwischen den Alltagsbauten für den einzelnen Bürger und den Gebäuden der Gemeinschaft – ein Blick auf Rothenburg oder Nördlingen zeigt das noch heute. Kirche, Rathaus und Kornhaus heben sich aus dem Maßstab der Bürgerhäuser heraus; in Bischofsstädten oder weltlichen Residenzen kommen noch die Schlösser und Paläste der Herrscher als den Maßstab prägende Elemente hinzu. Man könnte es fast symbolisch nennen, dass Schinkel, Preußens oberster Baubeamter, 1826 bei der Wiedergabe seiner in England gewonnenen Reiseeindrücke von den Fabriken in Manchester schreibt, die größten unter ihnen seien nur mit dem königlichen Schloss in Berlin vergleichbar – ein eindrucksvoller Beleg für den Einbruch eines neuen Maßstabselementes in die Stadt (Frhr. v. Wolzogen 1863, S. 161 f.). Wohl gibt es Städte, in denen ein solcher Einbruch weitgehend vermieden wurde – aber um den Preis ihres Bedeutungsverlustes, meist verknüpft mit der Einbuße an Verkehrsgunst durch mangelhafte Einbindung in das neu entstehende Eisenbahnnetz. Auf diese Weise haben Rothenburg, Dinkelsbühl und Nördlingen ihren vorindustriellen Charakter bewahrt und damit touristische Anziehungskraft gewonnen; der einst bedeutende Handelsweg von Augsburg nach Würzburg wurde zur »Romantischen Straße«.

Veränderungen im Baubestand der Städte vollzogen sich meist schrittweise als Abbrüche und Neubauten auf einzelnen Parzellen, aber in manchen Fällen führten Zerstörungen Kriegsfolgen oder Brandkatastrophen – zu umfassenderen Neuplanungen. Als Beispiele seien die Neuordnung des Stadtgrundrisses von Göppingen nach dem Brand von 1782 und die Neuplanung der Hamburger Innenstadt genannt, die 1842 gleichfalls durch einen Großbrand ausgelöst wurde.

Daneben aber standen immer wieder Maßnahmen, die auf eine Umoder Neugestaltung bebauter Gebiete gerichtet waren, wobei die Motive ganz unterschiedlich sein konnten so etwa der Wunsch, Platz für repräsentative Gebäude zu schaffen, wie beim Bau der Uffizien in Florenz im sechzehnten Jahrhundert, oder das Streben nach besseren Verkehrsverbindungen und leichterer militärischer Kontrolle, das der Umgestaltung von Paris um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zu Grunde lag.

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