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Zwischen den Weltkriegen

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Diese neue Sicht entsprach der Grundstimmung der zwanziger Jahre, geprägt durch einhellige Ablehnung der Stadtentwicklung des späten neunzehnten Jahrhunderts mit ihren hohen Baudichten, ihren Mietskasernen, ihrem Freiflächenmangel. Weniger einmütig war man darin, wie die künftige Stadt aussehen sollte; mit einer gewissen Vergröberung und Vereinfachung lassen sich zwei Hauptblickrichtungen erkennen – eine »retrospektive«, welche die Industrialisierung als Unglück betrachtete und sie zurückzudrängen suchte, und eine »progressive«, die von einer Weiterführung und Intensivierung der industriellen Entwicklung eine Befreiung des Menschen von Schwerarbeit, eine Eröffnung neuer Horizonte erwartete.

Vor diesem allgemeinen Hintergrund waren nun die frühen zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland durch eine Aufbruchsatmosphäre gekennzeichnet, die wesentliche Impulse aus der Hoffnung auf eine neue demokratische Gesellschaft empfing. Sie beflügelte auch die neuen systematischen Ansätze in der städtebaulichen Planung, vor allem das Bemühen um rationale Modelle für die städtische Nutzungsstruktur, also für die räumliche Disposition von Baugebieten und Freiflächen, von Zentren und anderen Hauptnutzungsbereichen und von den Hauptlinien der technischen Infrastruktur wie Straßen und Bahnen. Die Kritik richtet sich gegen das bisherige konzentrische Wachstum der Städte in der Art von Jahresringen; stattdessen werden verschiedene Modelle entwickelt, um solches Wachstum in geordnete Bahnen zu lenken, deren radikalste die Bandstadt ist, also die entlang eines Verkehrsbandes nur in zwei Richtungen expandierende Stadt. Ein weiteres Ziel dieser Modelle neben der funktionalen Gliederung ist die Auflockerung und Dezentralisierung der »versteinerten Stadt« des späten neunzehnten Jahrhunderts. In den allzu hohen Wohndichten sah man die Wurzel vieler sozialer Missstände und den Keim für eine künftige Verwahrlosung solcher Baugebiete. Grundsätzlicher noch als Argument für die Dezentralisierung war die verbreitete Auffassung von der Anonymität und Entwurzelung des Großstadtmenschen, die das Ziel in einer Aufgliederung der Stadt und in einer damit ermöglichten neuen Beheimatung des Städters, seiner Verwurzelung in einer neuen Art von Stadtteilgemeinschaft sah (Abb. 2.7 und 2.8).


Abb. 2.9b: Bandstadtdiagramm Miljutin (1930). 1 Vorherrschende Winde, 2 Wolga, 3 Park, 4 Wohnzone, 5 Verkehrszone, 6 Grünzone, 7 Industriezone, 8 Eisenbahn. Quelle: Sozgorod, 1930

Der zweite Ausgangspunkt für ein Neudurchdenken der Stadt ist ihr kleinster Bestandteil, die Wohnung. Die Verbesserung der Wohnbedingungen war unter den Stichworten »Wohnungsfrage« und »Wohnungsreform« schon im neunzehnten Jahrhundert immer wieder diskutiert worden, aber erst um die Jahrhundertwende finden wir die ersten spürbaren Beiträge zu solchen Verbesserungen in Gestalt von stadtplanerischen Konzepten und darauf gegründeten Vorschriften: zunächst eine Gliederung in Nutzungszonen, mit denen einerseits eine Abstufung (oder Abstaffelung – daher die Bezeichnung »Staffelbauordnung« in Süddeutschland) der Baudichten vom Zentrum nach außen, andererseits eine weitergehende räumliche Trennung der Nutzungsarten erreicht werden sollte, als sie vorher möglich war. Ein weiteres rechtliches Mittel zur Reduzierung der Dichte waren rückwärtige Baulinien, mit denen das Blockinnere vor einer Überbauung mit Hintergebäuden geschützt werden sollte. Aber der Grundgedanke war unverändert der des neunzehnten Jahrhunderts: den Entwurf der Wohnung in das Muster der Straßenzüge und Baulinien einzuordnen, das durch die Planung vorgegeben war. Das änderte sich in den zwanziger Jahren: Die gründliche Beschäftigung mit dem Wohnungsgrundriss, seiner Orientierung, seiner funktionalen Gliederung führte zu neuen Modellen für Gebäudestellung und Straßenführung – zur Anordnung paralleler »Zeilen«, die zur Kostenersparnis durch senkrecht zur Fahrstraße verlaufende Wohnwege erschlossen wurden (Abb. 6 bis 9).

Wenn wir über Deutschland hinausblicken, finden wir in den zwanziger Jahren auch die ersten Ansätze zu einem dritten Konzept, das zur Neuordnung der Stadt beitragen sollte: den Gedanken des Superblocks und später den der Nachbarschaftseinheit, die verständlicherweise in dem Lande entstanden, in dem bereits in dieser Zeit das Auto die Straße beherrschte, in den Vereinigten Staaten. Das Konzept der Nachbarschaftseinheit stellt in gewisser Hinsicht eine Verknüpfung zwischen den beiden anderen erwähnten Systematisierungsansätzen dar – eine Gruppierung von Wohnungen um die für ihre unmittelbare Versorgung erforderlichen Gemeinbedarfseinrichtungen wie Läden und Grundschule, frei von Durchgangsverkehr und durch Grünflächen begrenzt.


Abb. 2.10: Charakteristisch für den Städtebau der 1920er-Jahre stehen die großen Wohnsiedlungen mit ihrer Architektur der klassischen Moderne, beispielhaft die Stadterweiterungen Westhausen und Römerstadt in Frankfurt, geplant vom seinerzeitigen Stadtbaurat Ernst May.

1 Bebauungsschema Römerstadt 1926.

Quelle: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Grundriß der Stadtplanung, 1983, S. 148

2 Gegenwärtige Situation Römerstadt 2007. Foto: S. Singer

3 Bebauungsschema Westhausen 1926.

Quelle: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Grundriß der Stadtplanung, 1983, S. 149

4 Gegenwärtige Situation Westhausen 2007. Foto: S. Singer

Zugleich schien sich damit eine Art »Baustein« der wachsenden Stadt anzubieten, der es erlaubte, Stadterweiterung nicht als beliebige Anlagerung neuer Baugebiete an den Stadtrand, sondern als zusammenfassend konzipierte Schaffung neuer städtebaulicher Einheiten mit einer gewissen Eigenständigkeit zu betreiben. Einige sahen in diesem Konzept auch ein Gegenmittel gegen die oft beklagte Anonymität der Großstadt, einen Ansatz zur Gemeinschaftsbildung, ja auch eine Möglichkeit zur Dezentralisierung städtischer Selbstverwaltung. Aber auch unabhängig von solchen »sozialromantischen« Erwartungen wies das Konzept der »Nachbarschaftseinheit« eine Reihe von Vorzügen auf, die ihm weite internationale Verbreitung sicherten. Auch in der »Charta von Athen«, in der eine Gruppe progressiver Architekten und Städtebauer Forderungen für die künftige Stadtentwicklung aufstellten, ist sie als »Wohneinheit zweckmäßiger Größe« aufgeführt.


Abb. 2.11a: Die von den »internationalen kongressen für neues bauen« (CIAM) 1933 erarbeitete »Charta von Athen« enthielt »Feststellungen und Richtlinien«, die später von Le Corbusier mit leichten Abwandlungen zu 95 Thesen (jeweils mit erläuterndem Text) zusammengefasst wurden. Aus den abschließenden »Lehrsätzen« ab Nr. 71 werden hier die wichtigsten zitiert. Quelle: zitiert nach Th. Hilpert (Hg.): Le Corbusiers »Charta von Athen«, 1984, S. 155–166

Jene Charta, die als Markstein der Stadtplanung in der Moderne gilt, erwuchs aus einem der »internationalen kongresse für neues bauen« (Congrès Internationaux de l’Architecture Moderne – CIAM), der 1933 auf einer Seereise zwischen Marseille und Athen abgehalten wurde und die »funktionale Stadt« zum Thema hatte.


Abb. 2.11b: Die Zeichnungen von Gerald Haning, Mitarbeiter von Le Corbusier, entstammen einer von der »Section du Plan« in Mainz herausgegebenen Schrift. Mit ihnen sollten die Ziele der Charta von Athen verdeutlicht werden. Die »Section du Plan« war eine von der französischen Militärregierung eingesetzte Planungsgruppe zur Neugestaltung der Stadt unter der Leitung von Marcel Lods, ebenfalls einem engen Mitarbeiter von Le Corbusier. Quelle: Durth, W./Gutschow, N.: Träume in Trümmern, Bd. 2, 1988, S. 912f.

Die in der Charta zusammengefassten Grundsätze für eine funktionale Stadtplanung spiegeln den Stand der fortschrittlichen Praxis jener Zeit, und weit mehr als der erst viel später verbreitete Text der Charta ist es diese Praxis, die auf die städtebauliche Planung der nachfolgenden Jahrzehnte eingewirkt hat.

Auch die – in der Charta nicht behandelten – Grundsätze städtebaulicher Gestaltung hatten sich in den zwanziger Jahren verändert. Der »malerische Städtebau« – in der Nachfolge von Sittes Kampf gegen die »Motivenarmut« in der Stadt des späten neunzehnten Jahrhunderts –, der das erste Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts weitgehend bestimmt hatte, wich nun einer strengeren geometrischen Auffassung, die den Tendenzen innerhalb der modernen Architektur entsprach. Indessen war das gestalterische Spektrum in der Architektur wie auch im Städtebau noch recht breit und vielfältig; von deutlichen Bemühungen um räumliche Bildungen und perspektivische Wirkungen reichte es bis zur geometrischen Strenge – manchmal kann man sogar von Starre sprechen – reiner Orthogonalität im parallelen Zeilenbau.


Abb. 2.12: Die Speicherstadt entstand Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Zollanschluss Hamburgs an das Reich und der Beschränkung der Zollfreiheit auf den »Freihafen«, in dem die Wohnnutzung aufgegeben werden musste; etwa 20 000 Einwohner wurden aus diesem Anlass umgesiedelt. Heute werden die nicht mehr zu Lagerzwecken benötigten Gebäude in hochwertige Lofts umgewandelt und das Gebiet durch attraktive Neubauten am Wasser ergänzt, die zu dem umfassenden Projekt der HafenCity gehören. Foto: Hamburg Elbe & Flut

Auch die Bewertung des überkommenen Baubestands veränderte sich: Die – inzwischen natürlich auch seltener gewordenen – Gebäude aus vorindustrieller Zeit galten nun meist als schützenswert. Zugleich wurde insbesondere der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entstandene Mietwohnungsbau zur Zielscheibe der Kritik und zum Objekt von Sanierungserwägungen. Während sich in Hamburg im Zuge eines Sanierungsprogramms, das durch die Choleraepidemie von 1892 ausgelöst worden war, die letzten Abbruchmaßnahmen in den »Gängevierteln« vollzogen und Platz schufen für Bürohäuser wie das Chilehaus und das Ballinhaus, aber auch für Arbeiterwohnungen, zeigten sich anderenorts erste Bemühungen um eine konservierende »Altstadtgesundung« in historisch geprägten Stadtkernen. In den dreißiger Jahren führten sie zu – gewiss auch zum Teil politisch motivierten – umfangreichen Sanierungen wie etwa in Braunschweig, Kassel und Frankfurt am Main, bei denen es um Teilabbrüche und Blockauskernungen unter Erhaltung der wertvollen historischen Bauten ging. Die 1904 gegründete Zeitschrift »Der Städtebau«, inzwischen infolge der Wirtschaftskrise zu einer Beilage von »Wasmuths Monatsheften für Baukunst« geschrumpft, wies in den späten dreißiger Jahren zwei Themenschwerpunkte auf: einerseits den Repräsentationsstädtebau des NS-Regimes, andererseits sachliche und weitgehend unideologische Diskussionen über Sanierungsbedürfnisse und Sanierungsmaßnahmen. Auch die Akten des Münchener Hochbauamtes verzeichnen 1939 die ersten Untersuchungen über zwei sanierungsbedürftige Innenstadtgebiete.

Zugleich wird damit eine Veränderung im Grundverständnis der Stadtplanung sichtbar, die sich im ersten Jahrhundertdrittel vollzogen hatte: War Stadtplanung zunächst als Stadterweiterung verstanden worden – wie dies im vorigen Abschnitt dargelegt wurde –, so wurde nun deutlich, dass sich mit der Stadterweiterung, also dem Wachstum der Stadt an ihren Rändern, zugleich auch im bisher bebauten Teil der Stadt erhebliche Veränderungen abzuspielen pflegten. Einen Beleg dafür findet man in dem Titel des ersten ausschließlich der Stadterneuerung gewidmeten Buches von Schilling »Innere Stadterweiterung«, einer Wortprägung, die sich aus der damals noch gängigen Bezeichnung »Stadterweiterung« für Stadtplanung erklärt. Der Autor beschreibt dabei das Phänomen der Konzentration von Büronutzungen im Stadtkern (»City-Bildung«) mit den daraus folgenden Verdrängungserscheinungen. 1925 veröffentlichte eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler – Park, Burgess und McKenzie, Zentralfiguren der Chicago School of Sociology – ein Buch unter dem Titel »The City«, in dem die Gesetzmäßigkeiten solcher Verdrängungsprozesse und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Anreize zur Slumbildung durch Vernachlässigung und Verwahrlosung der Gebäude dargestellt wurden. 1942 publizierte der Schweizer Architekt Hans Bernoulli, der in den dreißiger Jahren auch in Berlin gebaut hatte, eine Schrift, »Die organische Erneuerung unserer Städte«, in der er die Übernahme des städtischen Bodens in öffentliches Eigentum und die Ausgabe von Erbbaurechten vorschlägt; dabei sollen die Erbbaurechte für ein bestimmtes Stadtviertel jeweils gleichzeitig auslaufen, um damit die Möglichkeit zu einer vollständigen Neustrukturierung zu bieten – ein Rezept für großflächigen Abbruch und Neubau par excellence. Ihm liegt die Überlegung zugrunde, dass nach Ablauf einer solchen Erbbauperiode von etwa achtzig Jahren die Bausubstanz und die Stadtstruktur so veraltet sein würden, dass beide einer umfassenden Neukonzeption bedürften.

Auch die planungsrechtliche Situation der Zeit zwischen den Weltkriegen ist durch die Einsicht gekennzeichnet, dass die bisherigen Baugesetze im Interesse der neuen, sozial orientierten Auffassung vom Städtebau reformbedürftig seien, und sie schlägt sich in einzelnen Verbesserungen der Bauordnungen nieder. 1925 wurde in Preußen ein Städtebaugesetz konzipiert, das jedoch – offenbar im Hinblick auf eine kurz darauf einsetzende Bemühung um ein Reichsstädtebaugesetz – nicht bis zur Beschlussfassung vorangetrieben wurde. Lediglich in Sachsen und in Thüringen gab es zu Beginn der dreißiger Jahre neue Städtebaugesetze, die an das preußische Muster angelehnt waren. In ihnen erscheint übrigens erstmals der heutige Flächennutzungsplan, damals »Flächenaufteilungsplan« genannt. Auch das »Dritte Reich« war in dieser Hinsicht wenig aktiv; es wurden – zum Teil auf der Grundlage früherer Vorarbeiten – einzelne gesetzliche Regelungen erlassen, aber eine 1942 fertiggestellte umfassende Kodifizierung des Bau- und Planungsrechts blieb Entwurf. Als Niederschlag der nationalsozialistischen Ideologie im Planungsrecht ist allerdings das Gesetz zur Neugestaltung deutscher Städte von 1937 zu werten, das für bestimmte Umgestaltungsmaßnahmen weitgehende Enteignungs- und – eingeschränkte – Entschädigungsregelungen traf, um damit die Pläne für monumentale Bauten und repräsentative Achsen und Aufmarschflächen besser verwirklichen zu können.

Gegenüber der städtebaulichen Planung im späten neunzehnten Jahrhundert, die in erster Linie auf die Behebung oder Vermeidung von Missständen gerichtet war, hatte sich seit etwa 1910 die Vorstellung durchgesetzt, Ziel der Planung sei die Schaffung eines räumlichen Rahmens, innerhalb dessen die Entwicklungskräfte von Gesellschaft und Wirtschaft möglichst reibungslos aufgenommen werden könnten. Sie wird treffend charakterisiert von dem britischen Planer Patrick Abercrombie: »Die Planung von Stadt und Land sucht der natürlichen Entwicklung eine lenkende Hand zu bieten. Das Ergebnis sollte mehr sein als eine wirtschaftlich und technisch solide Leistung – es sollte ein sozialer Organismus sein und zugleich ein Kunstwerk« (1936, S. 12). Es geht also nicht eigentlich um die Beeinflussung der sozioökonomischen Entwicklung, die noch als »natürlich« verstanden wird, sondern um eine Koordination ihrer räumlichen Auswirkungen. Auch angesichts einiger offenkundiger sozialpolitischer Bezüge – beispielsweise zum Wohnungswesen – wird darin in erster Linie eine Synthese- und Gestaltungsaufgabe für den Planungsfachmann gesehen und nicht ein politischer Entscheidungsprozess. Dies mag auch die Tatsache erklären, dass in der Planungsliteratur ebenso wenig von Politik die Rede ist wie in der politischen Diskussion von räumlichen Entwicklungsproblemen.


2.13: Der Plan von Albert Speer für Berlin als »Welthauptstadt Germania« lässt erkennen, mit welcher Brutalität der nationalsozialistische Repräsentationsstädtebau die bestehende Stadtstruktur überlagert hätte – umsetzbar nur auf der Grundlage umfangreicher Enteignungen und Umsiedlungen.

Quelle: Albert Speer Architecture,1932–42 Leon Krier, Bruxelles 1985, Aux Archives d’Architecture Moderne

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