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Stadtgestalt

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Gegen Ende der zwanziger Jahre war die »Moderne« in Architektur und Städtebau zwar deutlich ausgeprägt und hatte in vielen Neubaubereichen die städtebauliche Gestaltung bestimmt, aber keineswegs die traditionelle Strömung ganz verdrängt. Dass diese weitgehend vom Nationalsozialismus ideologisch eingespannt worden war, machte sie zwar manchen suspekt, hinderte andere aber nicht, nach dem Kriege wieder an sie anzuknüpfen, insbesondere beim Wiederaufbau alter Stadtkerne. Hier gab es heftige Dispute um Gestaltungsfragen, während in Neubaugebieten die »modernen« städtebaulichen Prinzipien, insbesondere der Zeilenbau mit drei oder vier, seltener fünf Geschossen, unbestritten vorherrschten. Mit den fünfziger Jahren begann aber auch das neue Element des Punkthauses mit acht und mehr Geschossen sich durchzusetzen, das offensichtlich auf Planer und Architekten auch als ästhetischer Akzent seinen Reiz ausübte. Gleichzeitig machte der massige Block der »Unité« von Le Corbusier Furore und trug das Seine dazu bei, dem neuen ästhetischen Konzept zum Durchbruch zu verhelfen: das Gebäude freiplastisch, als eine Art Skulptur, vom Raum umspült – ganz im Sinne von Le Corbusiers Definition der Architektur als »das weise, richtige und großartige Spiel der Formen im Licht«.

Manchmal wurde damit auf jede Beziehung zu anderen Gebäuden verzichtet – wie in Safdies Habitat 67 in Montreal –, aber häufig wurde auch – wie im Berliner Hansaviertel – die Disposition solcher Baukörper, ihre Stellung zueinander, im Hinblick auf ihre räumliche Wirkung sorgfältig untersucht. Aber man erstrebte nicht den Eindruck des umschlossenen Raums, sondern den des fließenden, durch die frei stehenden Baukörper nur locker strukturierten Raumkontinuums – ein Konzept, dessen Verwandtschaft mit den Entwurfsprinzipien des berühmten Barcelona-Pavillons von Mies van der Rohe auf der Hand liegt.

Demgegenüber wurde die Stadtplanung in der DDR zunächst weitgehend durch die 1950 verkündeten »16 Grundsätze des Städtebaus« bestimmt, aus denen das Streben nach der »schönen Stadt« und die gestalterische Prägung durch »nationale Traditionen« abgeleitet wurden. Das bekannteste Beispiel aus dieser Zeit dürfte die Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) in Ost-Berlin sein, die mit ihrer strengen baulichen Fassung gleichsam das Gegenbild zum Hansaviertel darstellte. In den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts rückte dann mit der Industrialisierung des Bauens und der Großplattenbauweise eine eher funktionale Formgebung in den Vordergrund.


Abb. 2.25: Um 1970 wurde der durch viele Neuplanungen bedingte Abbruch alten Baubestandes zunehmend als kultureller Verlust empfunden; dies führte zu verstärkten Bemühungen um Denkmalschutz und Milieuschutz, die im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 ihren Ausdruck fanden. Quelle: Veröffentlichung der Aktion »Gemeinsam zum Europäischen Denkmalschutzjahr 1975«

In der Bundesrepublik setzte sich – wie in den anderen westeuropäischen Ländern – mit dem Heraufkommen des Hochhauses auch eine Höhendifferenzierung auf verhältnismäßig engem Raum durch. An die Stelle der bisherigen, weitgehend durch gleiche Höhen der Wohngebäude, allenfalls mit einigen Ak- zenten gekennzeichneten Entwürfe trat nun eine kleinmaßstäbliche Gruppierung mit ausgeprägten Höhenstaffelungen. Eine häufige Wiederholung solcher Gruppierungsmuster, gemeint als eine Art Rhythmisierung des räumlichen Gefüges, erwies sich meist in der dreidimensionalen Wirklichkeit als wenig befriedigend – wegen der allzu ausgeprägten Gleichartigkeit, der »Verwechselbarkeit« der damit geschaffenen Räume. Ein extremes Beispiel dafür ist das in seinen Einzelelementen durchaus qualitätvolle Albertslund bei Kopenhagen.


Abb. 2.26: Das Nikolaiviertel, ehemals Teil der Berliner Altstadt, Mitte der 1980er-Jahre wiederaufgebaut, ist eines der ersten Beispiele für eine Neuorientierung auf historische Elemente der Architektur und Stadtstruktur auch in der DDR. Sowohl die rekonstruierten als auch die in Plattenbauweise errichteten Gebäude folgen dem historischen Stadtgrundriss. Foto oben rechts: Ph. Meuser/D. Dubrau. Foto rechts: L. Reinhard. Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin

Mit der im vorigen Abschnitt erwähnten »Verdichtungswelle« steigerte sich auch die Gebäudegröße und sprengte damit – bedingt auch durch die mit der Höhe wachsenden Gebäudeabstände – den bisher üblichen Maßstab der Wohngebiete. Die großen offenen Flächen zwischen den Gebäuden stießen bald auf Kritik: Weitgehend von parkenden Autos in Anspruch genommen, weder als öffentlicher noch als privater Raum definiert, entsprachen sie wenig den Visionen einer Parklandschaft, die seit den zwanziger Jahren mit dem Konzept einer Hochhausbebauung verbunden waren. Die Ablesbarkeit der Einzelwohnung, schon im üblichen Mietshausbau kaum ausgeprägt, ging nunmehr vollends verloren. Die Reaktion kam schnell: Zu Beginn der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gerieten eben jene Zeugnisse der Verdichtungswelle bereits in Verruf, wurden als »Betonburgen« apostrophiert, und auch die Bauträger, die sie noch kurz zuvor in reicher Fülle produziert hatten, wandten sich von ihnen ab. Hochhäuser und freiplastische Baukörper fielen in Ungnade; Mittelhochbau und Raumbildung bis hin zum alten geschlossenen Baublock mit seinen alten Vorzügen und seinen alten Mängeln waren wieder gefragt.

Einen wesentlichen Beitrag zu solcher Rückbesinnung leistete das vom Europarat 1975 ausgerufene »Denkmalschutzjahr« – die englische Bezeichnung »Heritage Year« machte den Appell noch deutlicher –, das der neuen Grundströmung entsprach und zugleich auch den bereits erwähnten Wandel in der strukturellen Planung beförderte: die Wiederentdeckung von Qualitäten im überkommenen Stadtgefüge und damit den Verzicht auf dessen vollständigen Ersatz durch eine neue Stadtstruktur, wie er in den vorangegangenen Jahrzehnten erstrebt worden war. Auch in der DDR gab es eine gewisse Aufwertung der Vergangenheit, wie der Wiederaufbau des Berliner Nikolaiviertels zeigt.

So wurde die Sanierung zunehmend als »behutsame Stadterneuerung« betrieben, bei der nicht mehr Abbruch und Neubau, sondern Bestandspflege und Modernisierung im Vordergrund standen. Allerdings ging mit dieser neuen Wertschätzung der Vergangenheit auch eine Tendenz zur Illusion einher. Im Bemühen, die Historie im Stadtbild zu verdeutlichen, griff man auch zu Maßnahmen, die vorher kaum als annehmbar gegolten hatten: zur Kopie längst dahingegangener Gebäude oder zu Bauten, die sich an die Vergangenheit anbiedern und bei denen man auf den ersten Blick zweifeln kann, ob es sich um Anschauungsbeispiele für historische Dokumente oder um zeitgenössische Maskerade handelt. Das bekannteste Beispiel für die erste Kategorie bietet der Römerberg in Frankfurt am Main, auf dessen Ostseite Bauten der fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts abgebrochen und durch Kopien der im Krieg zerstörten Fachwerkhäuser ersetzt wurden; in jüngster Zeit stellt der geplante Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses eine gewisse Parallele dazu dar.

Auch diese Tendenz zur Illusion kann gewiss als eine Facette jener »postmodernen« Architekturströmung gelten, die in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts mit der Parole »anything goes« bewusst Abschied vom Formenkanon der Moderne nahm. Entsprechend weiter fächerten sich auch die Konzepte städtebaulicher Gestaltung auf; eine Art »Musterkollektion« solcher Ansätze bieten die »Villes nouvelles«, die in dieser Zeit rund um Paris entstanden. Unter dem Einfluss der Immobilienwirtschaft hat sich in Deutschland die Tendenz zum Hochhaus, die im letzten Jahrhundertviertel abgeklungen war (außer in Frankfurt am Main, deshalb gern »Mainhattan« genannt), um die Jahrhundertwende wieder belebt und in einer Reihe von Städten zu kontroversen Diskussionen geführt – in München sogar zu einem Bürgerentscheid, der eine Obergrenze für die Gebäudehöhe festlegte.


Abb. 2.27: Die Ostzeile des Frankfurter Römerbergs, gebaut als Kopie des im Krieg zerstörten historischen Bestandes nach Abbruch von Nachkriegsbauten – Zeichen einer Hinwendung zur Vergangenheit auch ohne den Anspruch auf Echtheit der Zeugnisse. Foto: S. Singer

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