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Sinfonieorchester statt Bauernkapelle?

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Nach dem Triumph im Frühsommer 1968 zählte der 1. FC Nürnberg natürlich auch vor der nächsten Saison zu den Titelfavoriten. Doch es kam ganz anders. Max Merkel, bislang schon nicht gerade durch vornehme Zurückhaltung aufgefallen, schien nach dem Titelgewinn vollkommen die Bodenhaftung verloren zu haben. Er ließ einige Leistungsträger der Meistersaison wie Ferschl, Starek und Brungs ziehen. Vor allem der Transfer von Torjäger Brungs zu Hertha BSC sorgte für reichlich Wirbel an der Noris, zumal die Ablösesumme von rund 200.000 Mark nicht gerade üppig war für Nürnbergs besten Torschützen. Der Trainer wischte die Bedenken lässig vom Tisch und holte stattdessen 13 neue Spieler. Es waren ganz bestimmt keine schlechten, die der Meistertrainer nach Franken lotste – Jürgen Rynio und Klaus Zaczyk waren unter anderem dabei –, dazu kamen einige Talente aus dem eigenen Stall. Aber das System der Meistermannschaft war damit gesprengt.


Merkel hatte vor der Saison getönt, er mache aus der »Bauernkapelle« ein »Sinfonieorchester«. Doch dem Maestro schien der Dirigentenstab abhanden gekommen zu sein. Schon bald geriet das Orchester aus dem Takt, Misstöne und Disharmonien im Nürnberger Ensemble waren die Folge. Um die Schmach wenigstens einigermaßen zu verarbeiten, hat Nürnbergs Spieler Ferdinand Wenauer später sogar ein Buch geschrieben über den einmaligen Absturz des Meisters. »Das Gravierendste war die Demontierung der Meisterelf«, heißt es bei Wenauer schwarz auf weiß. Überaus deutlich wird in seinem Buch, dass die Talfahrt des 1. FC Nürnberg genauso ein »Verdienst« Merkels war wie der Triumph im Vorjahr. Max Merkels Schwäche, analysierte Wenauer, war, dass er Fehler partout nicht eingestehen konnte. Merkel, der übrigens auch schon mit der Meistermannschaft von 1860 München in den Tabellenkeller abgestürzt war, ging bei der leisesten Kritik an die Decke und immer mehr auf Distanz zu seinen Schützlingen. »Die Spieler werden heutzutage gehätschelt, getätschelt und verwöhnt. Die Schuhe kriegen s’ gestellt, den Pausentee gekocht, und Strumpfhosen dürfen s’ tragen, damit sie bei der Kälte nicht frieren. Es fehlt nur noch, dass ich ihnen eigenhändig Vaseline auf den Hintern streichen muss, bevor sie ins Stadion einlaufen«, so Merkel, den sie während seiner Zeit in Spanien bezeichnenderweise »Señor Latigo«, den Peitschenknaller, genannt hatten.

Der Coach war bissig, zynisch – und er war während der Hinrunde noch nicht einmal mehr regelmäßig auf dem Trainingsplatz am Valznerweiher. Heutzutage nicht mehr denkbar, aber Merkel hatte in den Stunden des Ruhmes zahlreiche Engagements angenommen und seinen Co-Trainer Robert Körner in der darauf folgenden Spielzeit überwiegend das Training leiten lassen. Das ging gründlich daneben. Der Deutsche Meister kämpfte plötzlich gegen den Abstieg statt um den Titel. Angst machte sich breit im Frankenland, und aus dem Souverän des Meisterschaftsjahres war jetzt ein Hilfloser geworden: »Merkel war mit uns auf dem Nullpunkt seiner Trainerkarriere angelangt«, heißt es weiter in Wenauers Aufzeichnungen.

50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

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