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»Lasst euch nicht verrückt machen«

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Zwischenzeitlich hatte der Vorsprung auf den Verfolger aus München neun Punkte betragen, doch vier Spieltage vor Schluss begann in der Pfalz das große Zittern. Die Sensationsmannschaft des Aufsteigers spürte bereits den Atem der großen Bayern im Nacken, der Vorsprung war auf zwei Zähler geschmolzen. In der vorletzten Partie der Saison empfingen die Pfälzer den Mitaufsteiger VfL Wolfsburg. Vor der Begegnung setzte Rehhagel auf Psychologie und versuchte seinen Spielern den täglich wachsenden Druck zu nehmen: »Jungs, lasst euch nicht verrückt machen, wir haben ja schon gewonnen. Selbst wenn es nicht klappt, haben wir bis zum Schluss oben mitgespielt.« Das Entscheidende war, dass die Mannschaft ihrem Trainer folgte und seinen Anweisungen und Ratschlägen Glauben schenkte. Und so zeigte Rehhagels »Trick« vor dem vorweggenommenen »Endspiel« Wirkung. Kaiserslautern gewann am 2. Mai 1998 mit 4:0 gegen die »Wölfe«, während die Bayern nicht über ein mageres 0:0 gegen den MSV Duisburg hinauskamen. Marschall, Martin Wagner, noch einmal Marschall sowie Jürgen Rische schossen die Tore für den 1. FCK, und der »Betzenberg« bebte, als die »Roten Teufel« von tief unten ganz nach oben aufgestiegen waren.

Eine Sensation! Erstmals in der Geschichte der Bundesliga holte ein Aufsteiger sofort die Deutsche Meisterschaft. So etwas gab es noch nie, und ich kann mir auch kaum vorstellen, dass irgendein Klub dieses Meisterstück wiederholen könnte. Die Kluft zwischen den sogenannten Großen und dem Rest der Liga ist im Laufe der 50 Jahre immer weiter auseinander gedriftet. Hoffenheim ist in der Saison 2009/10 als Aufsteiger Herbstmeister geworden. Auch das musste man sensationell nennen. Am Ende landete der Klub aus dem Kraichgau aber dann, anders als die Lauterer damals, doch nur im Mittelfeld der Tabelle.

DIE MIESESTEN MEISTER, DIE STÄRKSTEN AUFSTEIGER

Schlechteste Platzierungen von Beste Platzierungen von amtierenden meistern Aufsteigern
17. Platz: 1. FC Nürnberg, 1968/69 1. Platz: 1. FC Kaiserslautern, 1997/98
10. Platz: FC Bayern München, 1974/75 3. Platz: FC Bayern München, 1965/66
10. Platz: VfB Stuttgart, 1984/85 4. Platz: Wuppertaler SV, 1972/73
9. Platz: Eintracht Braunschweig, 1967/68 4. Platz: VfB Stuttgart, 1977/78
8. Platz: Werder Bremen, 1993/94 5. Platz: Hannover 96, 1964/65
8. Platz: VfL Wolfsburg, 2009/10 5. Platz: Werder Bremen, 1981/82
7. Platz: VfB Stuttgart, 1992/93 5. Platz: VfL Bochum, 1996/97
6. Platz: 1. FC Köln, 1978/79 6. Platz: Hansa Rostock, 1995/96
6. Platz: FC Bayern München, 1994/95 7. Platz: Kickers Offenbach, 1972/73
6. Platz: VfB Stuttgart, 2007/08 7. Platz: TSG 1899 Hoffenheim, 2008/09
7. Platz: 1. FC Kaiserslautern, 2010/11

Nach dem Titelgewinn des 1. FCK im Sommer 1998 erklärte Rehhagel Kaiserslautern zur »Hauptstadt der Fußballwelt«. Dass er der Herrscher über selbige war, sagte er nicht, aber das verstand sich nicht nur aus seiner Sicht von ganz allein. Erstmals spielte der Klub in der Champions League, das beschauliche Kaiserslautern zog in die Welt hinaus und erreichte sogar noch das Viertelfinale. Dort allerdings schieden die Pfälzer nach zwei Niederlagen (0:2 und 0:4) gegen die Bayern aus. Es war also kein Strohfeuer, dieser unglaubliche Titelgewinn, zumal der Meister auch in der nächsten Saison in der Liga auf einem respektablen fünften Platz landete.

Ein Jahr später, in der Saison 1999/2000, führte Rehhagel die »Roten Teufel« erneut auf Platz fünf, aber da brodelte es im Verein schon gewaltig. Eine Gruppe von Spielern um Kapitän Ciriaco Sforza warf dem Trainer »Diktatur, Konzeptlosigkeit und fehlende Strategie« vor. Der Vereinsvorstand setzte sich mit den verfeindeten Parteien an einen Tisch und erreichte eine Art Burgfrieden. Erstmals in seiner Trainerlaufbahn musste Otto Rehhagel in einem Konflikt klein beigeben: »Der Demokrat in Rehhagel hat den Diktator besiegt«, schrieb die »Frankfurter Rundschau« damals. Nahezu erwartungsgemäß verschlechterten sich nun auch die Resultate. Zwar war die Saison 2000/01 noch jung, und von akuter Abstiegsnot konnte man wirklich nicht reden. Aber die Chemie zwischen Mannschaft und Trainer hatte entscheidend gelitten. Nach einem 1:1 gegen Energie Cottbus war im Herbst 2000 die Ära Rehhagel in der Pfalz beendet. Und doch wird sie in der Geschichte des Vereins immer ihre glorreiche Ausnahmestellung haben.

50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

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