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Heiner Schweiger öffnete die Tür zu seiner Salzburger Wohnung und ließ Adna eintreten. Er hob die Einkaufstüten und zog mit der Fußspitze hinter sich die Türe zu. Adna streifte durch die Räume und schaute sich neugierig um.

„Was für eine schöne Wohnung! Wunderbare Möbel. Ein toller Ausblick.“

Heiner stellte sich neben seinen Gast und ließ den Blick über die Salzach und die gegenüberliegenden Dächer der Altstadt schweifen. Verstohlen musterte er Adna von der Seite. Der Ausblick aus dem Fenster war ihm lange vertraut, aber so schönen Besuch hatte er selten in seinem Domizil.

„Danke, Heiner, dass du mir diese großartige Stadt gezeigt hast. Ab heute liebe ich Salzburg!“

Er verfolgte aufgewühlt, wie die junge Frau durch den Salon wehte, die Bilder betrachtete, an den offenen Kamin trat und ein Glas Wasser aus der bereitstehenden Karaffe füllte. Frühmorgens waren sie von Hinterstoder aufgebrochen und hatten zwei Stunden später den Wagen auf Heiners Stellplatz in der Tiefgarage abgestellt. Danach hatten sie in einem Kaffeehaus ausgiebig gefrühstückt und waren von Boutique zu Boutique gezogen. Heiner hatte Adna alle Wünsche erfüllt, von robusten Wanderschuhen über schicke Sommerkleider bis zur Spitzenunterwäsche hatte er alles gekauft, was ihr ins Auge gesprungen war. Mittags hatten sie in einem vornehmen Restaurant eine Kleinigkeit zu sich genommen, um hernach die hiesigen Museen zu besuchen. Adna hatte darauf bestanden. Sie könne nicht in eine neue Stadt kommen, ohne durch die dortigen Museen zu laufen, hatte sie gesagt. Heiner selbst liebte das Salzburg Museum, doch mit der jungen Tunesierin an seiner Seite war der Besuch in der Neuen Residenz ein ungleich lebendigeres Vergnügen als sonst gewesen. Nun lief es auf den Abend zu, so waren die beiden in seine Stadtwohnung gekommen.

Heiner trat an die Bar und goss Whiskey in ein Glas. Er setzte sich auf das ausladende Sofa und streckte die Beine von sich. Die Strapazen des Tages machten sich bemerkbar. Immer auf den Beinen, immer unterwegs, quer durch die Altstadt in diese und dann in jene Richtung. Heiner war gut zu Fuß, das machten die regelmäßigen Bergtouren und Jagdausflüge, aber er war nicht mehr der Jüngste. Im letzten Winter hatte er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert, in diesem Alter musste man sich die Kräfte gut einteilen, um mit einer quicklebendigen jungen Frau Schritt halten zu können.

Adna setzte sich Heiner gegenüber, ihr Lächeln war von bezaubernder Leichtigkeit. Ein gnädiger Wüstenwind hatte diese Perle des Morgenlandes in seine Wohnung geweht.

„Lieber Heiner, ich danke dir für all die schönen Dinge.“

Heiner winkte ab und stellte das geleerte Glas auf den Couchtisch. „Meine teure Adna, das Vergnügen war ganz auf meiner Seite. Ich habe einen höchst erfreulichen Tag mit dir verbracht.“

Dann redete sie munter drauflos. Sie beschrieb wort- und gestenreich ihre Eindrücke von den Ausstellungsstücken im Museum. Heiner lehnte sich zurück und genoss einfach ihre Anwesenheit. Sie hatte in den Monaten, seit sie bei Gottfried Moorhammer wohnte, ihre Deutschkenntnisse merklich vertieft, die Regeln der Grammatik waren ihr geläufig, nur da und dort tauchte eine falsche Flexion oder eine verwechselte Präposition auf, und der Klang ihres Akzents war schlicht und ergreifend schön. Alles an dieser jungen Frau war schön. Ausnahmslos alles.

Heiner hatte mit wachsender Begeisterung verfolgt, wie die Schläge des Meisters nach und nach ihre Körperlinien aus dem Marmor holten. An drei Skulpturen arbeitete Gottfried Moorhammer gleichzeitig, Figuren von geradezu antiker Würde und Gestalt, und für diese drei Skulpturen stand die junge Tunesierin Modell. Allein dafür würde Heiner Schweiger morgen wieder mit ihr durch die Altstadt laufen und ihr jeden Wunsch erfüllen. Ein Leben lang hatte er sich dem Diktat der Familie gefügt und getan, was von ihm verlangt worden war. Er hatte auf das Studium der Kunstgeschichte verzichtet und Wirtschaft studiert, er hatte nicht eine junge, wilde Künstlerin geheiratet, sondern die wohlerzogene Tochter eines Industriellen, er hatte Jahrzehnte emsig für den Fortbestand der Fabriken und Warenhäuser gearbeitet und insgesamt siebzehn Jahre lang als oberster Leiter der Firma neuntausend Arbeitern und Angestellten vorgestanden. Unter seiner Ägide waren die Produktionsstraßen modernisiert, die Geschäftsprozesse den Anforderungen der Gegenwart angepasst, war das Familienvermögen gemehrt worden. Nun aber leitete sein Neffe als Generaldirektor die Firma und Heiners Tochter war dessen rechte Hand im Vorstand. Die junge Generation hatte sich bewähren wollen, also hatte Heiner vor drei Jahren seinen Rückzug aus den Geschäften vollzogen und konnte sich seither vollends seiner Liebhaberei widmen, nämlich der Kunst.

„Ich möchte die Kleider probieren.“

Heiner erhob sich und wies zu einer offen stehenden Tür.

„Aber ja, meine Liebe, nur zu. Das Gästezimmer ist für dich vorbereitet. Darin kannst du dich nach Belieben ausbreiten. Der Tisch für das Abendessen ist für sieben Uhr reserviert, da bleibt noch genug Zeit.“

Adna packte die Einkaufstüten und verschwand im Gästezimmer. Heiner bemerkte, dass sie die Tür nicht schloss. Er trat an die Stereoanlage und legte eine CD ein. Ein Streichquintett von Luigi Boccherini erfüllte in dezenter Lautstärke den Salon. Heiner goss sich noch etwas Whiskey ein, er brauchte heute nicht mehr mit dem Auto zu fahren, sein junger Gast und er würden hier übernachten und morgen wieder aufbrechen. Am frühen Nachmittag würden sie in Hinterstoder sein, sodass alle Vorbereitungen für Gottfrieds Fest noch bequem erledigt werden konnten. Adna hatte ein wunderbares kleines Geschenk für Gottfried ausgesucht, einen höchst geschmackvoll geschnittenen chinesischen Jadedrachen. Heiner hatte natürlich auch ein Geschenk für ihn. Etwas Besonderes.

Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Heiners Mund klappte auf. Adna tanzte in ein hauchdünnes Seidenkleidchen gehüllt zur Musik durch den Raum, drehte sich mehrmals um die eigene Achse, wirbelte dabei ihr langes pechschwarzes Haar durch die Luft, warf ihre Beine hoch. Heiner musste das Whiskeyglas abstellen.

Adna schwebte auf ihn zu und schmiegte sich an ihn. Er schnappte nach Luft.

„Ich möchte mich für deine Gastfreundschaft bedanken“, hauchte sie ihm ins Ohr. Heiner schluckte schwer.

„Aber, meine Teure, aber … das geht doch nicht.“

„Gefalle ich dir nicht?“

„Doch, doch! Du bist wunderschön, ich bin geradezu geblendet von deiner Schönheit, aber das geht doch nicht.“

„Bitte, bereite mir auch diese Freude.“

„Adna, du bist doch Gottfrieds Gefährtin. Ich kann ihn doch nicht derart hintergehen!“

Sie schlang ihre Arme um Heiners Hals und strich mit ihrer Nasenspitze über die seine.

„Gottfried muss es nicht erfahren.“

„Ich kann ihn nicht belügen!“

„Schweigen ist keine Lüge.“

Heiner sah in Adnas Augen, in zwei grüne Oasen, verlor sich darin und fand sich in einer neuen, wunderbaren Welt wieder, in ihrer Welt. Er schlang seine Arme um ihre Hüften, hob sich hoch und drehte sich mit ihr im Kreis der Musik. Ein Leben lang hatte er immer an morgen gedacht, immer das Richtige getan, alle Erwartungen erfüllt, erst Gottfried Moorhammer hatte Heiner beigebracht, die Freiheit zu spüren. Er war frei. Jetzt. In diesem Augenblick. Und Gottfried würde es verstehen. Vielleicht nicht gleich. Später. Das Schweigen ist keine Lüge. Die Liebe ist keine Lüge. Wie glücklich er war.

Moorhammers Fest

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