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ОглавлениеStühlerücken.
Christina warf einen Blick auf die Zeitanzeige ihres Handys, packte die Handtasche und erhob sich. Vier Uhr Nachmittag, die Besprechung in der Polizeidirektion Linz hatte sich, wie üblich bei Besprechungen in großem Kreis, über den ganzen Tag dahingezogen. Das Thema der Besprechung war durchaus relevant: Mehrere Städte in Oberösterreich waren in den Fokus von professionellen Betrügern geraten, auch in Christinas Heimatstadt Steyr waren Fälle aktenkundig geworden.
Der Enkeltrick zog immer noch, drei ältere Damen aus Steyr waren die Opfer. Zwei waren Frauen aus dem einfachen Volk, denen die kargen Ersparnisse der Witwenpension aus der Tasche gezogen worden waren, eine Frau war die Witwe eines ehemals leitenden Ingenieurs der Motorenfabrik und ihr hatten die Betrüger rund vierzigtausend Euro abgeluchst.
Das Schema funktionierte immer gleich. Alleinstehende alte Menschen wurden gezielt ausforscht, dann rief ein Profi an und gab sich als Enkel oder Neffe aus, entlockte in einem ganz alltäglichen Gespräch mit exakt ausgeführten rhetorischen Tricks die relevanten Informationen und bat die Oma oder den Opa dann um einen kleinen Vorschuss für einen Wohnungskauf oder für eine Ausbildung. Wenn dann die alten Leute das Geld besorgt hatten und der Enkel oder Neffe das Geld abholen sollte, hatte er irgendwelche Probleme, etwa eine Autopanne oder Zugverspätung, weswegen er einen Freund oder eine Freundin schickte. Die Springer im System waren Leute vor Ort, die gar nicht wussten, von wem sie die Aufträge erhielten, sie holten das Geld und lieferten es ab, bezogen ihr ausgemachtes Honorar und verschwanden.
Christina hatte einen dieser Springer ausfindig gemacht, mit dem mäßigen Erfolg, dass dieser wegen Teilnahme an einer kriminellen Handlung auf freiem Fuß angezeigt worden war. Das Verfahren stand noch aus, aber seine Strafe würde nicht hoch sein, schließlich hatte man es nur mit einem unbedeutenden Laufburschen zu tun, der das bisschen Geld, kaum erhalten, innerhalb einer Stunde in einer Spielhalle in den Automaten versenkt hatte. Christina hatte dem Mann eine Therapie wegen seiner Spielsucht nahegelegt, ein Vorschlag, den dieser brüsk von sich gewiesen hatte. Ein bisschen Zocken in der Spielhalle könne man doch nicht als Krankheit bezeichnen!
Christina schüttelte einige Hände, der Besprechungsraum leerte sich. Sie verließ den Raum und schaute in das Gesicht ihres jungen Kollegen Friedel Holzmann.
„Deiner Miene zufolge tippe ich auf schwerwiegende Müdigkeitserscheinungen nach überlangem Vortrag mit wenig interessantem Inhalt.“
Friedel blickte sich gehetzt um.
„Bin ich negativ aufgefallen?“
„Nicht wirklich“, flüsterte Christina verschwörerisch. „Du warst nicht der Einzige, der sich Mühe geben musste, den Vortrag unseres hochgeschätzten Wiener Kollegen zu überstehen. Na ja, zwei Stunden für ein paar Fakten, die man in einer halben Stunde bequem zusammenfassen kann, ist natürlich schon eine bemerkenswerte Leistung.“
Sie gingen nebeneinander den Gang entlang. Friedel Holzmann hatte sich, das war Christina von mehreren Seiten zugetragen worden, nicht nur gut in den Alltag in der Polizeidirektion eingelebt, er war in den letzten Monaten sogar zu einer regelrechten Stütze des Kriminaldienstes geworden. Kaum ein Kriminalist in Oberösterreich rief nicht bei Friedel an, wenn es darum ging, Hintergrundinformationen in verschiedensten IT-Systemen zu recherchieren. Da nahm ihm selbst sein ansonsten trockener und fast militärisch strenger Vorgesetzter nicht krumm, dass Friedel mit einem kecken Spitzbart, einem Piercing und, sobald die Sonne sich auch nur ein paar Minuten pro Tag zeigte, mit halblangen Hosen und Sandalen zur Arbeit erschien. Und dass sich Friedel sein Haar auf Länge eines Bürstenschnittes trimmen würde, war sowieso undenkbar.
„Gott sei Dank. Ich will nicht noch negativer auffallen als sonst auch immer.“
Christina drückte auf ihren knurrenden Magen.
„Ich hätte in der Mittagspause doch mit den Kollegen essen gehen sollen.“
„Du wärst dann nachmittags garantiert eingeschlafen.“
„Wahrscheinlich. Jetzt brummt halt der Magen.“
Eine Idee erhellte Friedels Miene.
„Was hältst du von Paprikahuhn?“
Christina zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Wie kommst du auf Paprikahuhn?“
„Vesna hat heute ihren freien Tag. Und es ist ausgemacht, dass gegen fünf das Essen auf dem Tisch steht.“
Christina hatte mehrmals Geschichten über Friedels Lebensgefährtin Vesna gehört und einmal sogar dienstlich mit ihr telefoniert. Die junge Frau arbeitete als Sozialarbeiterin in der Bewährungshilfe.
„Du lädst mich zum Essen ein?“
Friedel blieb stehen und legte seine rechte Hand auf Christinas linken Unterarm.
„Wenn du einmal Vesnas Paprikahuhn gegessen hast, gehst du nur mehr mit einem Flammenwerfer in Gasthäuser, bei denen der Koch sich an diesem Gericht versucht. Du weißt ja, seit unserem ersten gemeinsamen Fall bin ich ja eher Pflanzenfresser, aber wenn Vesna Paprikahuhn zubereitet, hilft alles nichts, da muss man essen, bis man bewusstlos vom Sessel kippt. Bio-Huhn übrigens, eh klar. Das macht ihre Erblinie, Mutter Bosnierin, Vater Bosnier, Großeltern Bosnier, seit dem fünfzehnten Jahrhundert lauter Bosnier. Sei mir nicht böse, ich bin sicher, es gibt ein paar wirklich gute Köche in Österreich, aber Paprikahuhn kann eigentlich nur von einer Ungarin oder einer Bosnierin zubereitet werden. Alles andere wirkt hilflos.“
Christina runzelte die Stirn.
„Friedel, hör auf, mir rinnt das Wasser im Mund zusammen.“
„Du bist hiermit eingeladen.“
Christina wiegte den Kopf. Ihr Ehemann Wilhelm hatte schon beim Frühstück angekündigt, er würde kaum vor neun Uhr abends nach Hause kommen und unterwegs essen. Sie hatte nicht vor, heute noch in ihrem Büro in Steyr vorbeizuschauen, also sprach eigentlich nichts dagegen, noch ein Stündchen in Linz zu bleiben.
„Na, ich weiß nicht. Kommt das nicht ein bisschen spontan? Was wird deine Freundin sagen?“
„Sie wird sagen: Christina, lass es dir schmecken.“
„Und wenn sie gar nicht für drei Personen gekocht hat?“
„Wenn Vesna Paprikahuhn kocht, dann immer im großen Topf, sodass wir drei Tage davon essen können. Die drei oder vier Teller, die du runterfetzen wirst, fallen nicht ins Gewicht.“
Christina lachte.
„Drei oder vier Teller?“, wiederholte sie fragend mit einem Seitenblick auf Friedels ein wenig füllige Konstitution. „Das ist eher deine Spielklasse.“
Er zog sein Handy aus der Hosentasche.
„Ich rufe gleich an.“
Es geschah in Wahrheit selten, dass Christina Menschen traf, die sich von ihrer in der Regel distanzierten, manchmal sogar unnahbaren Art völlig unbeeindruckt zeigten. Friedel war so ein Mensch. Während andere sich vor ihrem apart-sportlichen, häufig eleganten, kühlen und wenn nötig streitbaren Auftreten abschrecken ließen und lieber einen Sicherheitsabstand zur Frau Abteilungsinspektor hielten, hatte Friedel von Anfang an genau darauf gepfiffen und die um sieben Jahre ältere, im Dienstgrad weit über ihm stehende Polizistin wie eine gute alte Freundin angesprochen. Friedel redete alle und jeden so an, und zwar so lange, bis der oder die Betreffende unmissverständlich zu erkennen gab, nicht jovial und auf gleicher Höhe angesprochen werden zu wollen. Genau das hatte Christina nicht getan, sie hatte zugelassen, dass er nicht nur ein Kollege war, sondern jemand, der sie aus dem Stegreif zum Essen in seine Wohnung einladen wollte und auch durfte.
„Hallo Vesna, Folgendes …“
Christina lauschte dem Telefonat mit einem Schmunzeln.