Читать книгу Moorhammers Fest - Günter Neuwirth - Страница 24
19
ОглавлениеJens Tillmann nippte an seinem Glas Mineralwasser. Er hatte nie verstanden, warum sich die allermeisten Männer dem Alkohol so zugetan zeigten, er fand es einfach uninteressant, betrunken zu sein. In der Jugend hatte er mit seinen Kumpels das eine oder andere Saufexperiment gewagt und festgestellt, dass ihm Betrunkenheit als existenzieller Zustand in Wahrheit widerlich war. Was kam zutage, wenn Männer sich betranken? Nach den ersten paar Gläsern war einer vielleicht gelockert und ließ ohne große Hemmungen den Strom der Gedanken und Gefühle fließen, was durchaus witzig und interessant sein konnte, aber kaum stieg der Pegel, wurden selbst die Kerle, denen man nüchtern mit gutem Gewissen Niveau, Stil und Intellekt attestieren konnte, zu lächerlichen Idioten. Jens hatte nicht vor, sich jemals zum Idioten zu machen, nicht vor anderen und schon gar nicht vor sich selbst. Außerdem hatte Jens Tillmann schon in jungen Jahren festgestellt, dass er sich nicht an den juvenilen Ritualen seiner männlichen Altersgenossen zu beteiligten brauchte, um von den Mädchen bemerkt zu werden. Er hatte bloß sein individuelles Profil hervorstellen müssen, um aufzufallen. Er war groß, blond und schlank, seine Züge waren schon in jungen Jahren kantig, beinahe streng gewesen, er hatte immer schon ernst und tiefgründig gewirkt, und sobald er sich ans Klavier gesetzt hatte, hatten auch jene Mädchen, auf die er ein Auge geworfen hatte, lebhaftes Interesse entwickelt. Er hatte nie zu seinem Klavierspiel gesungen, er mochte seine Stimme beim Gesang nicht, zum Troubadour oder Minnesänger war er von Anfang an nicht geeignet, deshalb hatte er sich für das Studium der Komposition entschieden und darin geglänzt. Einer seiner Kommilitonen hatte ihn ein einzelgängerisches Genie genannt. Ein stimmiges Image, das er nur allzu gerne vor sich hergetragen und das auch auf viele Frauen höchst anziehend gewirkt hatte. Nun aber, heute und hier, waren ihm all die Frauen, die ihm interessierte Blicke zuwarfen, egal, was heißt egal, er bemerkte sie nicht einmal. Er hatte nur Augen für eine. Und sie hatte auch Augen für ihn.
„Schmeckt dir der Wein nicht?“
Jens schreckte aus seiner Grübelei hoch. Er musterte den Gastgeber des heutigen Abends von der Seite.
„Ich habe dir noch gar nicht zum Geburtstag gratuliert.“
„Du gratulierst mir nicht, du verschmähst den Schweinebraten und trinkst meinen Wein nicht. Du bist ein schwieriger Gast.“
„Verzeih, ich will es nicht an Höflichkeit mangeln lassen. Gratuliere zum Geburtstag. Und Schweinebraten esse ich nie, ich habe den Kräuteraufstrich gekostet. Sehr gut. Und zuvor habe mit dem exzellenten Sekt auf dein Wohl angestoßen. Ich trinke wenig, weil ich mit der Vespa unterwegs bin.“
Gottfried lachte brummend.
„Man könnte dich für einen Transzendentalphilosophen halten. Oder einen asketischen Mystiker.“
„Nun, jeder liebt das Leben auf seine Art.“
Gottfried kippte sein Weinglas.
„Ich habe im letzten Herbst in Bochum deine Oper gehört.“
„Die erste oder die zweite Aufführung?“, fragte Jens schmunzelnd. Gottfried ignorierte die Selbstironie und nickte ihm zu.
„Ich habe die halbe Nacht kein Auge zugetan und pausenlos die Chöre des Finales gehört. Ein Meisterwerk, mein Freund! Und gerade weil die dumme Masse das nicht versteht, beweist mir, dass mein Urteil richtig ist. Grandiose Tonkunst.“
Für eine Weile lag Stille zwischen den Männern.
„Ich habe dir nie von meinem Aufenthalt in New York erzählt“, murmelte Jens.
„Hast du nicht.“
„Ich bin wohl eine Stunde vor deinem Monument in Manhattan gestanden. Ich habe es nicht glauben können, welche Gefühle und Gedanken man in Stein schlagen kann. Erstmals habe ich die Kraft der Bildhauerei wirklich verstanden.“
Wieder standen die beiden eine Weile schweigend Schulter an Schulter.
„Und wenn du“, brummte Gottfried düster, „Adna weiter mit deinen begehrlichen Blicken verfolgst, dann werde ich dich eigenhändig erschlagen.“
Ein Schmunzeln wischte kurz über Jens’ Gesicht. „Von der starken Hand des Meisters erschlagen! Ich würde in ein spektakuläres Kapitel der Kunstgeschichte eingehen.“
„Mach dich nur lustig, aber bereue deine Späße nicht zu spät.“
Jens wandte sich Gottfried zu, in seiner Miene lag keinerlei Ironie.
„Die lackierten Affen hier wissen es noch nicht und du verschleierst es zugegebenermaßen sehr geschickt, aber du bist am Ende, alter Mann, du bist ausgebrannt, ein Wrack. Du erschlägst niemanden mehr, und mich am allerwenigsten. Trink noch eine Flasche Wein, das ist alles, was dir übrig bleibt.“
Gottfried lächelte über das ganze Gesicht und zwinkerte Jens zufrieden zu.
„Viel Spaß an diesem Abend, mein Freund, genieße die Zeit in meinem Haus. Lass dich mal so richtig gehen und nimm noch etwas Grünzeug und Mineralwasser. Niemand soll sich über meine Gastfreundschaft beschweren.“