Читать книгу Moorhammers Fest - Günter Neuwirth - Страница 7
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ОглавлениеJens packte das Fernglas in den Rucksack und zog die Sturmhaube über. Zum Glück war es nicht sehr heiß, so würde er trotz Haube und Handschuhen nicht allzu sehr schwitzen. Immerhin hatte er hier keine Stacheldrahtzäune oder hohe Mauern zu überwinden. Und im Gebäude war keine Alarmanlage installiert, das wusste er. Eigentlich ein leichtes Spiel, aber er war kein professioneller Einbrecher, er war überhaupt kein Einbrecher, weder ein Profi noch ein Amateur. Es gab keine Alternative, er musste es tun. Absolut keine Alternative! Jens fluchte still in sich hinein.
Er spähte um sich, konnte aber weit und breit niemanden entdecken. Über eine Stunde hatte er im Versteck gewartet, dann war Moorhammer mit seinem Geländewagen abgefahren und hatte den ehemaligen Bauernhof still hinter sich gelassen. Jens hatte wie geplant eine Viertelstunde gewartet, ob Moorhammer eventuell schnell zurückkehren würde, etwa weil er seine Geldbörse oder sein Handy oder weiß der Teufel was vergessen hatte, aber der Toyota Hilux war nicht wieder auf den Hof gerollt. Moorhammer würde also frühestens in zwei Stunden hier wieder auftauchen.
Jens lief los, überquerte die Wiese, duckte sich im Schatten der ehemaligen Scheune. Vorteilhaft, dass der Hof so weit abseits lag, keine Nachbarn hielten hier neugierig Maulaffen feil und hatten nichts Besseres zu tun, als vermummte Schatten, die über den Nachbarhof schlichen, bei der Polizei zu melden. Leichtes Spiel eigentlich, dennoch schnappte Jens nach Luft.
Er wusste, wo der Reserveschlüssel lag. Ein Lohn seiner Mühen, tagelang mit dem Fernglas das Haus beobachtet zu haben. Moorhammers Haushälterin Barbara Satzberger hatte einmal ihren Schlüssel vergessen und war zielgerichtet zum Holzstapel hinter dem Haus marschiert. Für Jens war es danach ein Kinderspiel gewesen, das Versteck ausfindig zu machen.
Jens steckte den Schlüssel an und drehte ihn im Schloss. Er öffnete die Hintertür nur einen Spalt und schlüpfte hinein. Vorsichtig lauschte er in das große alte Haus. Mehrere Generationen an Bauersleuten, Gottfried Moorhammers Vorfahren, und das Gesinde hatten hier gelebt und die Mauern mit Leben erfüllt, nun aber umgab den ungebetenen Gast völlige Stille. Jens putzte sorgsam seine Sportschuhe ab. Er schaute auf seine Armbanduhr. Und eilte los.
Vorsichtig öffnete er die Schubladen des Schreibtisches. Er durfte keine Spuren hinterlassen, nichts durfte darauf hindeuten, dass er hier herumgeschnüffelt hatte. Die Situation kam Jens grotesk vor. Er war weder Einbrecher noch Detektiv, er war Komponist! Was tat er hier eigentlich? Er biss auf seine Lippen. Keine Selbstzweifel, jetzt war er schon mitten drinnen, jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen, jetzt musste er an das Ziel denken.
Über eine halbe Stunde verbrachte er damit, Moorhammers Büro zu durchsuchen. Zum Glück legte der große Mann keinen Wert auf penible Ordnung, Bücher, Papiere und allerlei Krimskrams lagen in wilden Haufen umher. Moorhammer würde bestimmt nicht bemerken, dass sein Büro durchsucht worden war.
Jens fluchte. Nichts, keine Spur von den Dokumenten. Wo war ihr Reisepass? Adna hatte doch gesagt, dass er hier irgendwo verwahrt sein musste. Hatte sie ihn getäuscht? War hier irgendwo im Haus ein versteckter Tresor in die Mauer eingelassen?
Vielleicht im Atelier!
Jens verließ das Wohngebäude, versperrte die Hintertür, huschte zum Atelier im hinteren Teil des Anwesens und betrat die Arbeitsräume des Bildhauers. Die Tür war nicht versperrt. Große Nordfenster, massige Steinblöcke, teilweise in rohem Zustand, teilweise behauen, eine wuchtige, mehrere Meter breite Werkbank mit dem Werkzeug, vom einfachen Steinmetzhammer bis zu Präzisionsschleifmaschinen. Jens war beeindruckt. War er von Moorhammers Arbeit immer gewesen. Darin machte er sich nichts vor, er bewunderte den bärbeißigen Mittfünfziger. Jens’ Metier waren Töne, Melodien, Klänge, luftige und flüchtige Momente des Hörens, hier aber arbeitete ein Mann mit nacktem Stein, Marmor, Granit, Kalk, gleichsam dem diametralen Gegenteil von Musik. Und dieser Mann arbeitete gut, verdammt gut sogar. Jens’ Handschuh strich über die steinerne Oberfläche eines weiblichen Gesäßes. Er wusste, wessen Gesäß für diese halb fertige Skulptur als Vorbild gedient hatte, er wusste es zu gut. Jens war eigentümlich erregt. Sein Blick fiel auf den Zeichentisch. Von unentrinnbarer Gravitation angezogen trat er näher. Er schnappte nach Luft. Moorhammers Skizzen. Jens schüttelte den Kopf. War es möglich, dass ein Mann mit derartig breitem Korpus und massigen Händen Bleistiftzeichnungen von solch feinsinniger und filigraner Schönheit anlegen konnte? Unglaublich, aber wahr. Nur mit wenigen Strichen und Schattierungen hatte Moorhammer Adnas Schönheit auf Papier gebannt.
Jens klappte eine großformatige Mappe auf. Seine Augen öffneten sich weit. Aktfotos. Er blätterte atemlos durch die Bilder. Im A3-Format ausgedruckte Fotos, die Moorhammer mit seiner Digitalkamera von Adna geschossen hatte. Die Erotik der Bilder ließ Jens beinahe die Luft vor den Augen flirren. Das waren keine aufreizenden Pin-up-Bilderchen oder aufdringlichen Pornos, das waren Studien weiblicher Schönheit in klassischen Posen. Dieser Teufelskerl Moorhammer hatte einfach einen begnadeten Blick für den Moment der optischen Sensation.
Jens schüttelte die Begeisterung von sich. Er durfte sich hier nicht der Kunstbetrachtung hingeben, er musste an sein Ziel denken. Wo war der verfluchte Reisepass?
Jens hörte ein Auto. Seine Pulsfrequenz beschleunigte sich schlagartig. Er eilte ans Fenster und lugte hinaus. Ein roter Peugeot Kombi, Barbara Satzbergers Auto. Sie durfte ihn um keinen Preis entdecken. Jens beobachtete, wie Barbara den Kofferraum ihres Wagens öffnete, einen Karton heraushob und in die vordere Scheune trug. Was für ein Glück! Jens lief sofort los. Wenn Barbara den Einkauf, wahrscheinlich Geschirr, Getränke oder sonstige Dinge für Moorhammers Fest, in die vordere Scheune lud, dann würde sie ihn bei genügender Vorsicht nicht entdecken. Mit schnellen Bewegungen legte Jens den Schlüssel in sein Versteck zurück.
Wenig später hockte er im Gebüsch und lugte durch das Fernglas. Moorhammers Haushälterin hatte ganz offensichtlich nichts von seiner Anwesenheit in Haus und Atelier bemerkt. Immerhin das war geglückt. Aber bei seiner Suche war er nicht ans Ziel gekommen. Jens zog die HK P10 aus dem Gurt und packte die Waffe wieder in den Rucksack. Fluchend lief er in den Wald.