Читать книгу Moorhammers Fest - Günter Neuwirth - Страница 20
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ОглавлениеJens sah den schwarzen Mercedes weit vor sich, aus der Entfernung konnte er sogar erkennen, dass jemand den rechten Arm und den Kopf aus dem Fenster der Beifahrerseite streckte. Er wusste nur zu gut, wer die Beifahrerin war, deren dunkles Haar im Wind tanzte. Jens biss die Zähne zusammen und stieg kräftig in die Pedale.
Er war ein Mann der Zweiräder. Für den täglich praktizierten Sport stieg er auf sein Mountainbike, für Kurzstreckenfahrten auf seine Vespa und für längere Strecken nahm er seine BMW Enduro. Er machte sich auf Zweirädern gut, ein groß gewachsener, schlanker Mann, agil und kantig, ausdrucksstark und ausdauernd, sowohl im Sportdress als auch in der Lederkluft gab er eine gute Figur ab, viele Frauen fanden ihn interessant. Er hatte mit seinen Zweirädern einen eigenen, unverwechselbaren Stil kreiert, und er kaschierte damit sehr geschickt, dass er sich die Autos, die ihm gefallen und die für sein Image etwas hergegeben hätten, schlicht und einfach nicht leisten konnte. Verdammtes Geld.
Seit einem Jahr lebte er nun schon in Windischgarsten in einer schmucken, aber unspektakulären Wohnung und arbeitete am E-Piano, an den Synthesizern, am Schreibtisch und am Computer an seinen Kompositionen. Seine neue Oper gedieh nicht sehr schnell, aber sie würde wieder seinen hohen Ansprüchen genügen. Er hatte Heiner vor einem Monat Auszüge des ersten Aktes am Piano vorgespielt, hatte seine Partitur erklärt, das Libretto ausgedruckt. Heiner war wie immer begeistert gewesen und hatte den offenen Schuldschein ohne mit der Wimper zu zucken eingesteckt. Was würde Jens ohne Heiner und dessen Stiftung tun? Wieder in der Bruchbude in seiner Heimatstadt Münster wohnen? Wieder in der total versifften Künstler-WG in Dortmund? Es war zum Verzweifeln.
Die Kritik überschlug sich jedes Mal wieder mit Lob, wenn eines seiner Stücke Premiere hatte, aber das Publikum blieb den Aufführungen fern und die TV-Anstalten sendeten Aufzeichnungen, wenn überhaupt, erst nach Mitternacht. Er hatte zwar schon eine respektable Zahl an Preisen eingeheimst, deren Gelder ihm aber im besten Fall ein karges Auskommen sicherten. Von den finanziellen Mitteln, die ihm den Lebensstil ermöglichten, der ihm vorschwebte, war er weit entfernt. Mit wachsender Panik hatte Jens die Einsicht gewonnen, dass er mit seiner intellektuellen, komplexen, absolut gegen den Strich des populären Geschmacks gebürsteten Musik niemals das Geld verdienen würde, das ein hübsches Popsternchen mit einem völlig belanglosen Liedchen aus der Retorte in nur einem Quartal einstrich. Oder vielmehr deren Produzent, denn Popsternchen verglühten schnell, Produzenten blieben und verdienten gut.
Einmal hatte er sich an einem Musical versucht, hatte versucht, in der Populärmusik Fuß zu fassen. Es war ein Fiasko gewesen. Nach drei Aufführungen hatte die Bühne das Stück abgesetzt, sein Ruf als Musicalkomponist war auf Lebzeiten ruiniert und nur mit größter Mühe und einer Phase extremer musikalischer Avantgarde hatte er seinen Status als ernsthafter Komponist wiederherstellen können.
Und jetzt? Und heute?
Jetzt und heute würde Jens sechshundert Höhenmeter mit dem Fahrrad abspulen, würde mit eiserner Disziplin wie an jedem Nachmittag seinem Körper Höchstleistung abverlangen. Vormittags hatte er drei Stunden konzentriert gearbeitet, danach das Mittagessen, Salat mit Vollkornbrot, zu sich genommen und eine halbe Stunde seine Yogaübungen gemacht. Und abends würde er zu Moorhammers Fest gehen, Mineralwasser trinken, einen Happen essen, er würde Heiner schmeicheln, seine Waffe ziehen, die reichen Pinkel auf der Party der Reihe nach liquidieren, Adna packen und mit ihr, der Einzigen, der Wunderbaren, die Flucht ergreifen. In die Berge türmen. In die Wüste. In den Wald. Egal wohin, einfach fort, sie lieben bis in die Ewigkeit und Dunkelheit, mit ihr dem Chor der Engel und den Posaunen der Hölle lauschen, zum Dämon der Wollust, Ekstase und Wut werden.
Das Mountainbike verschwand beinahe lautlos im Wald.