Читать книгу Moorhammers Fest - Günter Neuwirth - Страница 5
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Gottfried Moorhammer pochte erneut gegen die Tür. Nur der Gesang einer Amsel und das entfernte Summen von Bienen waren zu hören, keine Schritte auf dem knarrenden Holzboden im Haus, kein Klappern von Geschirr oder Rumpeln der alten, schweren Stühle.
Er schaute sich um. Der Bergriederhof hatte sich in all den Jahrzehnten nicht verändert, so als ob hier oben auf dem Südhang des Tambergs Zeit keine Rolle spielte. Schon immer standen hier knorrige Apfel- und Birnbäume, schon immer sah der Stadel aus, als ob er beim nächsten Gewitter weggespült werden würde, und das Haus wirkte, als ob das mit roten Tonschindeln gedeckte Dach nur aus Höflichkeit nicht über den Leuten zusammenbrach, die hier an die Tür klopften. Gottfried Moorhammer ließ seinen Blick schweifen und atmete tief ein. Wer hielt heutzutage schon Ziegen, deren Stallgeruch in der Luft lag? Wer ließ das Gras wachsen, bis sich ein Schnitt mit der Sense lohnte? Wer brannte solch hervorragenden Schnaps und sammelte solch köstlichen Honig wie Katharina Moser? Wo war die alte Hexe bloß? Gottfried tat ein paar Schritte im noch taufeuchten Gras.
„Kathi, bist du da?“
„Was schreist du so herum, verflixt noch mal? Machst ja die Viecher scheu.“
Gottfried drehte sich um die eigene Achse und stemmte seine Fäuste in die Hüfte. Eine groß gewachsene Frau mit einem kunstvoll geflochtenen grauen Zopf und einer auf der Schulter getragenen Harke kam um die Ecke.
„Meine Güte, Kathi“, rief er aus, „du bist ja seit unserem letzten Treffen noch schöner geworden!“
„Du Rabenbraten, du elender, dir werde ich geben. Da so herumzupöbeln. Willst du meine Tür einschlagen?“
Gottfried trat an Kathi heran, umarmte sie stürmisch und drückte ihr eine ganze Serie von Küssen auf Wangen und Hals. Er grapschte nach ihrem Gesäß.
„Dein Hintern wird auch immer knackiger. Und das mit sechzig Jahren! Wie machst du das bloß?“
Kathi schubste Gottfried zur Seite und schüttelte den Kopf.
„Nichts als Unfug im Kopf. Und ich bin dreiundsechzig, du Esel.“
„Dein Küchengarten ist ein Traum. Jedes Mal wieder bin ich begeistert.“
Gottfried wies mit weiter Geste über die eingezäunten Gemüsebeete.
„Ich habe schon gehört, dass du wieder im Land bist. Bleibst du diesmal länger?“
Gottfried nickte.
„Zu Hause ist es halt doch am schönsten. Was brauche ich New York, Warschau, Tokio und Barcelona, wenn ich im Stodertal sein kann? Wenn alles gut geht, werde ich bis in den Winter hierbleiben.“
Der breitschultrige Mann mit den kräftigen Händen, dem dichten, grau durchzogenen Bart und den unergründlich blauen Augen holte tief Luft. Für einen Bauernsohn aus den Bergen hatte Gottfried Moorhammers Leben einen erstaunlichen Lauf genommen. Seine Steinskulpturen standen auf vielen Plätzen in den Metropolen der Welt, andere Arbeiten fanden sich in bedeutenden Museen und Sammlungen. Auch Professuren hatte man ihm angeboten, diese aber hatte er von sich gewiesen. Er war Künstler, kein Lehrer, er arbeitete hart und verkaufte viel und teuer. Gottfrieds älterer Bruder war in jungen Jahren tödlich verunglückt, so war der elterliche Hof an ihn gefallen, als er in Wien an der Akademie der bildenden Künste studiert hatte. Gottfried hatte nicht ein Joch Wiese oder Wald verkauft, er hatte auch in den Jahren als bettelarmer Jungkünstler den Hof behalten, doch nach dem Tod seiner Eltern und während seiner Wanderjahre war der Hof verwildert und verfallen. Knapp nach seinem vierundvierzigsten Geburtstag, als er wegen einer gescheiterten Liebe eine tiefe seelische Krise durchlitten hatte, war er zurück in das Stodertal gekommen, hatte in seine da schon prall gefüllte Goldtruhe gegriffen und sein Geburtshaus vollständig sanieren lassen. Nach seinen Vorstellungen natürlich. So war aus dem ehemaligen Bauernhof ein Refugium der Kunst geworden, entlegen vom Dorf, umringt von Wiesen und Wäldern, auf denen keine Land- oder Forstwirtschaft mehr betrieben wurde, sondern die nach dem erklärten Willen ihres Besitzers Horte der Stille und des Wildlebens sein sollten. Der Wald und die verwilderten Wiesen schützten ihn, so Gottfrieds mehrfach geäußerte Anschauung, vor den vielen nervigen Touristen, die es im Sommer zum Wandern und im Winter zum Schifahren in die Berge rund um Hinterstoder zog.
„Hast du schon gefrühstückt?“, fragte Kathi.
„Nur eine Tasse Kaffee.“
„Dann komm rein. Ich schmiere dir ein Butterbrot und brate ein paar Eier. Erzähl mir eine von deinen verrückten Geschichten.“ Gottfried lächelte ihr zu.
„Du musst mir aber einen von deinen mystischen Tees kochen.“
„Das sowieso.“