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5.6 Entwicklung Andreas Kruse 5.6.1 Einleitung

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Entwicklungsprozesse im mittleren und höheren Erwachsenenalter sind erst vergleichsweise spät ein wichtiger Gegenstand entwicklungspsychologischer Forschung geworden. Die klassische Entwicklungspsychologie konzentrierte sich vielmehr auf das Beschreiben und Erklären von Veränderungen im Kindes- und Jugendalter; dies vor dem Hintergrund der Dominanz eines naturwissenschaftlichen Verständnisses von Entwicklung, demzufolge Veränderungen nur dann als Entwicklung zu beschreiben sind (bzw. Gegenstand entwicklungspsychologischen Interesses werden sollten), wenn sie als irreversibel, im Sinne einer »Entwicklungslogik« zwangsläufig, universell, invariant und durch einen qualitativ höherwertigen Endzustand begrenzt angesehen werden können. In seiner 1958 erschienen Arbeit zum Entwicklungsbegriff und zur Entwicklungstheorie hat Hans Thomae vorgeschlagen, Entwicklung als »Reihe von miteinander zusammenhängenden Veränderungen, die bestimmten Orten des zeitlichen Kontinuums eines individuellen Lebenslaufs zuzuordnen sind« (Thomae 1958, S. 29) zu definieren. Das hier vertretene historische Verständnis von Entwicklung bildet bis heute eine Grundlage (nicht nur) psychologischer Alternsforschung und erscheint als geeignet, um die aus der Sicht einer Entwicklungspsychologie der Lebensspanne zentralen Anforderungen an einen »modernen« Entwicklungsbegriff zu erläutern.

In diesem Zusammenhang ist zunächst hervorzuheben, dass die Definition von Thomae, anders als klassische Entwicklungsdefinitionen, nicht primär die Entfaltung und Ausdifferenzierung von Anlagen akzentuiert, sondern vielmehr lebenslange Veränderungen menschlichen Erlebens und Verhaltens stärker in das Zentrum des Forschungsinteresses rückt. Die Analyse von miteinander zusammenhängenden Veränderungen umfasst nicht nur im Erleben und Verhalten beobachtbare Veränderungen, sondern prinzipiell auch Veränderungen zweiter Ordnung (Brandtstädter 2007), also Veränderungen in den Mechanismen und Prozessen, die dem Erleben und Verhalten zugrunde liegen, womit prinzipiell auch die Erklärung von Stabilität (z. B. erhaltene Zufriedenheit trotz abnehmender Ressourcen und zunehmender Verluste) zu einem wichtigen Gegenstand entwicklungspsychologischer Analysen wird. Anders als in der traditionellen Entwicklungspsychologie und der Alltagssprache bezieht sich der Begriff Entwicklung im Kontext einer derartigen Definition nicht allein auf eine Veränderung zum Positiven, vielmehr sind Gewinne und Verluste gleichermaßen von Interesse, was zugleich für die Multidimensionalität von Entwicklungsprozessen sensibilisiert ( Kap. 5.1). Des Weiteren ist an der von Thomae vorgeschlagenen Definition hervorzuheben, dass der kulturelle und soziale Kontext berücksichtigt wird und damit den Einwänden, die in der Entwicklungspsychologie gegen eine Akzentuierung der chronologischen Zeit bei der Beschreibung psychischer Veränderungen im Kindes-, Jugend- und frühen Erwachsenenalter erhoben worden sind, Rechnung getragen wird: Mit dem Verweis auf den »individuellen Lebenslauf« können Entwicklungsprozesse über die Lebensspanne sowohl als Ergebnis sozialer Normierung oder kultureller Konstruktion ( Kap. 59) als auch als Ergebnis der individuellen Aufschichtung von Erfahrungen oder als das Resultat von Bemühungen um die Gestaltung eigener Entwicklung analysiert werden. Nicht zuletzt kann die von Thomae vorgeschlagene Definition für individuelle Unterschiede und die Heterogenität von Entwicklungsprozessen sensibilisieren.

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