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5.7.2 Bewältigung im Kontext von Daseinsthemen und Daseinstechniken
ОглавлениеDie in der Persönlichkeitstheorie von Hans Thomae getroffene Unterscheidung zwischen Daseinsthemen und Daseinstechniken oder Reaktionsformen als auf individuelle Daseinsthemen bezogene instrumentelle Einheiten, bildet einen umfassenden Zugang zum Verständnis von Bewältigung. Wenn man die Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst, mit seiner Situation oder den für ein gutes Leben zentralen Werten auffasst, dann nähert man sich einem Verständnis von lebenslanger Entwicklung, das Individuen als Agenten der eigenen Entwicklung betrachtet und die Abhängigkeit des Entwicklungsgeschehens von kognitiven Repräsentationen und motivationalen Prozessen (individuelle Zielbindungen, Bewertungen etc.) betont. Ein umfassendes Verständnis von Bewältigung muss damit dem dreifachen Zugang zur Individualität gerecht werden: Erstens ist zu berücksichtigen, dass Anforderungen, Aufgaben und Belastungen nicht als objektive Merkmale einer Situation angesehen werden können, insofern sie auf Wahrnehmungen, Deutungen und Bewertungen verweisen, in denen sich Menschen erheblich voneinander unterscheiden können. Zweitens muss berücksichtigt werden, dass Menschen auf Anforderungen, Aufgaben und Belastungen in sehr unterschiedlicher Weise reagieren können und alternative »Strategien« durchaus unterschiedlich bewertet werden. Drittens ist zu bedenken, dass Menschen in auf den ersten Blick vergleichbaren Situationen sehr unterschiedliche Zielzustände als angemessen ansehen und sich in ihrem Erleben von Sinn erheblich unterscheiden können.
»Um es ganz deutlich zu sagen: Da es bei der Feststellung, menschliches Verhalten sei sinngerichtet, um eine völlig subjektive Kategorie geht, können konkrete Formen der Sinnsuche die Leistung, die Aufopferung für ein Ideal, die Hinwendung zum Absoluten, aber auch genauso die Hingabe an den Alkohol, an die Pflege der eigenen Erscheinung oder an den Genuss von neuen Daseinserfahrungen mittels einer Droge sein. Das Besteigen des Matterhorns, das wöchentliche Wetten beim Lotto, die Faszination vom Fußball können in dieser Sicht ebenso als sinnvoll empfunden werden und strukturierend für eine individuelle Welt werden wie das, was man eine sexuelle Perversion nennt, was man unter staatsbürgerlich vorbildliches Verhalten, unter der Pflege der schönen Künste oder unter der Beschäftigung mit Astrologie versteht. In allen diesen Fällen wird sehr oft – manchmal nur für Minuten, aber doch auch für eine einigermaßen verlässliche Dauer – jene Stimmigkeit erlebt, welcher ein Lebewesen, welches seine Situation im Bewusstsein widerspiegelt, bedarf, um das Dasein tolerieren zu können« (Thomae 1968, S. 534).
Daseinsthemen beschreiben Leitmotive des Verhaltens, mithin motivational-kognitive Orientierungssysteme, in denen Menschen ihre Sinnsuche zentrieren (Kruse und Schmitt 2015). Die Daseinsthemen sind Vollzugsformen, in denen sich das Dasein zu verwirklichen sucht. Solche Themen lassen sich in ihrer Zahl kaum festlegen. Sie bilden in ihrer Gesamtheit jene thematische Struktur, vor deren Hintergrund sich die Auseinandersetzung des Individuums mit konkreten Lebenssituationen vollzieht. Inwieweit unterliegt diese thematische Struktur im Lebenslauf Veränderungen, inwieweit bleibt diese konstant? Ziehen sich bestimmte Daseinsthemen kontinuierlich durch den Lebenslauf (im Sinne einer chronischen thematischen Strukturierung)?
Den Daseinstechniken kommt die Funktion von Mitteln zu, sie ermöglichen oder erleichtern die Verwirklichung von Daseinsthemen. Thomae umschreibt sie auch als »Verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen«. Was ursprünglich Daseinstechnik war, kann selber zum Daseinsthema werden. Durch Strukturierungen der Themata verleiht das Individuum seinen Handlungen, den Tagesläufen oder dem Lebenslauf Richtung und Bedeutung. »So gesehen wird das Konstruktum der thematischen Strukturierung als des wesentlichsten Prinzips personaler Geschehensordnung gleichzeitig zum principium individuationis« (Kruse und Schmitt 2015, S. 586). Unterschiedliches Verhalten in verschiedenen Situationen lässt sich deuten als unterschiedliche aktuelle thematische Strukturierung; gleichartige Verhaltensweisen über den Wechsel der Situationen hinweg lassen sich deuten als temporäre thematische Strukturierungen; wenn Interpretationen einer Situation über lange Zeiträume hinweg dominieren, so ist von chronischer thematischer Strukturierung zu sprechen. »Eine dynamische Interpretation der Persönlichkeit kann von hier aus als Lehre von der Interaktion aktueller, temporärer und chronischer thematischer Strukturierungen angesehen werden« (Kruse und Schmitt 2015, S. 498).