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5.9 Resilienz Andreas Kruse und Eric Schmitt 5.9.1 Einleitung: Zum Verständnis von Resilienz
ОглавлениеDer Begriff Resilienz ist von dem lateinische Verb resilire abgeleitet, das mit zurückprallen, zurückspringen, abprallen übersetzt werden kann. In der deutschsprachigen Literatur gängige Synonyme sind psychische Widerstandsfähigkeit und Invulnerabilität. Anders als die lateinische Wurzel des Begriffs nahelegen könnte, bezieht sich der Begriff nicht lediglich auf das empirische Phänomen, dass ein belastendes Ereignis an einem Individuum abprallt, in diesem keine negative Wirkung entfaltet, die sich in einer Störung des vor Eintritt des Ereignisses bestehenden psychischen Anpassungs- oder Funktionsniveaus zeigen würde. Vielmehr bezieht sich der Begriff Resilienz immer auf interindividuelle Unterschiede, kann sich Resilienz auch in einer vergleichsweise weniger deutlichen Störung zeigen. Des Weiteren ist Resilienz nicht lediglich als Ergebnis der Konfrontation mit aversiven Ereignissen und Herausforderungen (Outcome) zu verstehen, im Sinne von erhaltener, wiedergewonnener oder gesteigerter mentaler und körperlicher Funktionsfähigkeit zu verstehen, sondern auch als Prozess. Resilienz meint gerade nicht, dass im Entwicklungsprozess Probleme und Herausforderungen ausbleiben oder umgangen werden, sondern vor allem die erfolgreiche Auseinandersetzung mit Erfahrungen und Ereignissen: »…the model is not about lives of smooth sailing where all goes well and one manages to evade adversity but rather is about successful engagement with difficult events and experiences« (Ryff und Singer 2003, S. 21).
Das Konstrukt der Resilienz wurde vor allem in Studien zur Entwicklungspsychopathologie des Kindes- und Jugendalters eingeführt. Frühe Studien mit Hochrisikokindern, insbesondere Kindern schizophrener Patienten, belegen hier, dass sich die frühe Erwartung negativer Folgen in vielen Fällen nicht realisiert, viele der untersuchten Kinder frühe Beeinträchtigungen und Defizite überwinden und sich erfolgreich an die Umwelt anpassen (Luthar und Zigler 1991). Nachdem sich die entwicklungspsychopathologische Resilienzforschung anfänglich auf Resilienz begünstigende Merkmale von Risikokindern konzentrierte, ist für die 1980er und 1990er Jahre ein Wandel im konzeptuellen Verständnis von Resilienz erkennbar. Neben Merkmalen der Kinder wurden nun auch Merkmale der Familien und Merkmale der Umwelt in ihrer Bedeutung für die Persistenz von Störungen und Risiken untersucht, Resilienz wurde nicht mehr primär als Merkmal von Personen, sondern als Person-Umwelt-Konstellation interpretiert. Damit setzte sich auch die Auffassung durch, dass Resilienz nicht als generelles, sich auf alle Entwicklungsbereiche in gleicher Weise auswirkendes Phänomen, sondern als spezifisches bzw. fluktuierendes Phänomen aufzufassen ist, insofern positive Anpassung angesichts von Risiken und Schädigungen sowohl mit neuen Stärken als auch mit neuen Risiken und Vulnerabilitäten verbunden sein kann (Luthar et al. 2015).
Resilienz bezeichnet in der skizzierten entwicklungspsychopathologischen Perspektive zwei Phänomene: erstens die Aufrechterhaltung »normaler« Entwicklung trotz vorliegender Beeinträchtigungen und Risiken, zweitens die Wiederherstellung »normaler« Funktionsfähigkeit nach erlittenem Trauma. Eine über das ursprüngliche, vor der Konfrontation mit Risiken und Schädigungen bestehende Niveau hinausgehende Verbesserung wird zum Teil ebenfalls unter den Begriff Resilienz, zum Teil in Abgrenzung zum Resilienzbegriff als Thriving oder posttraumatisches Wachstum bezeichnet (Addington et al. 2016).
Wenn man sich mit dem Alter beschäftigt, dann zeigt sich Resilienz in stärkerem Maße auch, drittens, im Umgang mit Einschränkungen und Verlusten, einem effektiven Verlustmanagement (Greve und Staudinger 2006). Wenn man berücksichtigt, dass die mit dem hohen Alter zunehmenden Verluste und Risiken nicht nur die Selbst- und Weltsicht des Menschen infrage stellen, sondern auch neue Perspektiven auf Selbst und Welt eröffnen, Reflexionsprozesse und aus diesen resultierende Einsichten und Deutungen motivieren und ermöglichen können (Kruse 2017), dann erweist sich die Untersuchung von Prozessen psychischen Wachstums (»flourishing under fire«, Ryff und Singer 2003) gerade im hohen Alter als eine fruchtbare Perspektive von Resilienzforschung.