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5.9.3 Empirische Befunde zur Resilienz im Alter

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Bedeutsam für das Verständnis von Vulnerabilität, schützenden Faktoren und Resilienz im hohen Alter sind die in der Berliner Altersstudie vorgenommenen Analysen (Staudinger et al. 2010). Vor dem Hintergrund vorliegender Studien zur Entwicklung im höheren und hohen Alter kann als gesichert angesehen werden, dass der Alternsprozess mit einer erhöhten Auftrittswahrscheinlichkeit verschiedenartiger Belastungen und Ressourcenverlusten verbunden ist, dass aber zugleich die Zufriedenheitswerte im Alter nicht geringer sind. Das sogenannte »Zufriedenheitsparadoxon« (Staudinger 2000), demzufolge sich eine objektive Verschlechterung der Lebenssituation nicht auf die subjektive Bewertung der Situation auswirkt, verweist auf Vulnerabilitäts-Resilienz-Konstellationen im Alter. Inwieweit, so ist zu fragen, können produktive Anpassungsleistungen des Selbst dazu beitragen, trotz eingetretener Verluste das frühere psychische Anpassungs- und Funktionsniveau wiederherzustellen oder aber zu einem neuen Anpassungs- und Funktionsniveau zu finden? In diesem Kontext wird Resilienz als eine spezifische Form der Plastizität gedeutet (Staudinger et al. 1995), weil angesichts zunehmender Verluste das Selbst neue Anpassungsleistungen erbringen muss, die es besonders herausfordern, die aber – im Falle erfolgreicher Anpassung – zugleich die produktiven oder kreativen Kräfte des Selbst unter Beweis stellen. In den Analysen von Staudinger et al. bilden gesundheitliche Beeinträchtigungen und sozioökonomische Einschränkungen unabhängige Größen, Zufriedenheit und Depression abhängige Größen. Resilienz hat zum einen direkte Einflüsse auf die Zufriedenheit im Alter, zum anderen beeinflusst sie den Zusammenhang zwischen den genannten unabhängigen und abhängigen Größen. Letzteres bedeutet zum Beispiel, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen und sozioökonomische Einschränkungen nicht notwendigerweise zu geringerer Zufriedenheit und zu stärkerer Depression führen. Hier kann ein Verarbeitungs- und Bewältigungsprozess unter Nutzung bestehender Ressourcen angenommen werden, der die Anpassung des Individuums fördert und damit vor (stärkeren) Verlusten im Merkmal Zufriedenheit oder vor zunehmenden Werten im Merkmal Depression schützt.

Allerdings sind mit Blick auf das hohe Alter auch die Grenzen der Resilienz zu berücksichtigen. Auch wenn aufgrund der interindividuellen Unterschiede in der Resilienz nur von vergleichsweise geringen Einflüssen des Alters mit Blick auf eine Abnahme der Zufriedenheit und einer Zunahme der depressiven Symptomatik auszugehen ist, darf doch nicht übersehen werden, dass aufgrund der Zunahme an Vulnerabilität wie auch der Abnahme an Ressourcen im hohen Alter die Grenzen der Resilienz schneller erreicht sind. Diese zeigen sich speziell bei jenen Menschen, die von einer ausgeprägten Vulnerabilitätskonstellation betroffen sind und zugleich nur über wenige Ressourcen verfügen (Aspinwall und Staudinger 2003). Die Sensibilisierung für die Grenzen der Resilienz ist deswegen so wichtig, weil sie die Entwicklung spezifischer Präventions-, vor allem aber Interventionsstrategien mit dem Ziel nahelegt, (a) bestimmte Formen von Verletzlichkeit zu vermeiden bzw. erkennbar zu reduzieren und (b) Ressourcen aufzubauen, aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, die sich positiv auf die Widerstandsfähigkeit des Individuums auswirken.

Belastende Situationen sind nach Brandtstädter (2007b) dadurch gekennzeichnet, dass Handlungs- und Lebensroutinen ihre gewohnten Wirkungen und Bedeutungen verloren haben. Damit stellt sich dem Individuum auch die Aufgabe, neue Sinnquellen zu erschließen. Jene Menschen, die offen für verschiedenartige Sinnquellen sind, werden belastende Situationen eher verarbeiten und bewältigen können. Sie zeichnen durch höhere adaptive Flexibilität und Resilienz aus. In diesem Zusammenhang sind nach Brandtstädter vor allem die folgenden protektiven Merkmale wichtig: Problemlösungskapazitäten, positives Selbstbild, Humor, soziale Fertigkeiten, emotionale Stabilität, gute familiäre Beziehungen. Dabei geht Brandtstädter davon aus, dass protektive Merkmale und Prozesse vielfach erst durch belastende Bedingungen aktiviert werden.

Neben problem- und emotionsorientierten Bewältigungsprozessen (erstere zielen auf Veränderungen der Situation, letztere auf die Veränderung von Emotionen und Affekten) sind Anpassungen des Anspruchsniveaus und Änderungen grundlegender Einstellungen des Individuums zu beachten. Gerade im hohen Lebensalter sind Anpassungen des Anspruchsniveaus sowie Änderungen grundlegender Einstellungen des Individuums von allergrößter Bedeutung, wenn man bedenkt, dass sich in dieser Lebensphase viele Verluste als endgültig erweisen (man denke hier nur an den Tod nahestehender Menschen oder an körperliche und kognitive Einbußen, die durch Intervention höchstens gelindert, aber nicht mehr aufgehoben werden können) und somit Neuorientierungen des Individuums verlangen. Zudem ist mit Blick auf die im hohen Alter sehr begrenzte Restlebenszeit zu bedenken, dass mehr und mehr Ziele definiert, mehr und mehr Sinnquellen erschlossen werden müssen, deren Verwirklichung und Erfüllung nicht mehr innerhalb der Restlebenszeit realisierbar sind. Hier kommt der Entwicklung selbsttranszendenter Einstellungen (zum Beispiel Weitergabe von Wissen und Erfahrungen mit dem Ziel, den Entwicklungsweg nachfolgender Generationen positiv zu beeinflussen, oder Einordnung der eigenen Biografie in umfassendere Sinnbezüge) eine hervorgehobene Stellung zu.

In einer Studie zu Handlungs- und Sinnressourcen im höheren und hohen Lebensalter (Altersbereich: 67–83 Jahre) haben Brandtstädter et al. (2003) zwischen vier grundlegenden Ressourcenbereichen unterschieden und deren protektive Effekte untersucht: (1) personale Handlungsressourcen (Selbstständigkeit, Gelassenheit, Gesundheit); (2) soziale und materielle Handlungsressourcen (gute Beziehungen, Einfluss und Ansehen); (3) lebensgeschichtliche Ressourcen (Lebensbilanzierung, Erinnerungen); (4) wert- und glaubensbezogene Sinnressourcen. In den höchsten Altersgruppen war eine Abnahme personaler Handlungsressourcen, zugleich aber eine Zunahme der lebensgeschichtlichen Ressourcen und Sinnressourcen erkennbar. Die personalen Handlungsressourcen waren für die Lebensqualität in den höchsten Altersgruppen in deutlich geringerem Maße entscheidend als die lebensgeschichtlichen. Auch in diesem Befund zeigt sich die Bedeutung selbsttranszendenter Einstellungen für die Bewältigung von Belastungen, zeigen sich aber zugleich auch seelisch-geistige Entwicklungspotenziale.

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