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5.7.4 Bewältigung als Prozess

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Gerade in der Psychotraumatologie wird betont, dass Bewältigung als ein prozesshaftes Geschehen zu verstehen ist und die Adaptivität alternativer Reaktionsformen vom Zeitpunkt ihres Auftretens, ihrer Persistenz sowie den jeweils vorausgehenden und sich anschließenden Reaktionsformen abhängt.

Nach Horowitz (1993) lässt sich die Bewältigung von belastenden Lebensereignissen und Traumata in einem Phasenmodell abbilden: Nach einer (kurzen) Schockphase, die durch heftige emotionale Ausbrüche in Form von Angst, Trauer oder Wut gekennzeichnet ist, wechseln sich Phasen der Leugnung und selektiven Unaufmerksamkeit mit Phasen der Aufmerksamkeitszuwendung, insbesondere auch in Form unkontrollierbarer, intrusiver Gedanken, ab. Hierbei ist die Leugnung bzw. Weigerung, sich an das traumatisierende Geschehen zu erinnern, zunächst eine durchaus adaptive Reaktion, da sie die Person vor einer emotionalen Überwältigung schützt. Gleiches gilt für die Intrusion, da durch das Sich-Aufdrängen von Erinnerungen an das Erlebte verhindert wird, dass sich die Person allzu weit von der Realität entfernt und so ihre Funktionstüchtigkeit verliert. Nach Horowitz geht die Oszillation zwischen Leugnung und Aufmerksamkeitszuwendung mit fortschreitendem Verarbeitungsprozess zurück, im Laufe der Zeit sollte es der Person in einer Phase des Durcharbeitens gelingen, das traumatische Geschehen allmählich zu akzeptieren und in ihre Selbst- und Weltsicht zu integrieren.

Sofern der Person die Verarbeitung des erlittenen Traumas nicht gelingt, sind je nach der Phase, in der es zu einer Stagnation des Verarbeitungsprozesses kommt, unterschiedliche pathologische Reaktionen zu beobachten. So können aus einem Persistieren der Weigerung, sich an das Erlebte zu erinnern, extreme Vermeidungsreaktionen (unter anderem in Form von Drogenkonsum) resultieren, die die Funktionstüchtigkeit der Person auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen. Stagniert der Bewältigungsprozess auf der Stufe des unerwünschten Sich-Aufdrängens von Erinnerungen und sind eine bewusste Konfrontation sowie – darauf aufbauend – eine kognitiv emotionale Verarbeitung nicht möglich, kommt es zu einer Überflutung mit traumabezogenen Gedanken und Bildern, die die Person gleichfalls handlungsunfähig macht. Stagniert der Verarbeitungsprozess in der an die Oszillation zwischen Leugnung und Aufmerksamkeitszuwendung anschließenden Durcharbeitungsphase, so treten entweder psychosomatische Reaktionen oder Persönlichkeitsstörungen auf ( Kap. 21).

Ähnlich wie Horowitz geht auch Filipp (1999) in ihrem Drei-Stufenmodell der Bewältigung von Verlusten und Traumata von einer Informationsverarbeitungsperspektive aus, die berücksichtigt, dass sich Menschen in der Verarbeitung von Belastungen nicht einfach an einer in ihrer Implikation für individuelle Wünsche, Ziele und Bedürfnisse eindeutigen Realität bzw. an einer Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand orientieren können, sondern Realität erst auf der Basis von Prozessen der Aufmerksamkeitszuwendung, persönlichen Konstrukten und Bewertungen konstruieren oder rekonstruieren. Im Prozess der Bewältigung von Verlusten und Traumata stellt sich vor allem die Aufgabe, eine objektive, durch »schlechte Nachrichten« gekennzeichnete Realität schrittweise in eine subjektive Realität zu überführen, in der ein relativ zufriedenstellendes (unbedrohtes) Weiterleben möglich ist. Entsprechend wird in diesem Modell zwischen drei fundamentalen Prozessen unterschieden, die zwar nicht notwendigerweise im Sinne einer Stufensequenz aufeinanderfolgen müssen, im Prozess der erfolgreichen Traumaverarbeitung aber dennoch häufig qualitativ unterschiedliche Stadien kennzeichnen: 1. attentive Prozesse, die zur Konstruktion einer »perzeptiven Realität« beitragen; zu beachten ist hier insbesondere die Verteidigung »positiver Illusionen«, 2. komparative Prozesse, die zur Überführung der perzeptiven Realität in eine Realität, die schrittweise toleriert, akzeptiert und gelebt werden kann, beitragen, 3. interpretative Prozesse, vor allem ruminierendes Denken, und das Bemühen, den Aspekten der wahrgenommenen Realität Sinn und Bedeutung zu verleihen.

Das von Filipp vorgeschlagene Modell geht ebenso wie jenes von Horowitz davon aus, dass ein Wechsel zwischen Aufmerksamkeitszuwendung und Leugnung unmittelbar nach dem Auftreten des traumatischen Erlebnisses insofern adaptiv ist, als einerseits eine sofortige Konfrontation des traumatischen Geschehens und seiner Implikationen für das Selbst- und Weltverständnis eine emotionale Überforderung bedeuten würde, andererseits aber eine aufrechterhaltene Verleugnung eine allzu weite Entfernung von der Realität bedeuten und die psychische Anpassung dauerhaft beeinträchtigen würde. Für beide Modelle kann festgestellt werden, dass auf eine Bewertung spezifischer Resultate der Verarbeitung im Sinne von normativen Standards verzichtet wird. Horowitz (1993) begnügt sich hier mit der Aussage, dass ein Durcharbeiten des traumatischen Erlebnisses a) notwendig ist und b) nach einer nicht näher definierten Zeitspanne abgeschlossen werden muss. Nur so könne sich die Person wieder auf ihre Zukunft hin orientieren und auf Dauer funktionstüchtig bleiben, das heißt, die Entwicklung von psychosomatischen Symptomen oder einer Persönlichkeitsstörung vermeiden ( Kap. 21). Auch das Modell von Filipp (1999) legt die Annahme nahe, dass sich betroffene Menschen früher oder später mit dem Trauma auseinandersetzen, diesem eine bestimmte Bedeutung verleihen müssen, um handlungsfähig zu bleiben. Indem aber im Anschluss an die Bemühung um Herstellung einer interpretativen Realität keine abschließende Phase postuliert wird, lässt das Modell durchaus die Möglichkeit zu, dass im Falle einer extremen Traumatisierung keine wirklich tragfähige »subjektive Realität« mehr hergestellt werden kann bzw. eine einmal hergestellte subjektive Realität prinzipiell nur vorläufigen Charakter haben kann.

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