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5.8 Soziale Teilhabe Andreas Kruse und Eric Schmitt 5.8.1 Einleitung: Soziale Teilhabe und gutes Altern
ОглавлениеEin aus gesellschaftlicher wie auch individueller Sicht gutes Altern ist an Möglichkeiten der sozialen Teilhabe oder – in den Worten der Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt – an einen angemessenen Zugang zum öffentlichen Raum sowie an dessen aktive Mitgestaltung (Arendt 1959) gebunden. Der öffentliche Raum beschreibt dabei jenen Raum, in dem sich Menschen (in ihrer Vielfalt) begegnen, sich in Worten und Handlungen austauschen, etwas gemeinsam beginnen – und dies im Vertrauen darauf, von den anderen Menschen in der eigenen Besonderheit erkannt und angenommen zu werden, sich aus der Hand geben zu können, für einen Menschen oder eine Sache engagieren.
Auf der Grundlage theoretisch-konzeptueller und empirischer Beiträge der Alternsforschung, aber auch auf der Grundlage von anthropologischen, ethischen und politiktheoretischen Beiträgen, lassen sich verschiedene Kriterien eines guten Alterns explizieren ( Kap. 5.1), die individuellen Ansprüchen und Präferenzen ebenso Rechnung tragen wie den für eine Kultur charakteristischen gesellschaftlichen Normen und Erwartungen (Kruse 2005). Dabei verweisen Kriterien wie Selbstständigkeit und Selbstverantwortung vor allem auf die Möglichkeit, verfügbare Ressourcen für die Verwirklichung individueller Bedürfnisse und Ziele – im Sinne einer aktiven Gestaltung eigenen Alterns – einzusetzen bzw. auf das Ausmaß, in dem Menschen in ihren Bemühungen um die Gestaltung des eigenen Lebens durch für sie nicht direkt beeinflussbare Determinanten bestimmt werden. Kriterien wie Generativität, Mitverantwortung und soziale Teilhabe akzentuieren stärker eine gesellschaftliche Perspektive, indem sie deutlich machen, dass ein »gutes Leben« im Alter grundsätzlich auf soziale Kontexte, auf die Bezogenheit auf andere Menschen, Angehörige der eigenen Generation wie auch jüngerer Generationen, verweist. Dabei ist die Bezogenheit auf andere Menschen weniger in einem instrumentellen Sinne, wonach die Verwirklichung individueller Bedürfnisse und Ziele immer auch von anderen Menschen abhängt, sondern vor allem in einem existenziellen Sinne gemeint. Menschen sind demnach im Kern als soziale und politische Wesen zu verstehen, sind in ihrer Verwirklichung von Potenzialen auf einen Zugang zum öffentlichen Raum angewiesen, und ein gutes Leben wird (nicht nur im Alter) erst durch ein Engagement im öffentlichen Raum verwirklicht (Kruse und Schmitt 2016). Kriterien, wie das Gefühl, gebraucht zu werden, die vor allem von Erikson als bedeutsame Aufgabe des hohen Lebensalters beschriebene Ich-Integrität und die für die Auseinandersetzung mit Grenzsituationen (nicht nur des Alters) zentrale, bewusst angenommene Abhängigkeit beziehen sich dagegen stärker auf Haltungen, die Menschen mit Blick auf ihre persönliche Lebenssituation, Vergangenheit und Zukunft einnehmen. Diese Haltungen müssen dabei nicht lediglich als Merkmal oder Fähigkeit der Person, sondern immer auch im Kontext der Bezogenheit auf andere wie auf die Gesellschaft insgesamt verstanden werden (Kruse 2017).
Gerade im Falle einer erhöhten Verletzlichkeit des Menschen (in physischer wie auch in kognitiver Hinsicht) gewinnt die Sozialraumgestaltung ein immer größeres Gewicht für die Erhaltung von Teilhabe und Selbstbestimmung. Für eine umfassende Übernahme von Verantwortung in der Kommune steht beispielhaft das Leitbild der Caring Community (Klie 2018). Dieser Ansatz beruht auf der Idee, dass Care-Leistungen am besten und nachhaltigsten als Mischung von professioneller, familiärer und zivilgesellschaftlicher Hilfe zu erbringen sind. Die Verantwortung für die bedürftigen Menschen innerhalb der Gesellschaft liegt in diesem Verständnis weder allein bei den, mit Pflegeaufgaben ohnehin weitgehend überforderten, Familien noch bei übergeordneten staatlichen Institutionen, sondern vielmehr »in der Mitte der Gesellschaft«. Hier geht es letztlich um die Schaffung und Verstetigung tragfähiger intergenerationeller Netzwerke, in denen die Unterstützung anderer durch Gefühle von Solidarität und Gegenseitigkeit motiviert wird. Diese sorgenden Gemeinschaften besitzen ein großes Potenzial zur Förderung von Teilhabe und Selbstbestimmung, da gerade sie den privaten Raum eines Menschen (oikos) mit dem öffentlichen Raum (polis) verknüpfen und dem für die subjektive Lebensqualität zentralen Bedürfnis nach Zugehörigkeit entgegenkommen. Dies wird besonders deutlich am Beispiel von »demenzfreundlichen Kommunen«. Es handelt sich dabei um regionale Initiativen, die sich um eine Enttabuisierung des Themas Demenz, eine Sensibilisierung für Bedürfnisse und Bedarfe von Menschen mit Demenz und eine Verbesserung von im Quartier bestehenden Integrationsmöglichkeiten bemühen.
Unabhängig von ihrem Lebensalter und dem Altersaufbau der Bevölkerung haben Menschen in demokratischen Gesellschaften ein grundlegendes Recht auf soziale Teilhabe. Die Aufgabe, entsprechende Möglichkeiten bereitzustellen bzw. Strukturen zu schaffen, die es Menschen gestatten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Gemeinschaft zu nehmen, stellt sich in allen demokratischen Gesellschaften. Gerade in alternden Gesellschaften gewinnen dabei Fragen der Generationengerechtigkeit an Bedeutung, und es stellt sich die besondere Aufgabe, die Bedürfnisse der heutigen Generation mit den Lebenschancen zukünftiger Generationen zu verknüpfen. Wenn die Verwirklichung von Ansprüchen und Bedürfnissen alter Menschen nicht zulasten nachfolgender Generationen gehen soll, also Generationengerechtigkeit gewahrt wird, dann kommt der alten Generation auch eine besondere Verantwortung für die Entwicklung, Aufrechterhaltung und Nutzung von Potenzialen und Ressourcen zu. Wenn zukünftige gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufgaben erfolgreich bewältigt werden sollen und die Konkurrenzfähigkeit und Innovationsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland auch angesichts eines zurückgehenden Anteils der jüngeren und mittleren Generation an der Bevölkerung erhalten, dann werden die kreativen und innovativen Potenziale des Alters in weit stärkerem Maße genutzt werden müssen als bisher. Ausgehend von der Zielvorstellung einer durch Generationensolidarität charakterisierten Gesellschaft kann hier aus allgemeinen demokratietheoretischen Überlegungen auch von einer Pflicht zur Partizipation gesprochen werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine solche Verpflichtung gesellschaftliche Strukturen, nicht zuletzt auch eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz sozialer und politischer Partizipation im Alter, und eine differenzierte Perspektive auf Ressourcen und Potenziale des Alters voraussetzt, die es in weiten Teilen erst noch zu verwirklichen gilt.