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5.8.4 Freiwilliges Engagement
ОглавлениеMit dem zunehmenden Anteil alter Menschen gewinnt auch deren soziales und politisches Engagement an Bedeutung für die Erhaltung von gesellschaftlicher Produktivität und Innovationsfähigkeit. Angesichts der im Vergleich zu früheren Geburtsjahrgängen besseren Ausstattung mit den Potenzialen Gesundheit, Bildung, finanzielle Ressourcen und Zeit sollten die heute alten Menschen im Vergleich zu früheren Generationen besser in der Lage sein, verantwortliche Aufgaben innerhalb der Gesellschaft zu übernehmen. Die mit dem demografischen Wandel verbundenen Veränderungen der Altersstruktur ( Kap. 2) sollten sich deshalb weniger gravierend auf die intergenerationelle Solidarität, die Generationengerechtigkeit und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit auswirken, als vielfach befürchtet. Denn der zunehmende Anteil alter Menschen kann durch die Entwicklung und Verwirklichung selbst- und mitverantwortlicher Potenziale mehr Beitrag zu Wirtschaft und Gesellschaft leisten und damit die jüngere und mittlere Generation entsprechend entlasten. Ein derart optimistisches Szenario setzt allerdings voraus, dass es gelingt, alter Menschen in angemessener Weise zur Übernahme einer entsprechenden Aufgabe zu motivieren. Angesichts veränderter Erwerbs- und Bildungsbiografien wird hier häufig davon ausgegangen, dass in Zukunft vor allem anspruchsvolle Aufgaben und Tätigkeiten nachgefragt werden, die eigenverantwortliches Handeln zulassen und gleichzeitig Möglichkeiten zum Austausch von Erfahrungen und zur gezielten Fort- und Weiterbildung eröffnen. Alte Menschen könnten auch im sozialen und politischen Engagement zukünftig stärker Innovationen anstoßen. Unabhängig davon, ob neue Generationen alter Menschen eine im Vergleich zu früheren Generationen qualitativ andere Form des Engagements bevorzugen und anstreben, spiegelt sich in der individuellen Engagementbereitschaft zum einen die Selbstsicht der Person wider (inwieweit ist diese davon überzeugt, tatsächlich einen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können?) und zum anderen das Ausmaß, in dem alte Menschen als kompetente und mitverantwortliche Bürger angesprochen und akzeptiert werden.
Schon heute tragen alte Menschen durch ihr soziales und politisches Engagement in erheblichem Maße zum Gelingen eines durch Generationensolidarität geprägten gesellschaftlichen Zusammenlebens bei. Es ist aus zahlreichen Untersuchungen bekannt, dass die Beziehungen zu Familienangehörigen der Kinder- und Enkelgeneration bis weit in das achte Lebensjahrzehnt durch Gegenseitigkeit gekennzeichnet sind, im Sinne eines Gleichgewichts zwischen den von anderen in Anspruch genommenen und den anderen gewährten emotionalen und instrumentellen Unterstützungsleistungen (Motel-Klingebiel et al. 2010). In unserer Gesellschaft wird zudem zunehmend zur Kenntnis genommen, dass zahlreiche Vereine und Initiativen ohne das ehrenamtliche Engagement alter Menschen in ihrem Bestand gefährdet wären und alte Menschen in erheblichem Umfang zum Gelingen der Sozialisation nachfolgender Generationen und zum Funktionieren des sozialen Sicherungssystems der Bundesrepublik Deutschland beitragen.
Legt man die Daten des Freiwilligensurveys 2014 (Simonson et al. 2016) zugrunde, dann liegt der Anteil der freiwillig Engagierten – jener Personen, die zivilgesellschaftliche Aufgaben, Arbeiten oder Funktionen längerfristig (im Freiwilligensurvey im Durchschnitt seit zehn Jahren) ausüben – in der über 14-jährigen Bevölkerung bei 43,6 %. Unter den 50–64-Jährigen sind 45,5 %, unter den 65–69-Jährigen 43,7 %, unter den 70–74-Jährigen 39,9 % freiwillig engagiert, unter den über 75-Jährigen 26,1 %. Ein freiwilliges Engagement ist den Ergebnissen des Freiwilligensurveys zufolge – ähnlich wie in früheren Untersuchungen – bei Männern häufiger als bei Frauen, bei Erwerbstätigen häufiger als bei Nichterwerbstätigen, bei Personen mit höherem Sozial- und Bildungsstatus häufiger als bei Menschen mit einfachem Sozial- und Bildungsstatus und bei Personen ohne Migrationshintergrund häufiger als bei Personen mit Migrationshintergrund. Der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist über den 15-jährigen Beobachtungszeitraum kontinuierlich zurückgegangen: 1999 waren noch 29,9 % der Frauen und 38,4 % der Männer freiwillig engagiert, 2014 dagegen 41,5 % der Frauen und 45,7 % der Männer. Während sich für die Frauen also ein Anstieg von 11,6 % ergibt, liegt dieser für die Männer lediglich bei 7,3 %. Unter den 50–64-Jährigen sind 48,3 % der Männer und 42,9 % der Frauen freiwillig engagiert, unter den über 65-Jährigen 39,6 % der Männer und 29,7 % der Frauen. Eine Differenzierung nach Engagementbereichen zeigt, dass sich Männer häufiger in Vereinen, Parteien und Verbänden sowie in der freiwilligen Feuerwehr und bei Rettungsdiensten engagieren, während sich Frauen deutlich häufiger – zeitlich begrenzt – im Bereich von Kindergarten und Schule sowie in den Kirchen engagieren. Im Zeitraum von 1999–2014 hat sich die Engagementquote in der Altersgruppe der ab 65-Jährigen von 23,0 % (1999) über 26,4 % (2004) und 29,1 % (2009) auf 34,0 % um elf Prozentpunkte erhöht. Ein vergleichbarer Anstieg findet sich lediglich unter den 14–29-Jährigen – hier liegt der Werte für 1999 bei 35,0 %, für 2004 und 2009 bei 34,7 % und für 2014 bei 46,9 %. Die in allen Altersgruppen erkennbare Zunahme des Anteils freiwillig engagierter Menschen kann den Autoren des Freiwilligensurvey 2014 zufolge vor allem auf die Bildungsexpansion und die zunehmende Thematisierung von Engagement in der Gesellschaft erklärt werden. Von 65-Jährigen und Älteren waren im Jahre 2014 25,4 % sechs oder mehr Stunden, 25,7 % zwischen drei und fünf Stunden und 48,9 % bis zu zwei Stunden pro Woche freiwillig tätig.
Ähnlich wie die Ergebnisse des Freiwilligensurvey verweisen die Ergebnisse des DEAS auf eine deutliche Zunahme des Engagements von Menschen im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Für das im DEAS untersuchte organisationsgebundene ehrenamtliche Engagement zeigt sich zwischen der ersten Erhebungswelle im Jahr 1996 und der vierten Erhebungswelle im Jahr 2014 eine Zunahme von 11,7 % auf 22,4 % (Wetzel und Simonson 2016). Dabei zeigen sich die deutlichsten Steigerungen für das höhere Lebensalter: Für die 60–65-Jährigen von 7,8 % auf 20,8 %, für die 66–71-Jährigen von 10 % auf 28,1 %, für die 72–77-Jährigen von 6,7 % auf 18,4 %, für die 78–83-Jährigen von 2,1 % auf 13,4 %.
Auch im DEAS sind Männer häufiger engagiert als Frauen, wobei der Geschlechtsunterschied über die vier Untersuchungswellen geringer geworden ist. Für die Frauen ergibt sich zwischen 1996 und 2014 eine Zunahme des Anteils engagierter Personen von 7,6 % auf 19 %, für die Männer von 16,6 % auf 25,6 %. Menschen mit höherem Bildungsstand sind im DEAS 2014 mit einem Anteil von 28,8 % 3,6 Mal häufiger ehrenamtlich engagiert als Personen mit niedrigem Bildungsstand, für die ein Anteil von 8,0 % ermittelt wurde. In der Gesamtgruppe der 40–85-Jährigen liegt der Anteil der Engagierten unter den Erwerbstätigen mit 24,5 % höher als unter den Nicht-Erwerbstätigen mit 17,2 %; für Personen im Ruhestand ergibt sich ein Anteil von 20,6 %. Hier zeigt sich vor allem für die Personen im Ruhestand eine deutliche Zunahme des Engagements; für diese Gruppe lag der Anteil Engagierter im Jahre 1996 noch bei 7,7 %.
Von den 65–85-Jährigen sind in der vom Institut Allensbach durchgeführten Generali Altersstudie 2017 (Generali 2017) 42 % bürgerschaftlich engagiert. Von diesen waren 52 % in einem Bereich, 27 % in zwei Bereichen, 13 % in drei Bereichen, 6 % in vier und 2 % in fünf Bereichen freiwillig aktiv. 14 % engagierten sich im kirchlichen oder religiösen Bereich, 12 % im Bereich Sport und Bewegung, 10 % im Bereich Kultur und Musik, 10 % im Bereich Freizeit und Geselligkeit, 7 % im Gesundheitsbereich oder sozialen Bereich, 6 % im Bereich Umwelt, Naturschutz und Tierschutz, 5 % in der Integration und Versorgung von Geflüchteten. Das freiwillige Engagement geht nach den Daten der Generali Altersstudie 2017 mit steigendem Lebensalter erkennbar zurück. Waren von den 65–69-Jährigen 47 %, von den 70–74-Jährigen 44 % und den 75–79-Jährigen 42 % freiwillig engagiert, so belief sich dieser Anteil in der Gruppe der 80–85-Jährigen auf 30 %. Als Einflussfaktoren freiwilligen Engagements konnten Bildungsstand, Gesundheitszustand, soziale Kontakte und Kirchenbindung identifiziert werden. Von den 65–85-Jährigen mit höherer Schulbildung engagierten sich 61 % freiwillig, von jenen mit mittlerer Schulbildung 41 % und von jenen mit einfacher Schulbildung 24 %. Unter den 65–85-Jährigen mit sehr gutem oder gutem (selbstberichtetem) Gesundheitszustand waren 49 % freiwillig aktiv, von jenen mit schlechtem Gesundheitszustand hingegen 28 %. Unter den 65–85-Jährigen mit starker Kirchenbindung waren 65 % freiwillig engagiert, unter den 65–85-Jährigen mit großem Bekanntenkreis 55 %.
Im Fünften Altenbericht der Bundesregierung wird aufgezeigt, dass neben den klassischen Formen des Engagements in Verein, Partei oder Verband andere Formen und Zusammenschlüsse erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Zu nennen sind hier insbesondere die Bereiche Ökologie und Kultur, Schule, Kindergarten, Gesundheit, Geschlechterpolitik sowie der soziale Nahbereich (z. B. in der Nachbarschaftshilfe). Diese »Pluralisierung« des Engagements ist aber ausdrücklich nicht gleichbedeutend mit der Verdrängung oder Ablösung »alter« Organisationsformen. Das »klassische« Ehrenamt wird insbesondere in den höheren Altersgruppen nach wie vor gegenüber den neuen Formen vorgezogen. Des Weiteren beschreibt der Fünfte Altenbericht einen Trend zur Individualisierung bürgerschaftlichen Engagements im Alter – Auswahl und Gestaltung von Engagementbereichen stehen heute weit weniger als früher im Zusammenhang mit der sozialen und regionalen Herkunft oder geschlechtsspezifischen und familiären Rollen.