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3.2. Kollektive Affektpotentiale über mehr rezeptive Mehrsprachigkeit europaweit bekannter machen

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Der Vorwurf der EU-Skeptiker gegenüber einem vereinten Europa verbindet sich regelmäßig mit einer vermeintlichen Bürgerferne des angeblich so fernen Brüssel und einem Kontrollverlust der nationalen Instanzen sowie einem Verlust von Geborgenheit im Nationalen. Das geforderte Mehr an Subsidiarität bedeutet europaweit natürlich auch mehr lokale, regionale und nationale Diversität, um die herum sich dann die in den Medien dargestellten und verhandelten Diskurse in den verschiedenen Sprachen bilden. Dass in diese Diskurse, von denen jeder einzelne vor einem eigennationalen kollektiven Gedächtnis steht, immer auch Konnotationen (Wertungen) einfließen, deren emotive Dimension nicht einfach qua Übersetzung angemessen widergegeben werden kann, steht der europäischen Identitätsbildung entgegen. Dies bezeugen frequente Hochwertwörter wie it. il mio paese (dt. mein Dorf, mein Land, das viel mit dt. „Heimat“ gemeinsam hat), frz. les riches (ein Kampfbegriff der französischen Linken ohne wirkliche emotive Entsprechung im Deutschen) oder La République (…pour elle un Français doit mourir…, heißt es in dem bis heute gesungenen Chant du Départ des Jahres 1794; es wäre im deutschen Diskurs undenkbar), dt. Gutmenschen (frz. les bien pensants verkürzt um den „typisch deutschen“ Diskurs um politische Korrektheit), Euthanasie (das außerhalb des deutschen Sprachraums keineswegs in starker Weise mit dem Holocaust assoziiert wird, sondern dort regelmäßig Sterbehilfe bedeutet) usw. Natürlich prägen nicht nur affektiv stark aufgeladene Begriffe die politische Semantik staatlicher Sprachgemeinschaften; stattdessen wirken offene oder versteckte Wertungen generell innerhalb einer SprachgemeinschaftSprachgemeinschaft und ihren Angeboten zur Meinungsbildung hinein (u.a. Wierzbicka 1997). Nicht ohne Grund ordnet die Friedensforschung die unmerkliche Führung unserer Gedanken durch die Sprache der kulturellen Gewaltkulturelle Gewalt zu (Galtung 1993).

Die Wirkung auf Leser ist nicht dieselbe, wenn sie einen fremdsprachigen Text in der Originalfassung oder in einer (selbst guten) Übersetzung lesen. Denn schon die bloße RezeptionRezeption in einer fremden Sprache nimmt uns ein Stückweit in deren KommunikationsgemeinschaftKommunikationsgemeinschaftKommunikationsgemeinschaftሴbሴfremde hinein (was keineswegs heißt, dass wir uns ‚fremden‘ Meinungen kritiklos anschließen). Hier liegt der Zugriff der rezeptiven Mehrsprachigkeit als einer Teilantwort auf die national-fragmentierten europäischen Öffentlichkeiten (↗ Art. 6).

Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik

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