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4.4.3 Zwangssymptome und psychotischer Zusammenbruch
ОглавлениеDie psychoanalytische Objektbeziehungstheorie beschreibt den psychischen Strukturbildungsprozess als Internalisierung früher Beziehungserfahrungen zwischen Kind und Bezugspersonen. Die so entstehenden psychischen Repräsentanzen des eigenen Selbst in Beziehung zu den inneren Objekten ist durch das Verhalten der Bezugspersonen aber auch durch das Ausmaß der aggressiven Impulse und Fantasien des Kindes bestimmt. In dieser Sichtweise ist die Ausbildung von Zwangsmechanismen ein wichtiger adaptiver Vorgang der Ich-Entwicklung und Ausdruck eines zentralen Reifungsschrittts, wie es von Melanie Klein (1983) beschrieben wurde. Sie ermöglichen dem Kind, frühe archaische Ängste und Impulse, die im Kontext der frühen Objektbeziehungen auftreten, zu kontrollieren, ohne sie nur durch Spaltung und Projektion nach Außen zu bewältigen. Dies stärkt die Integrationsfähigkeit des Ich (Klein 1983). Zwangshandlungen werden somit als Mittel verstanden, um ansonsten überwältigende Verfolgungsängste des Kindes in Schach zu halten: »Je schwerer die in der Entwicklung vorausgehende paranoide Störung war, desto schwerer wird die zwangsneurotische Erkrankung sein. Reichen die zu ihrer Überwindung entwickelten zwangsneurotischen Mechanismen nicht aus, dann treten häufig die der Zwangsneurose zugrundeliegenden paranoiden Züge deutlicher hervor, oder eine Paranoia bricht aus« (Klein 1973, S. 177).
Bereits Freud (1909) spricht von der Allmacht der Gedanken, die eine fast magische Qualität erhalten können, so als könnten sie den anderen wirklich töten und die dann entsprechend bedrohlichen Ängste auslösen. Die Zwangssymptome sind hier als Abwehrmechanismen zu verstehen, die einen psychotischen Zusammenbruch verhindern sollen. Einerseits wird das eigene Selbst stabilisiert und eine Überflutung mit aggressiven Fantasien und Ängsten verhindert, gleichzeitig kann aber auch das Objekt durch Einbindung in die Zwangshandlungen kontrolliert werden. Bei Patienten und Patientinnen mit einem psychotischen oder psychose-nahen Strukturniveau können Zwangshandlungen und -gedanken auch in späteren Lebensphasen dazu dienen, ihre psychische Struktur zu stabilisieren und Verfolgungs- und Vernichtungsängste in Schach zu halten.