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Der Sozialdarwinismus

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Rassismus und Antisemitismus gehen in der NS-Weltanschauung eine enge Verbindung mit einem ausgesprochen orthodoxen, wenngleich radikalen Sozialdarwinismus ein: Die Rassen liefern sich einen unerbittlichen Kampf um die Herrschaft über bestimmte Räume und ums Überleben. Wir haben es dabei mit der getreuen Übertragung derjenigen Lehren zu tun, die Ende des 19. Jahrhunderts Darwins Kategorien und Begriffe (Kampf ums Leben, Überleben der Stärkeren, natürliche Zuchtwahl) von der Natur auf die Kultur, speziell von der Tierwelt auf die Gattung Mensch übertragen haben. Die „Sozialdarwinisten“ stammen vor allem aus Großbritannien (Francis Galton, Herbert Spencer …) und Frankreich (Clémence Royer, Georges Vacher de Lapouge …), sind doch die Mutterländer der Kolonialreiche die ersten Zentren, in denen sich der Sozialdarwinismus entwickelt: Dieser legitimiert nicht nur die herrschende inegalitäre kapitalistische Ordnung (die sozialen Hierarchien gelten als Ausdruck natürlicher Hierarchien), sondern auch die kolonialistische geopolitische Ordnung (die Herrschaft der überlegenen Rassen ist ein natürliches Phänomen). Die Einführung des Sozialdarwinismus in Deutschland in großem Stil erfolgt erst später; sie hängt zusammen mit der Veröffentlichung der Grundlagen des 19. Jahrhunderts im Jahr 1899, dieser Gesamtdarstellung der Weltgeschichte aus der Feder von Houston Stewart Chamberlain, des für Deutschland schwärmenden Untertans Seiner Majestät und Schwiegersohns von Richard Wagner. Die eng mit dem Sozialdarwinismus verbundene Eugenik, von der man erwartete, dass sie „Rasse“ und Individuum mit besseren Eigenschaften für den allgemeinen Kampf ums Leben ausstatten würde, war ebenfalls ein europäischer und westlicher, jedenfalls kein spezifisch deutscher Traum. Die ersten gesetzlichen Maßnahmen auf dem Gebiet der Eugenik stammen aus dem Skandinavien, der Schweiz und dem Nordamerika des beginnenden 20. Jahrhunderts. Das eugenische Bewusstsein nahm nach dem Ersten Weltkrieg beträchtlich zu. Man verstand nämlich die demografische Katastrophe nicht nur als quantitatives Problem (Millionen von Toten), sondern auch als qualitatives (vor allem die Besten, die bereitwillig an vorderster Front kämpften, waren gefallen). Diese Auffassung war in allen Ländern verbreitet, die vom demografischen Aderlass in hohem Maß betroffen waren (insbesondere Frankreich), vor allem aber in Deutschland, wo eine hoch angesehene scientific community, die in den Lebenswissenschaften eine Spitzenposition einnahm, sich sehr für eine Verbesserung der „Rassenhygiene“ (wie man die Eugenik auf Deutsch bezeichnete) einsetzte.

Auch hier gilt, dass die Rassenhygiene wie der Sozialdarwinismus ursprünglich kein deutsches Phänomen ist, dass die Deutschen beide aber radikaler auffassten und ab 1933 in Gestalt der Nationalsozialisten auch praktizierten, und das nicht nur im Inneren (Wettbewerbsgeist, Leistungskult, Sterilisierungen und schließlich Vernichtung „lebensunwerten Lebens“), sondern auch in internationalem Maßstab (Kriegführung, Eroberung von „Lebensraum“, Vernichtung und Versklavung ganzer Völkerschaften). Damit berühren wir andere Charakteristika des Nationalsozialismus, die allerdings auch keine germanisch-deutschen Atavismen oder Idiosynkrasien darstellen, nämlich Nationalismus, Militarismus und Imperialismus, die allesamt Grundzüge der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts darstellten. Das gilt etwa für den Kapitalismus, dessen fürchterlichste Aspekte die Nationalsozialisten als seine gelehrigsten Schüler umsetzten: Das „eiserne Lohngesetz“, das laut Karl Marx mithilfe der Reduktion der Löhne auf das Existenzminimum – der Arbeiter erhält nur, was er unbedingt für die Reproduktion seiner Arbeitskraft benötigt – den maximalen Mehrwert garantiert, wird von ihnen in den Konzentrationslagern, diesem regelrechten wirtschaftlichen Imperium unter Leitung der SS, in seiner letzten Konsequenz umgesetzt. In diesem Fall musste man sich nicht einmal mehr um die Reproduktion der Arbeitskraft mithilfe von Nahrung kümmern, es genügte, den regelmäßigen Nachschub an Häftlingen sicherzustellen.

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