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Die „Renationalisierung“ der Vergangenheit

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Diese nationalistische Neuinterpretation der Vergangenheit wird im Jugoslawien der frühen 1990er-Jahre auf die Spitze getrieben. Die Führer der Krieg führenden Parteien instrumentalisieren den ethnischen Bürgerkrieg und machen aus ihm einen regelrechten Krieg der Erinnerungen, der die bis 1980 gebändigten Nationalismen entfesselt. Auf serbischer Seite rehabilitiert man die seinerzeit von Tito verurteilten Tschetniks, auf kroatischer den Nationalismus bis hin zu den Ustascha-Kämpfern und bereitet so den Boden für Massaker von Ausmaßen, wie man sie im Europa der Nachkriegszeit nicht mehr kannte. Dies beeinträchtigt auch die Chancen zu einem echten Wiederaufbau nach 1995. In den Ländern, die im Zweiten Weltkrieg zumindest vorübergehend mit den Deutschen verbündet waren, beobachtet man eine (zumindest partielle) Rehabilitierung der ehemaligen Führer wie etwa Admiral Miklós Horthy, König Michael von Rumänien oder Zar Boris III. in Bulgarien, die als Verteidiger der nationalen Identität dargestellt werden. In den Ländern, die von der Sowjetunion annektiert worden waren, verschwinden nicht nur die Denk- und Mahnmäler zu Ehren der Sowjetunion, der Roten Armee und der Partisanen, sondern man rehabilitiert und verherrlicht sogar die bewaffneten Einheiten, die (mitunter mit Unterstützung durch NSDeutschland) gegen die Sowjets gekämpft hatten, wie etwa die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) oder ähnliche bewaffnete antisowjetische Gruppierungen in Litauen, Estland, Rumänien und Galizien, stellt sie als echte Widerstandskämpfer dar, während man die Kommunisten und alle, die bereit gewesen waren, mit ihnen zusammenzuarbeiten, als Kollaborateure hinstellt.

Eine indirekte Folge dieser „Renationalisierung“ der Vergangenheit war es, dass so die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Schoah in den Hintergrund trat. Dies erklärt die heftigen Auseinandersetzungen um die Erinnerung, die in den meisten dieser Länder geführt wurden und werden. Diese hat weltweit die Form einer Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern einer Nationalgeschichte, die das eigene Land in der Opferrolle sieht, und denjenigen einer differenzierteren, offeneren, aber auch kritischeren Betrachtungsweise, die der Schoah den ihr gebührenden Platz einräumt und die den Nationalsozialismus und den Kommunismus nicht als austauschbare Elemente behandelt.

Zwei konkrete Beispiele mögen veranschaulichen, welches Ausmaß diese Konflikte um die Erinnerung annehmen können. Das erste ist Ungarn. Dort wurde die 2004 auf internationales Verlangen eingerichtete Gedenkstätte für den Holocaust außerhalb der Stadtmitte von Budapest errichtet, während das zwei Jahre zuvor eingeweihte „Haus des Terrors“ seinen Platz im Herzen der Stadt gefunden hatte. Dieses ist der Erinnerung an die Opfer von Nationalsozialismus und Kommunismus gewidmet und enthält lediglich zweieinhalb Räume für die Darstellung Ungarns vor 1944, während die Zeit bis 1989 sich in 30 Räumen ausbreiten kann.

Das zweite Beispiel ist Polen, dessen Gesellschaft gespalten ist in Befürworter der Rehabilitierung und Verherrlichung einer Nationalgeschichte, in der Polen als heldenhaftes Opfer äußerer Aggression erscheint, auf der einen Seite und auf der anderen die Vertreter einer offenen Geschichtsschreibung, die Polens Vergangenheit in den europäischen Kontext einbettet und bei Bedarf auch selbstkritisch darstellt. Das große Museum für den Warschauer Aufstand von 1944, das 2004 eingeweiht wurde, entspricht der erstgenannten Art Geschichtsbetrachtung. In interaktiver und die Gefühle ansprechender Weise zeigt es den Heldenmut der Aufständischen und deren Vernichtung nicht nur aufgrund der verheerenden Brutalität der Wehrmacht, sondern auch wegen des Ausbleibens der Unterstützung durch die Alliierten, allen voran die Rote Armee, die auf der anderen Seite der Weichsel stand. Für die andere Art der Geschichtsbetrachtung stehen dagegen die Museen und Gedenkstätten, die am Ort der ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz (2,1 Millionen Besucher im Jahr 2017), Majdanek, Treblinka, Chełmno und Sobibór entstanden sind, sowie das auf dem Boden des ehemaligen Ghettos errichtete und 2013 eingeweihte Jüdische Museum Polin. Hier wird die Erinnerung an die drei Millionen polnischer Juden bewahrt, die der Schoah zum Opfer fielen, sowie an die aus dem Ausland nach Polen deportierten und dort in den Vernichtungslagern hingerichteten Juden, ohne dass dabei der Antisemitismus eines Teils der polnischen Bevölkerung beschönigt würde.

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