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Ein neues semantisches Begriffspaar und seine europäische Erfolgsgeschichte
ОглавлениеFür Vichy und die Deutschen sind die Widerstandskämpfer allerdings nichts anderes als Terroristen. Doch angesichts der wachsenden Sympathie, auf die die Résistance stößt, und infolge der wachsenden Feindseligkeit gegenüber dem Besatzer und seiner Helfershelfer gewinnen die Gegenbegriffe „résistant“ und „collaborateur“ an Einfluss und setzen sich mit der Libération, der Befreiung des Landes, endgültig durch. Ursprünglich auf das Frankreich der Jahre von 1940 bis 1944 bezogen, dehnen sie sich nun auf die anderen europäischen Sprachen aus, zum einen durch Übernahme – „Kollaboration“ auf Deutsch und Dänisch, kolaboracja auf Polnisch, kolaboracija auf Kroatisch beziehungsweise kollaborazionism auf Russisch –, durch Übertragung – resistance auf Englisch, resistenza auf Italienisch – oder aber auf dem Weg der wortwörtlichen Übersetzung: Widerstand auf Deutsch und verzet auf Niederländisch. Dieser symbolische Sieg ist umso beeindruckender, als der Begriff „résistant“ während des Kriegs in Konkurrenz mit verwandten anderen Begriffen steht, insbesondere mit dem des „partisan“, des Partisanen. So trägt ja beispielsweise die Hymne der französischen Résistance den Titel „Partisanenlied“, Chant des partisans, und die Kampfeinheiten der Kommunistischen Partei werden trotz ihrer Integration in die Forces françaises de l’intérieur, den inneren Widerstand, „Freischärler und Partisanen“ genannt, Francs-Tireurs et Partisans (FTP); in Italien gehören die antifaschistischen Kräfte der Resistenza partigiana an und in Polen ist der bewaffnete Widerstand vor allem eine Sache der „Heimatarmee“ (wörtlich „Landesarmee“), der Armia Krajowa, während in Griechenland und Jugoslawien, in der Tschechoslowakei und der Sowjetunion der bewaffnete Widerstand eine Angelegenheit der Partisanen ist.
In allen Ländern, die zu Opfern der deutschen Besatzung geworden waren, bestätigt der totale Sieg der Alliierten über NS-Deutschland die neue Bedeutung, die die Begriffe „résistant“ und „collaborateur“ ab 1940 angenommen haben; diese werden tendenziell universell. Im Osten wie im Westen sind die neuen Inhaber der Macht unmittelbar aus den Widerstandsbewegungen hervorgegangen, in Frankreich mit General de Gaulle wie in Jugoslawien mit Josip Broz Tito, oder aber es handelt sich um Regierungen der nationalen Einheit, in denen die Vertreter des Widerstands eine entscheidende Rolle spielen wie in Italien, Belgien, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Widerstandsbewegungen mit Unterstützung der Armeen, die die deutschen Truppen vertrieben haben, gegen die „Kollaborateure“ vorgehen – bis hin zur obersten Ebene. Sie jagen und demütigen sie öffentlich, wobei die Frauen, die unerlaubter Liebesbeziehungen verdächtigt werden, mit besonderer Brutalität behandelt werden. In zahlreichen Fällen kommt es zu Hinrichtungen im Schnellverfahren, nur allmählich setzen sich legalere Formen der Säuberung, der épuration, durch. Das gilt für Italien, wo Benito Mussolini im April 1945 ermordet und sein Leichnam in Mailand zur Schau gestellt wird, ebenso wie für Frankreich. Dort wird Marschall Pétain im August 1945 nach einem mehrwöchigen Prozess wegen Hochverrats zum Tod verurteilt, seine Strafe dann aber in lebenslange Haft umgewandelt. In Norwegen endet der Prozess gegen Vidkun Quisling, der von 1942 bis 1945 an der Spitze einer Pro-NS-Regierung stand, ebenfalls mit der Todesstrafe, die in diesem Fall im Oktober 1945 auch vollzogen wird. In der Tschechoslowakei wird Jozef Tiso, der ab 1939 die Regierung des slowakischen Vasallenstaats geleitet hatte, zum Tod verurteilt und 1947 erhängt, so, wie in Rumänien Marschall Ion Antonescu, während des Kriegs Diktator im Königreich Rumänien, zum Tod verurteilt und 1946 hingerichtet wird. Überall kommt es auch zu Säuberungsmaßnahmen mit einer Vielzahl von Verurteilungen zu äußerst unterschiedlichen Strafen, von der Aberkennung der nationalen Ehre bis hin zur Todesstrafe. So werden in den Niederlanden 66.000 Personen verurteilt, davon 900 zur Todesstrafe, in Dänemark verzeichnet man 46 Todesurteilte bei einer Gesamtzahl von 13 500 Verurteilungen, während in Bulgarien 135 Massenprozesse mit mehr als 2500 Todesurteilen enden.