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Der Zusammenprall der Erinnerungen

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In den Ländern Mittel- und Osteuropas nahm die Erinnerung einen anderen Verlauf. Ab den 1980er-Jahren wuchsen die Zweifel an der großen Erzählung, die den Sieg von 1945 als Ergebnis eines gemeinsamen antifaschistischen Kampfes von Sowjetunion und Roter Armee, Kommunisten und Partisanen darstellte, der den Weg in eine Zukunft von Sozialismus und Fortschritt frei machte. So erweist sich etwa in Polen die Erinnerung an den Massenmord von Katyń an Offizieren der polnischen Armee durch den NKWD im Jahr 1940 sowie an den heroischen Kampf der allein auf sich gestellten Untergrundarmee bereits vor 1989 als stärker als der offizielle Diskurs von der Befreiung unter Führung von Sowjetunion und Kommunistischer Partei. Ähnliches gilt für die Tschechoslowakei mit der Dissidentenbewegung der Charta 77 oder auch für Jugoslawien, wo die Meistererzählung vom siegreichen Widerstand unter Führung Titos nach dessen Tod 1980 mit der schmerzlichen Erinnerung der Nationalitäten zusammenprallt, etwa der Kroaten, die sich von den Serben unterdrückt fühlen. Das Ende des Warschauer Pakts 1991, die wiedergefundene Unabhängigkeit der Länder des Ostblocks, die deutsche Wiedervereinigung, die Implosion der Sowjetunion und der beginnende Bürgerkrieg in Jugoslawien versetzen diesem Narrativ den Gnadenstoß.

An allen Ecken und Enden zeigen sich verbotene oder verborgene Erinnerungen und werden „wiederentdeckt“, ein deutlich ausgedrücktes Verlangen nach Wiederherstellung der Wahrheit über die Vergangenheit bricht sich Bahn. So äußert der lettische Politiker Mavriks Vulfsons 1990: „Der Kampf um die Unabhängigkeit ist ein Kampf für die historische Wahrheit.“ Diese Wahrheit ist aber keineswegs evident: Zahlreiche Dissidenten machen sich zu Fürsprechern einer differenzierten und ausgewogenen Sicht auf die Vergangenheit ihres eigenen Landes, die eine Sakralisierung vermeidet und den Mut aufbringt, sich den negativen Aspekten zu stellen, wie etwa Václav Havel, der einräumte, dass die Vertreibung der Sudentendeutschen bei Kriegsende „moralisch verwerflich“ gewesen sei. Verweisen ließe sich auch auf einige führende Mitglieder der Gewerkschaft Solidarność, die für eine kritische Auseinandersetzung mit dem polnischen Antisemitismus, der auch die Zeit des Zweiten Weltkriegs umfassen sollte, eintraten. Die am häufigsten zu hörenden und die lautesten Stimmen treten allerdings für eine positive Neubetrachtung und eine Aufwertung der Geschichte ihrer Nation und für eine radikale Verurteilung der kommunistischen und sowjetischen Tyrannei ein. Sie wollen ihr Land als unschuldige, von außen unterdrückte Nation dargestellt sehen und schrecken nicht vor der Behauptung zurück, die kommunistische Tyrannei sei aufgrund ihrer jahrzehntelangen Dauer mindestens ebenso schlimm wie die deutsche Besatzung gewesen – wenn nicht schlimmer.

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