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Die Entwicklung der Schoah zum transnationalen Erinnerungsort

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Infolge dieses Perspektivwechsels rückten bislang totgeschwiegene oder verdrängte schmerzliche und traumatisierende Ereignisse in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte und ein kompromisslos kritischer Blick richtete sich auf den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und den Völkermord an den Juden Europas in dessen Einzigartigkeit und Universalität. Dies alles vollzog sich in einem Kontext der Internationalisierung der Debatten über die Vergangenheit und ihre Beurteilung im Licht der universellen Geltung der Menschenrechte und der Werte Toleranz und Demokratie, aber auch der Nichtverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Notwendigkeit der Umsetzung dieser neuen Rechtskategorie in je nationales Recht. In diesem Zusammenhang konnte die Erinnerung an die Schoah nicht verblassen und auch bei wachsender zeitlicher Entfernung nicht in historische Distanz rücken. Ihre Präsenz wurde vielmehr immer stärker, sie gewann eine erstrangige ethische, politische und existenzielle Bedeutung. Auschwitz, das 1947 zu einem Museum und 1967 zur internationalen Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus geworden war, wurde nunmehr mit Yad Vashem zum Erinnerungsort für die Schoah schlechthin, zum Identifikationszeichen für das 20. Jahrhundert in Europa und den „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner), der dessen Hauptkennzeichen wurde. „Auschwitz kann niemand zurücknehmen“, sagt Adám im Roman Liquidation von Literaturnobelpreisträger Imre Kertész. „Niemand, und aufgrund keiner Ermächtigung. Weil Auschwitz nicht zurücknehmbar ist.“3

Das erklärt auch die Leidenschaftlichkeit der in Frankreich geführten kontroversen Debatten über die antisemitische Politik des Vichy-Regimes, die Neubewertung der (vermeintlichen oder realen) Komplizenschaft zwischen weiten Teilen der französischen Gesellschaft, den Vichy-Behörden und den deutschen Besatzern, die Grenzen des Widerstands, aber auch die Mängel der Épuration, der „Säuberung“ bei Kriegsende, und die Notwendigkeit, einige allzu schnell geschlossene Akten wieder zu öffnen (die Prozesse gegen Klaus Barbie, Paul Touvier und Maurice Papon). Ähnlich kontroverse Debatten gab es in Italien über die dortige Resistenza, den Faschismus und den Platz, den er tatsächlich in der italienischen Geschichte einnimmt; im Fall Österreichs ist die insbesondere in Zusammenhang mit der Waldheim-Affäre (1986) neu diskutierte These zu erwähnen, der zufolge das Land das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen sein soll, und in Westdeutschland der sogenannte Historikerstreit, der in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung um die politische Kultur der Bundesrepublik war, eine Debatte um das Fortbestehen der Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den Jahren des Nationalsozialismus und der Etablierung der Erinnerung an die Jahre 1933–1945, speziell an die Verfolgung und Ausrottung der Juden Europas, als negativer und für ein demokratisches, liberales und westliches Deutschland unabdingbarer „Gründungsmythos“.

Diese neue Betrachtungsweise der Vergangenheit antwortete auf eindringliche Forderungen der Zivilgesellschaft und entsprach einer transnationalen Dynamik, die maßgeblich von den USA und Israel ausging. Sie hatte insbesondere drei Konsequenzen: Sie maß zum einen der Erinnerung einen hohen Stellenwert bei und begründete eine „Pflicht zur Erinnerung“ sowie die Verdammung des Vergessens; sie führte zum Zweiten zu einer Politik der Reue für die Verantwortung, die viele europäische Staaten bei der Verfolgung der Juden auf sich geladen hatten (man denke nur an die Rede, mit der Staatspräsident Jacques Chirac 1995 im Gegensatz zu seinen Vorgängern die Verantwortung Frankreichs für „das nicht Wiedergutzumachende“ anerkannte); in diesen Zusammenhang gehören auch zahlreiche neue Gedenkinitiativen wie zum Beispiel das Eintreten Deutschlands ab 1996 und der Vereinten Nationen ab 2005 für den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Lagers Auschwitz durch die Rote Armee, als Holocaust-Gedenktag nach dem Vorbild des Jom haScho’a in Israel (1951) oder aber die Zeremonie im Pantheon (2007) zum Gedenken an die 2700 Gerechten in Frankreich. Die dritte Konsequenz ist die Relativierung der Wörter „Résistant“ und „Kollaborateur“, an deren Stelle ein neues semantisches Paar trat: „Opfer und Täter“. Da man den Akzent nunmehr hauptsächlich auf das Schicksal der – insbesondere jüdischen – Opfer legte, ist der eigentliche résistant nunmehr nicht derjenige, der sich aus patriotischen Gründen dem Besatzer widersetzte, sondern derjenige, der sein Leben im ethisch und politisch motivierten Kampf gegen den Nationalsozialismus riskierte und sich für den Schutz und die Rettung der verfolgten Juden einsetzte – während im Gegenzug als Kollaborateur eingeordnet wird, wer sich zum Komplizen und Unterstützer der NS-Ausrottungspolitik hat machen lassen.

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