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Deutschland seit 1871

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Mit der Reichsgründung 1871 schien die Gleichstellung der Juden in Deutschland vollzogen zu sein. Das Gefühl der Freude, das sich einstellte, verbunden mit der Hoffnung, daß nun alles besser werden würde, wirkte insbesondere auf jene, die im wirtschaftlichen Sektor tätig waren, unmittelbar stimulierend. Im Bank-, Industrie- und Verkehrswesen nahmen eine Reihe von Juden bald führende Stellungen ein. Veränderungen in der Berufsstruktur begannen sich abzuzeichnen. Dies war ein langsamer, aber sich stetig vollziehender Prozeß. So waren z.B. 1895 noch 56,02 % der Juden im Berufsfeld Handel und Verkehr beschäftigt. 1907 war die Beteiligung der Juden an diesem Sektor um mehr als 10 % zurückgegangen (50,35 %), was erkennen läßt, daß ein Prozeß der Berufsumschichtung eingesetzt hatte.

So positiv diese Entwicklung erschien, so deutlich war aber auch, daß die Position der Juden nicht so gesichert war, wie sie eigentlich hätte sein sollen. Gesellschaftlich integriert waren die Juden nicht, auch wenn es vielfach den Anschein hatte. Bei einer ganzen Reihe von ihnen schlug sich das Gefühl des Nichtdazugehörens und des Ausgegrenztseins in einer Art innerer Unsicherheit nieder. Berühmt geworden ist eine Äußerung von Walther Rathenau, der unter seiner Herkunft litt und einmal bekannte, er fühle sich immer von neuem schmerzlich daran erinnert, als „Bürger zweiter Klasse“1 in die Welt getreten zu sein. Keine Tüchtigkeit und kein Verdienst, klagte er, könne ihn aus dieser Lage befreien.

Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa

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