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Grenzen gesellschaftlicher Integration

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Trotz der gesetzlichen Gleichstellung war Juden der Zutritt zu bestimmten Bereichen der Gesellschaft nach wie vor verwehrt. Es zeigte sich, daß es so gut wie ausgeschlossen war, eine militärische Karriere zu machen und zum Offizier befördert zu werden. Bis 1910 dienten in Preußen schätzungsweise zwischen 25.000 und 30.000 Einjährig-Freiwillige jüdischen Glaubens. Von diesen hat kein einziger das Reserveoffizierspatent erhalten. In Bayern und Baden gelang dies nur einigen wenigen. Dies schmerzte und war vielen Juden der Beweis, daß noch immer ein tiefer Graben zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen existierte. In den Jahren nach 1900 war der Sachverhalt, daß Juden keine Reserveoffiziere werden konnten, häufig Gegenstand parlamentarischer Verhandlungen im preußischen Abgeordnetenhaus. Eine Folge der Debatten war die von der Generalversammlung des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“ am 16. April 1904 beschlossene Resolution, in der die Zurücksetzung der Juden im Heer als eine „staatsbürgerliche Ehrenkränkung“ kritisiert und als eines Rechtsstaates „unwürdig“ bezeichnet wurde.

Vor 1914 waren Juden in allen deutschen Bundesstaaten von fast allen staatlichen Ämtern ausgeschlossen. Vereinzelt gelang es dem einen oder anderen, in der Ministerialbürokratie Fuß zu fassen. Dies waren aber Ausnahmen. In der Regel standen Juden nur politisch einflußlose Stellen in nachgeordneten Behörden offen, so im Bereich der Eisenbahn, der Baubehörden oder der Reichspost. Nach der Berufsstatistik von 1907 waren von 12.388 höheren Reichs- und Staatsbeamten nur 244 (1,93 %) und im mittleren Dienst von 167.579 Beamten nur 589 Juden (0,35 %).

Wie im Militär waren auch im Justizdienst die Karrierechancen für Juden sehr eingeschränkt. In Sachsen und Hessen – dort mit einer Ausnahme – wurden Juden von der Richterlaufbahn ferngehalten. In Preußen wiederum war es Juden nach 1870 nur möglich, zu Kreis- oder Stadtrichtern ernannt zu werden. Auf den Posten eines Landesgerichtspräsidenten oder gar eines Oberlandesgerichtspräsidenten konnten sie jedoch nicht gelangen. Erst 1907 verfügte Wilhelm II., daß jüdische Richter zumindest zu Oberlandesgerichtsräten ernannt werden konnten.

Auch an den Universitäten hatten Juden es schwer, Fuß zu fassen. 1910 gab es im Reich rund 200 jüdische Hochschullehrer, von denen jedoch mehr als die Hälfte an den medizinischen Fakultäten lehrten. Die meisten waren Privatdozenten, von denen nur einige zu außerordentlichen Professoren ernannt wurden. Auf ein Ordinariat gelangten nur sehr wenige. Auf einen Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur oder für klassische Altertumswissenschaft und Sprachen ist vor 1933 kein Jude berufen worden. Der Altphilologe Jacob Bernays brachte es nur zu einer außerordentlichen Professur. Bei den Philosophen sah es nicht viel besser aus. Hermann Cohen, Nachfolger des Philosophen Friedrich Albert Lange auf dessen Lehrstuhl in Marburg und in gewisser Weise repräsentativ für den Typ des Juden, der im Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg seine große Blütezeit erlebte, gelangte von Marburg nicht nach Berlin, obwohl an der dortigen Universität mehrfach Vakanzen bestanden. Der Mediävist Harry Breßlau, der Soziologe Georg Simmel und der Philosoph Ernst Cassirer haben sehr darunter gelitten, daß man sie wegen ihrer jüdischen Abstammung nicht akzeptierte und daß man ihnen, wo immer es ging, in ihrer akademischen Laufbahn Steine in den Weg gelegt hat.

Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa

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