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Neuanfang in der frühen Neuzeit (1550–1798)

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Zwischen 1550 und 1650 entstanden allmählich vor allem in dem an die Eidgenossenschaft angrenzenden Raum (südliches Elsaß, rechtsrheinisches Umfeld) jüdische Niederlassungen und Gemeinden, nun ausschließlich auf dem Land. Um 1550/60 sind die ersten Juden in der Gegend von Waldshut und im gemeinsam verwalteten Untertanengebiet „Grafschaft Baden“ belegt. Um 1612 wird dort eine „Judenschaft“ erwähnt, eine fiskalische Organisation analog der Landesjudenschaften. Nach 1696 wurde der Judenschaft ein Schutzbrief auf jeweils sechzehn Jahre ausgestellt. In einem langsamen Konzentrationsprozeß siedelten sich die in der „Grafschaft“ zerstreut lebenden jüdischen Familien in Lengnau (1622) und Endingen (1678) an. Hier konnten sie als Folge einer langsamen wirtschaftlichen Konsolidierung um die Mitte des 18. Jhs. große repräsentative Synagogen erbauen.

Während die regierenden Orte der Alten Eidgenossenschaft im 16. und 17. Jh. keine Juden mehr dulden wollten – eine Ausnahme war Solothurn –, war die Lage in der gemeinsamen „Grafschaft Baden“ eine andere. Hier wechselte der Landvogt bis 1711 alle zwei Jahre. Eine effektive Kontrolle seiner Zulassungspolitik war kaum möglich. Für den Betreffenden waren die Abgaben der Juden aber eine interessante Einkommensquelle. Dies erklärt die Zulassung jüdischer Familien trotz einer abweisenden Politik auf eidgenössischer Ebene. Einzelne Juden besaßen bereits gegen Ende des 18. Jhs. in Endingen und Lengnau Häuser, obwohl dies rechtlich nicht gestattet war. Seit dem 17. Jh. wohnte im schweizerischen Surbtal mindestens ein Rabbiner, der teilweise von recht weither stammte. Zusammen wiesen die beiden Landgemeinden um 1780 immerhin 659 Personen auf. Diese Zahl war nach den damaligen Verhältnissen in Westeuropa nicht unbedeutend, und die Juden spielten im Leben der Dörfer eine wichtige Rolle.

Darüber hinaus wurden Juden in einigen Dörfern des „zugewandten“ Fürstbistums Basel (Allschwil, Muttergemeinde von Hegenheim, bis 1694) und im solothurnischen Dornach (bis 1740) geduldet. Oft befanden sich die jüdischen Landgemeinden nur wenige hundert Meter neben der Schweizer Grenze (etwa Gailingen bei Diessenhofen). Wichtig waren die Landgemeinden des südlichen Elsaß von Niedersept bis Hegenheim, vom rechtsrheinischen Lörrach über Gailingen bis zum (später) vorarlbergischen Hohenems. Diese jüdischen Handelsleute waren als Wochenaufenthalter seit 1560 in den Regionen Basel (Kembs) und Waldshut/Zurzach (Tiengen 1551) sowie ab 1617 in Vorarlberg präsent. Um 1780 wohnten etwa 2300 Juden im grenznahen Elsaß, vermutlich an die tausend am Oberrhein von Basel bis zum Bodensee und 274 in Hohenems. Sie beschäftigten sich mit dem Vieh- und Pferdehandel. In den letzten beiden Handelssparten waren sie unbedeutender als die christliche Konkurrenz, die aus der alpinen „Hirtenregion“ einen schwungvollen Export nach Norditalien betrieb. Gerade für kleinere Bauern war die Vermittlungstätigkeit jüdischer Viehhändler interessant. Sie erhielten Vieh „eingestellt“, profitierten von dessen Milch-, Dünger- und Zugleistung und teilten sich den durch Mästung bedingten Zugewinn mit dem jüdischen Händler.

Die Landjuden hatten eine eigene Gruppensprache, das Jüdisch-Deutsche oder Westjiddische entwickelt, das für gewisse Bereiche stark mit hebräischen Begriffen durchsetzt war. Diese wurden von der christlichen Dorfbevölkerung in erstaunlichem Umfang ebenfalls verstanden und verwendet. Es existierte ein Brauchtum, z.B. das Sticken von Torawimpeln aus Windeln (hebr. Mappot) oder der Holekreisch, eine Namensgebungszeremonie, die ihre Wurzeln in der aschkenasischen mittelalterlichen Kultur hatte und noch heute vereinzelt von traditionellen Familien gepflegt wird.

Die Rechtslage für Juden in der Schweiz war sehr unterschiedlich. Der Viehexport wurde geduldet, im Sinne des Merkantilismus sogar befürwortet. In gewissen Kantonen wurde den Juden das Hausieren gestattet. Teilweise waren sie auf den Besuch der Messen und Märkte verwiesen (Basel nach 1768). Eine besonders rigorose Politik gegen Juden verfolgte das von Kaufleuten und Zunftmeistern bestimmte Zürich, das nach 1634 weder das Betreten noch den Warentransit auf dem Kantonsgebiet gestattete. Nicht alle diese Verordnungen wurden befolgt. Die Modernisierung der Wirtschaftspolitik in den achtziger Jahren des 18. Jhs. führte zu einer strengeren Politik gegenüber den Juden. Man versuchte, den Wortlaut der älteren Verordnungen wieder durchzusetzen oder verschärfte im Sinne eines physiokratischen Paternalismus gewisse Bestimmungen gegen den durch Juden betriebenen Viehhandel. Als es ein in einen Prozeß verwickelter elsässisch-jüdischer Handelsmann wagte, sich mittels französischer Stellen zu wehren, verbannten einige Orte alle Juden (Bern, Basel, Neuenburg). Dies wurde mit der Besetzung der Schweiz durch französische Truppen (März 1798) hinfällig.

Bekannter als die abweisende Politik der Alten Orte der Eidgenossenschaft ist die Kontroverse zwischen Johann Caspar Lavater und Moses Mendelssohn (1769), die sich aus der Aufforderung Lavaters an Mendelssohn ergab, dieser möge sein Festhalten am Judentum begründen. Im Verlauf der Debatte wies Mendelssohn sarkastisch darauf hin, daß er die Stadt Zürich nicht einmal betreten dürfte. Von Lavater ist kein Vorgehen gegen die Zürcher Judenpolitik bekannt. Der Aufklärer Isaak Iselin war offener eingestellt und machte Mendelssohn zum Mitglied einer angesehenen Gesellschaft. Der zum Pietismus Hallescher Prägung neigende Zürcher Pfarrer Johann Caspar Ulrich verfaßte 1768 eine ausführliche Landesgeschichte, eine der frühesten ihrer Art im deutschsprachigen Raum. Er äußerte darin ein passives Mitleid für die Lage der Landjuden, übte aber an den abweisenden Zürcher Bestimmungen keine Kritik.

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