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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

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Nach 1945 setzte die Fremdenpolizei die Bemühungen fort, die jetzt etwa 26.000 jüdischen Flüchtlinge, deren Familien ermordet worden waren, zur Weiterwanderung nach Palästina/Israel und in die USA zu drängen. 1953/57 entspannte sich in der Schweiz eine erste Debatte über die Schweizer Flüchtlingspolitik, 1967 eine zweite und seit 1994 eine dritte. Bereits 1954 und 1974/75 diskutierte man ausführlich über die Frage der herrenlosen Vermögen. Inzwischen stellte sich heraus, daß der verantwortliche Bundesrat Emil von Steiger, ein Berner Patrizier, wichtige Akten vernichten ließ. Andere Unterlagen wurden sogar offiziell beauftragten Fachleuten wie Prof. Edgar Bonjour vorenthalten und sind erst heute zugänglich.

Einige Emigranten durften durch Einheirat in der Schweiz bleiben. So konnte der Berliner Emigrant Hermann Levin Goldschmidt, der sich als Fortsetzer der dialogischen Philosophie Martin Bubers verstand, mit seinem Jüdischen Lehrhaus versuchen, die Tradition Franz Rosenzweigs wiederzubeleben (1951–1961). Andere – z.B. Robert Neumann, Erich Fromm, Hans Habe und Margarete Susmann – wanderten in den fünfziger und sechziger Jahren zu und verbrachten ihren Lebensabend in der Schweiz.

Für die Schweizer Juden setzte nach 1945 – parallel zum Abbau innerchristlicher Ressentiments, z.B. gegen Katholiken im protestantischen Zürich – ein Prozeß der verstärkten Integration ein. In der Wirtschaft und der Armee wurden Juden Stellen zugänglich, die ihnen vorher nicht offenstanden. 1964 durfte sich die jüdische Gemeinschaft anläßlich der Landesaustellung in Lausanne präsentieren, was den SIG motivierte, 1966 den hundertsten Jahrestag der – taktisch-politisch vordatierten – Emanzipation zu feiern. Die herausragende Gelehrte dieser Zeit war Florence Guggenheim-Grünberg, die sich in der Erforschung des Westjiddischen und des Brauchtums der Landjuden einen Namen machte und 1966/70 endlich das Buch ihrer Vorgängerin Augusta (Weldler-)Steinberg über die Geschichte der Juden in der Schweiz herausgeben konnte.

Die soziale Mobilität beschleunigte sich, und kleinstädtische Gemeinden starben aus. Unter dem Eindruck der Verfolgung in Europa verstärkte sich in den Gemeinden der Traditionalismus, was wiederum liberale Kreise motivierte, 1958 eine eigene Jüdisch-Liberale Vereinigung zu gründen. 1973 wurde das Schächtverbot aus der Bundesverfassung entfernt, aber im Tierschutzgesetz untergebracht und ist immer noch gültig. Im selben Jahr wurde die Israelitische Gemeinde Basel als erste in der Schweiz öffentlich-rechtlich anerkannt. Es folgten darauf Fribourg, Bern und St. Gallen. In Zürich sind die Gemeinden noch heute Vereine nach Privatrecht und dort – ironischerweise – als solche kirchensteuerpflichtig. Ein Zeichen der Integration dagegen war 1993 die Wahl der jüdischen Gewerkschafterin Ruth Dreifuss zur ersten Bundesrätin.

1978 entstand eine eigene liberale Gemeinde in Zürich, später eine in Genf, die sich stark aus dort niedergelassenen angelsächsischen jüdischen Familien rekrutierte. Eine traditionelle nordafrikanisch-jüdische Gemeinde gruppierte sich in Genf außerdem um einen Sponsor, den Hotelier Nissim Gaon. Aus Ungarn (1956) und der Tschechoslowakei (1968) wanderten einige Familien ein.

1980 wohnten 82 % aller Juden in den großen Städten. Trotz der Zuwanderungen nahm die Zahl nicht zu. Ein Drittel der Ehen sind gemischte Ehen. Insgesamt erfolgte eine Umschichtung aus dem selbständig betriebenen Textilhandel hin zu höheren Angestelltenberufen. Viele jüdische Jugendliche sind in Jugendbünden organisiert. Vier jüdische Grundschulen existieren in der Schweiz, ein Viertel aller jüdischen Kinder besuchte 1980 ihren Unterricht. In Kriens gibt es eine Talmudhochschule litauischer Tradition für Jüngere.

Die Debatte über die Kollaboration der Schweiz mit dem NS-Regime, die nach 1994 einsetzte, riß alte Wunden auf und spülte Ressentiments an die Oberfläche. Eine unabhängige Historikerkommission mit prominenten Mitgliedern wurde eingesetzt. Amerikanische Wortführer des „World Jewish Congress“, die nicht immer große Sachkenntnis bewiesen, heizten das Klima an. Den Schweizer Banken wurde der Vorwurf gemacht, Raubgold aus NS-Besitz angenommen und nach 1945 die Nachkommen der Opfer bei der Rückerstattung der ihnen zustehenden Guthaben sehr abweisend behandelt zu haben. Umgekehrt nahmen höchste politische Stellen zugunsten der Banken eine apologetische Haltung ein, die nur vor dem Hintergrund der Betroffenheit der älteren Generation zu erklären ist, die ihren identitätsstiftenden Widerstandsmythos der Zeit von 1933 bis 1945 relativieren mußten. Im Juni 1999 führten diese nationalistischen Trotzgefühle im konservativen Ständerat, der Vertretung der Kantone, dazu, die Aufhebung der Immunität eines Nationalrats zu verweigern, der zu einem Boykott der Juden aufgerufen hatte und nach dem 1994 knapp angenommenen Antirassismus-Gesetz verklagt worden war.

Durch die Auswanderung nach Israel hat die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz Substanzverluste erlitten. 1990 bezeichneten sich nur noch 17.500 Einwohner als Juden. Trotzdem ist die Intensität des jüdischen Leben hier größer als in Deutschland. So sind Vereinsleben und Jugendbewegungen stärker, der Anteil religiöser Juden ist bedeutend, und es können sich zwei jüdische Wochenzeitungen und ein Periodikum ohne staatliche Unterstützung halten.

Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa

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