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Gegen Zionisten und Ostjuden

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Die häufig geäußerte Annahme, die Juden hätten den Zionismus als eine nationale Emanzipationsbewegung begrüßen müssen, unterschätzt zumeist den Grad der Anpassung, der in Deutschland relativ hoch war. Als Theodor Herzl seinen Gedanken des Judenstaats propagierte, stand das assimilierte deutsche Judentum diesem ablehnend gegenüber. Die Mehrzahl der deutschen Juden sah im Zionismus eine rückläufige Bewegung, die die Entwicklung des Judentums zu einer freien allweltlichen, rein universal-religiösen Gemeinschaft aufhalte. Der Zionismus, so die Argumentation, würde die Juden in unendliche Loyalitätskonflikte stürzen, aber keines ihrer wirklichen Probleme lösen.

Paradoxerweise unterschieden sich die Zionisten in ihren Hoffnungen und Wünschen nicht wesentlich von der Mehrzahl der deutschen Juden. Auch sie hofften, ihr Einsatz im Krieg werde durch ihre vollkommene gesellschaftliche Gleichstellung und Anerkennung belohnt werden. Dafür war man vielfach sogar bereit, sich dem Vorwurf auszusetzen, illoyal gegenüber den Glaubensbrüdern in England oder Frankreich zu handeln.

„Jetzt“, so bemerkte der Soziologe Franz Oppenheimer, „fechten wir uns heraus aus dem Viertelbürgertum, dem verhaßten Metökentum in die Vollbürgerschaft. Jetzt können und wollen wir zeigen, daß wir unser Vaterland nicht minder heiß lieben als alle anderen […].“12

Das vorbehaltlose Bekenntnis mancher Zionisten zu Deutschland änderte aber nichts an der Tatsache, daß das assimilierte deutsche Judentum im Zionismus eine Gefahr sah. Man glaubte, die zionistische Propaganda unterminiere die erreichte staatsbürgerliche Stellung. Wer sich zum Zionismus bekannte, wurde als Außenseiter angesehen. In Variationen tauchte vor 1933 in Debatten immer wieder das Argument auf, ein deutscher Jude könne sich doch unmöglich mit dem Zionismus einlassen, da die Emanzipation ja gerade durch Aufgabe der nationalen Hoffnungen des Judentums errungen worden sei.

„Der [zionistische] Standpunkt“, so formulierte es Ludwig Holländer, langjähriger Chefredakteur der C.V.-Zeitung, „schlägt nicht nur unserer innersten Überzeugung geradezu ins Gesicht, sondern widerspricht auch vollkommen unseren Wünschen und Hoffnungen. Er ist uns so fremd wie möglich.“13

Noch deutlicher war die Gegnerschaft in Vereinigungen wie dem „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ oder dem „Verband nationaldeutscher Juden“, die als Abwehrvereine gegen den Antisemitismus gegründet worden waren. Die Mitglieder waren zumeist nationaldeutsch-konservativ orientiert und dachten nicht daran, Zionisten zu werden, sondern wollten sowohl Deutsche wie Juden sein und das auch in Zukunft bleiben. In diesen Vereinigungen wurde keinerlei historische oder kulturelle Gemeinsamkeit mit den Millionen Juden außerhalb Deutschlands anerkannt. Trafen Mitglieder dieser Vereinigungen auf einen französischen oder englischen Juden, dann sahen sie in ihm zwar einen Glaubensbruder, in erster Linie aber einen Franzosen oder Engländer, im Ernstfall also den Feind.

Abgelehnt wurde aber nicht nur der Zionismus, sondern auch die während des Krieges und danach einsetzende Zuwanderung von Ostjuden. Das deutsch-jüdische Bürgertum empfand diese in seiner überwiegenden Mehrheit als schmutzig, laut, roh, unsittlich und kulturell rückständig. Für Walther Rathenau zum Beispiel waren Ostjuden eine „asiatische Horde“, „ein abgesonderter fremdartiger Menschenstamm“.14 Theodor Wolff, Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“ und Mitbegründer der „Deutschen Demokratischen Partei“, sprach von „unerfreulichen Schacherfiguren“ und „lichtfeindlich wirkenden Gestalten“.15 J. Hobrecht vom „Verband nationaldeutscher Juden“ warnte vor der „Ostjudengefahr“,16 die Deutschland wie Sturmflut zu verschlingen drohe.

Die von manchem Vertreter des deutschen Judentums verwandte Wortwahl erinnert in einigen Passagen an den keifenden Jargon der Völkischen und der Antisemiten. Letztere scheuten sich im übrigen nicht, zu Propagandazwecken jüdische Stimmen zur Ostjudenfrage wie die von Hobrecht, Wolff oder Rathenau genüßlich in ihren Schriften zu zitieren.

Hinter dem Haß gegen die Ostjuden, der in der Zeit der Weimarer Republik fast schon irreale Züge annahm, steckten tiefsitzende Bedrohungsängste. Die zunehmende Zahl osteuropäischer Juden, die das Bild rund um die Grenadierstraße in Berlin („Scheunenviertel“) prägte, löste bei vielen deutschen Juden die Befürchtung vor einer „Überfremdung“ aus. Außerdem warf man den Ostjuden vor, sie würden durch ihre Erscheinung und ihr Auftreten in der Bevölkerung antisemitische Gefühle provozieren. Man organisierte zwar Hilfe, war aber auf der anderen Seite um eine möglichst schnelle Weiterwanderung der Ostjuden in die Vereinigten Staaten oder in andere Länder bemüht. Eheschließungen mit einem ostjüdischen Partner wurden als nicht standesgemäß angesehen, und in den Kultusgemeinden wehrte man sich vielfach dagegen, den Ostjuden bei den Gemeindewahlen gleiche Rechte zuzugestehen.

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