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6 Erinnerung, Kausalität und die Idee einer Erinnerungsspur
ОглавлениеEs liegt nahe anzunehmen, dass die für die Erinnerung konstitutive Verbindung zwischen K und E kausaler Natur sein muss: Damit in E eine echte Erinnerung vorliegt (im Unterschied etwa zu einer Phantasievorstellung), muss K ein kausal wirksamer Faktor für E sein (Martin/Deutscher 1966; Bernecker 2008). Eine Prima-facie-Schwierigkeit dieser Annahme besteht darin, dass zwischen K und E oft ein großer zeitlicher Abstand besteht. In vielen Theorien der Kausalität wird für direkte Ursache-Wirkungs-Beziehungen eine räumliche und zeitliche Nachbarschaft verlangt. Manche Philosophen nahmen zu der Annahme einer Kausalität sui generis (mnemic causation) Zuflucht, die eine direkte Verursachung über zeitliche Distanz ermöglichen sollte (Russell 1921; zur Kritik Bernecker 2008). Hält man dagegen an dem Postulat einer zeitlichen Nachbarschaft von Ursache und Wirkung fest, wird man aufgrund rein kausalitätstheoretischer Annahmen zu dem Postulieren von Gedächtnis- oder besser: Erinnerungsspuren (memory traces) gedrängt, welche die zur Überbrückung des zeitlichen Abstandes erforderlichen kausalen Bindeglieder bilden (Rosen 1975). Wie diese postulierten theoretischen Entitäten psychisch und neurophysiologisch realisiert sind, ob als zeitlich persistierende Strukturen oder eher als kausal-historische Ketten, und welche kausalen Mechanismen im Einzelnen für die Kodierung, die Speicherung und den Abruf von Erinnerungen verantwortlich sind, das sind empirische Fragen, über die Philosophen seit der Antike zwar viel spekuliert haben (Gomulicki 1953; Sutton 1998), die aber letztlich nur von den zuständigen Erfahrungswissenschaften (Kognitionspsychologie; Neurowissenschaften) beantwortet werden können (Tulving/Craik 2000).