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2. Der methodische Ansatz Roxins und seine Lehre von der Tatherrschaft

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Roxin wendet sich (insbesondere im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der finalen Handlungslehre) gegen einen Rekurs auf einen dem (Straf-)Recht allgemein vorgelagerten Handlungsbegriff, dem er lediglich einen „architektonisch-ästhetische(n) Wert“ bescheinigt.[104] Für die Bestimmung der Tatherrschaft komme dem Handlungsbegriffs nur eine negative Funktion zu, indem nicht finale Verhaltensweisen bereits keine Berücksichtigung finden könnten. Aber schon der Inhalt finalen Handelns bedürfe einer teleologischen Interpretation des positiven Rechts. Zwar könne der Einzelne sein Verhalten zweckmäßig steuern und sich des Kausalgesetzes gestaltend bemächtigen („anthropologische Grundkategorie“[105]), was aber final sei und was nicht, hänge allein von den „Zwecksetzungen der Rechtsordnung“ ab.[106] Die Finalität gebe auch keine Kriterien dafür, wie die unterschiedlichen Beteiligungsformen untereinander abzugrenzen seien, da der Teilnehmer ebenso final handele. Der Begriff der Tatherrschaft sei daher das „Produkt einer mehrschichtigen Synthese von ontologischer und teleologischer Betrachtungsweise“.[107] Zwar verwende der Tatherrschaftsbegriff auch unabhängig von der Handlungsstruktur ein vorrechtliches Material, eine Präzisierung erfahre er aber erst durch die rechtlichen Wertungen des Gesetzgebers und des Richters.[108] Auch die Anforderungen, die an die Haupttat bei einer Teilnahme zu stellen seien, könnten nicht aus dem Wesen der Handlung selbst abgeleitet, sondern nur durch den Zweck der Teilnahmevorschriften und aus den Besonderheiten der jeweiligen Deliktstatbestände ermittelt werden.[109]

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Das Gesetz stelle nun denjenigen, der die Tat ausführe, in den Mittelpunkt des Geschehens und begreife ihn daher als „Schlüsselfigur“, als „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“[110], während es den Teilnehmer außerhalb des zentralen Geschehens stelle, dieser gruppiere sich „um (den Täter) herum“.[111] Der Begriff der „Zentralgestalt“ bezeichne, so Roxin, damit einerseits den für die Abgrenzung zur Teilnahme maßgebenden gesetzlichen Wertungsgesichtspunkt, bezeichne andererseits aber auch einen deutlich erfassbaren vorrechtlichen Differenzierungsmaßstab.[112] Der Begriff der Tatherrschaft als „offener“, „beschreibender“ Begriff[113] sei flexibel genug, um den unterschiedlichen Einzelfällen gerecht werden zu können. Zwar ließen sich aus ihm nicht konkrete Abgrenzungskriterien zur Teilnahme ableiten, es handele sich aber um einen „wertenden Differenzierungsmaßstab“, der im Rahmen der realen Gegebenheiten deliktischen Handelns im Einzelnen entfaltet und konkretisiert werden könne.[114] Der Gesetzgeber habe dazu den ersten Schritt getan, indem er in § 25 StGB drei Formen der Täterschaft unterscheide, die den drei Arten der Tatherrschaft entsprächen: Die Handlungsherrschaft, die die unmittelbare Täterschaft, die Willensherrschaft (z.B. aufgrund von Zwang der Täuschung), die die mittelbare Täterschaft und die funktionelle Tatherrschaft, die die Mittäterschaft kennzeichne.[115]

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Berechtigt ist die Kritik Roxins am finalen Handlungsbegriff, der menschliches Verhalten nicht hinreichend zu erfassen vermag, da ihm ein bloß instrumentales Handlungsverständnis zugrunde liegt und er damit personales Handeln nur unzureichend erfasst. Nicht hingegen kann – wie Roxin meint – daraus geschlossen werden, dass damit für das (Straf-)Recht allgemein und für die Bestimmung von Täterschaft und Teilnahme im Besonderen dem Handlungsbegriff nur ein „architektonisch-ästhetischer Wert“ zukommt. Vielmehr bleibt die nähere Bestimmung menschlichen Handelns für das Recht ebenso wie für das Unrecht konstitutiv. Es ist daher nicht ausreichend, die Tatherrschaft nur in ihrer Phänomenologie zu beschreiben, sondern sie bedarf auch einer Begründung. Das soll am Beispiel der mittelbaren Täterschaft deutlich gemacht werden. Diese wird von Roxin als „Willensherrschaft“ gekennzeichnet. Während der Alleintäter Inhaber der Handlungsherrschaft sei und er durch eigenhändige Verwirklichung der Tatbestandshandlung die Täterschaft begründe, fehle dem mittelbaren Täter eine solche. Seine Tatherrschaft konstituiere sich vielmehr aufgrund „der Macht des steuernden Willens“[116]. Diese Willensherrschaft des Hintermanns soll in drei Formen vorkommen: der Irrtumsherrschaft („Wissensherrschaft“), der Nötigungsherrschaft und der Organisationsherrschaft.[117]

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Nicht näher dargelegt wird jedoch, was „Willensherrschaft“ meint, sie wird auch nicht begründet. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Maßstäbe vornehmlich den Wertungen dem Gesetz entnommen werden sollten (deutlich wird dies insbesondere auch bei den Sonderpflichtdelikten, s. dazu Rn. 109 ff.) Die Frage, warum es überhaupt möglich ist, eine fremde Handlung zuzurechnen und woraus sich diese Möglichkeit ergibt, wenn man davon ausgeht, dass der Einzelne grundsätzlich für sein Handeln selbst verantwortlich ist, wird nicht thematisiert. Die Antwort auf diese Frage ist aber entscheidender Wegweiser für die Bestimmung der weiteren Kriterien von Täterschaft und Teilnahme. Zudem ist der Begriff der Willensherrschaft jedenfalls ungenau, denn eine solche kann es aufgrund der Selbstbestimmung des Einzelnen genau genommen nicht geben. Der Wille an sich ist nicht beherrschbar, man kann ihn nur zum eigenen Nutzen missbrauchen. Denn auch der unmittelbar Handelnde (der Tatmittler) wird aufgrund eines Irrtums oder auch eines Nötigungsdrucks nicht automatisch zum „Werkzeug“ des Hintermanns, so könnte er sich auch besinnen oder dem Druck des Hintermannes standhalten. Der Vordermann bleibt Subjekt und ist aufgrund seiner Autonomie nicht in gleicher Weise beherrschbar wie ein Kausalprozess. Dies wird auch deutlich, wenn man sich die Perspektive des Opfers vergegenwärtigt. Dieses begreift die Verletzung nicht als ein hinzunehmendes Naturereignis, sondern zunächst unmittelbar als die von einer bestimmten handelnden Person (dem Vordermann) bewirkten Freiheitsverletzung. Damit wird nicht die Figur der mittelbaren Täterschaft insgesamt abgelehnt, denn auch wenn ein sich im Irrtum befindendes Subjekt grundsätzlich ein selbstreflektiertes Subjekt bleibt, wird damit nicht geleugnet, dass ein anderer sich den Irrtum für seine Zwecke zunutze machen kann. Zwar könnte sich die vom Hintermann eingesetzte Mittelsperson besinnen, aber dies überlässt jener eben dem Zufall.[118] Der Einzelne kann damit Erfahrungsregeln im handelnden Umgang mit Menschen einsetzen, ebenso, wie er sich Gesetze der Natur zunutze machen kann. Bedingt durch die Eigenständigkeit der jeweils handelnden Person sind diese aber von strukturell anderer und insbesondere auch von unsicherer Art als mechanische Abläufe. Vor diesem Hintergrund sind daher insbesondere die Fälle der sog. Nötigungsherrschaft und der sog. Organisationsherrschaft als Formen mittelbarer Täterschaft kritisch zu überdenken.[119]

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