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I. Naturalistisch-subjektivistische Beteiligungslehre und die Rechtsprechung des Reichsgerichts

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Der subjektivistischen Beteiligungslehre liegt ein naturalistisches Handlungsverständnis zugrunde, das seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rechtswissenschaft beherrschte. Zu dieser Zeit prägten naturalistische und evolutionistische Denkweisen die Wissenschaft. Es ging darum durch empirische Beobachtungen die äußeren Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten zu erforschen und dadurch voraussehen und beherrschen zu können.[45] So betrachtete man auch als Aufgabe der Strafrechtswissenschaft kausale Erklärungen von Verbrechen und Strafe liefern zu können.[46] Dazu beobachtete man den Taterfolg und den dafür ursächlichen handelnden Menschen. Der handelnde Mensch wurde beobachtet und untersucht, wie er der Naturkausalität unterworfen ist. Für einen empirischen Beobachter stellte sich die Handlung als Körperbewegung dar, die für eine Veränderung in der Außenwelt ursächlich war. Dabei galten alle Bedingungen, die zum Erfolg beitrugen, als gleichwertig. Der Wille der Handelnden blieb unberücksichtigt.[47] Generell wurden metaphysische Überlegungen nicht angestellt, denn es galt das Credo „Die Wissenschaft hört auf, wo die Metaphysik beginnt.“[48] Allein was empirisch nachweisbar war, galt als Wissenschaft. Der Mangel bloß empirischer Betrachtung von außen wird bei von Liszt besonders deutlich am Beispiel der Beleidigung: Die Beleidigung versteht er als Erregung von Luftschwingungen und physiologischer Prozesse in dem Nervensystem des Angegriffenen.[49]

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Menschliches Handeln wird danach auf einen kausalen Vorgang reduziert, während der Handlungswille „nur insofern als ein Bestandtheil des Kausalzusammenhangs angesehen werden (kann), als man in ihm lediglich das agens erblickt, welches die Körperkräfte in Bewegung gesetzt hat“.[50] Handlung ist dann bloß die „kausalwirkende willkürliche Körperbewegung (Konzentration der Muskeln)“,[51] der Erfolg eine Veränderung in der Rechtsgüterwelt.[52] Damit wird das Unrecht zu einer Erscheinung in der Außenwelt. Betrachtet wird auf der Unrechtsebene allein das äußere Verhältnis einer Handlung zum Erfolg.

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Nach einem solchen kausalen Handlungsverständnis ist als Angriff auf die Rechtsgüter jede Handlung zu sehen, die eine Ursache zur Herbeiführung des Erfolges gesetzt hat.[53] Es gibt keinen quantitativen oder qualitativen Unterschied zwischen den einzelnen Ursachen, vielmehr soll erst auf der Ebene der Schuld die Verantwortlichkeit für die Kausalität von Bedeutung sein.[54]

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Der kausale Handlungsbegriff reduziert menschliches Handeln auf ein „äußerliches-objektives Ereignis“ und verfehlt damit das personale Moment.[55] Denn der Einzelne handelt nicht nur kausal. Werden alle Ursachen als gleichwertige Bedingungen angesehen, kann zudem eine Differenzierung nach Beteiligungsformen auf objektiver Unrechtsebene nicht erfolgen. Für die Qualität des Erfolges macht es aufgrund der Gleichwertigkeit der Bedingungen keinen Unterschied, ob jemand dem Täter eine Waffe zur Tötung eines anderen zur Verfügung stellt oder selbst tötet. Denn beide haben für die Tat eine jeweils gleichwertige Ursache gesetzt.

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Eine Differenzierung der Beteiligungsformen erfolgt daher erst auf der subjektiven Seite, indem auf die Willensrichtung der Beteiligten abgestellt wird. Im Gegensatz zum Willen des Urhebers der Tat (Täter) hat der Gehilfe nur einen untergeordneten Willen. Der Gehilfe ist zwar ebenso „Verursacher des Erfolges, wie der Urheber. (. . .) Beide Mitwirksamkeiten aber erscheinen für den Erfolg von gleicher kausaler Bedeutung, weil jede von ihnen der andern erst die Kausalität verleiht. Sonach verursachen beide Mitwirksamkeiten gleichmäßig den ganzen Erfolg. (. . .) (A)uf dem Gebiet des Willens (zeigt sich) eine absolute Verschiedenheit derselben (. . .), welche die Strafwürdigkeit des Gehilfen als eine absolut geringere wie diejenige des Urhebers erscheinen lässt.“[56] Der Teilnehmer ordnet seinen Willen dem des Täters unter.[57]

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Die Rechtsprechung des Reichsgerichts wurde von der Kausalitäts- und Teilnahmelehre v. Buris geprägt, dessen maßgeblicher Einfluss auf seine Tätigkeit als Reichsgerichtsrat zurückgeführt wird. Die ersten Entscheidungen des Reichsgerichts betrafen die Abgrenzung der Beihilfe von der Mittäterschaft. Ausdrücklich bezieht sich hier das Reichsgericht für die Bestimmung der Differenzierungskriterien auf die Gesetzgebungsmotive. Danach soll sich der Gehilfe dadurch auszeichnen, dass er die Tat als die eines anderen behandelt, während die Beteiligung des Mittäters an der Tat aus der Absicht entspringt, die Tat als eigene zu unterstützen und zu vollenden.[58] Das Reichsgericht schließt daraus, dass der Mittäter die Tat als eigene will (animus auctoris), während der Gehilfe sie als fremde will (animus socii). Zudem führt es aus, dass der Wille des Gehilfen von dem des Täters abhängig sei, „er also seinen Willen demjenigen des Thäters dergestalt unterwirft, daß er es ihm anheimstellt, ob die That zur Vollendung kommen solle oder nicht“[59]. Der Mittäter erkenne demgegenüber „einen den seinigen Willen beherrschenden Willen nicht an“[60]. Objektiv genüge daher für eine gemeinschaftliche Ausführung jede Form der Mitwirksamkeit, ohne dass es eines besonderen Maßes an Mitwirkung bedürfe. Auch für die mittelbare Täterschaft sollte die subjektive Perspektive des Hintermanns in Bezug auf die Rechtsgutsverletzung maßgeblich sein, unabhängig vom Verhältnis der Mittelsperson zum Verletzungsgeschehen. So führt das Gericht aus: „Täter ist (. . .), wer irgendwie, sei es auch nur bei der Vorbereitung oder in der Form einer Hilfeleistung, zur Verwirklichung des Tatbestandes beiträgt und dabei die Tat als eigene will.“[61]. Indiz[62] sollte der Grad des Interesses der Handelnden am Erfolg sein.[63] Das Reichsgericht nahm unabhängig davon, ob die Mittelsperson bösgläubig war oder nicht, ob diese für die Rechtsverletzung vollverantwortlich war oder nicht, eine mittelbare Täterschaft des Hintermanns an.[64] Objektiv genügte damit für die Bejahung einer (mittelbaren) Täterschaft nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts die Tatsache, dass der Hintermann irgendwie auf eine andere Person Einfluss nahm, und es tatsächlich durch sie zu einer Rechtsverletzung kam. Gleichgültig war hingegen, ob die ausführende Person unzurechnungsfähig oder gutgläubig war oder bewusst rechtswidrig handelte. Entscheidend sollte nur der Täterwille des Hintermanns hinsichtlich des Verletzungserfolges sein.

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Mit der Betonung der subjektiven Seite des Handelnden spricht das Reichsgericht einen wichtigen Aspekt an, nämlich das Bewusstsein des Einzelnen, sich in einen bestimmten sozialen Zusammenhang einzuordnen. Problematisch ist jedoch, wenn das subjektive Selbstverständnis alleiniger Maßstab ist. Denn dann wird die objektive Seite mit dem Vorliegen des Täterwillens des Handelnden letztlich fingiert. Der Agierende wird aufgrund seiner Einstellung zur Tat bereits als Täter angesehen, mag sich die Tat auch objektiv als die eines anderen darstellen. Zudem zeigt sich, dass das alleinige Abstellen auf die subjektive Perspektive nicht in der Lage ist, ein gültiges Kriterium für die Abgrenzung beider Formen zu geben. Denn die objektive Wirkmacht des Handelnden hinsichtlich des tatbestandsmäßigen Geschehens kann nicht durch die subjektive Perspektive ersetzt werden. Eine Tötungshandlung begeht nicht schon derjenige, der vorsätzlich irgendeine Ursache zum Todeserfolg setzt und diesen „als eigenen will“, vielmehr nur derjenige, der diesen tatsächlich als den seinigen bewirkt.[65]

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