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I.Voraussetzungen und Parteien des Arbeitsverhältnisses 1.Voraussetzungen
Оглавление39(1) Ein Arbeitsverhältnis setzt zunächst den Abschluss eines privatrechtlichen Vertragsvoraus. Fehlt er, scheidet ein Arbeitsverhältnis aus, selbst wenn unselbstständige Dienste geleistet werden. Deshalb gehören die Rechtsverhältnisse folgender Personengruppen nicht zu den Arbeitsverhältnissen:
(a) „Unfreie“ (z. B. Strafgefangene, Sicherungsverwahrte) arbeiten grundsätzlich aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses (vgl. § 37 StVollzG; BAG AP Nr. 18 zu § 5 ArbGG 1953; OLG Hamburg NStZ 2016, 239).
Das Arbeitsrecht passt für sie nicht. Sie können z. B. nicht kündigen, keinen Betriebsrat wählen. Strafgefangene sind selbst dann keine Arbeitnehmer, wenn sie während des Strafvollzugs in einem Privatbetrieb arbeiten (BAG AP Nr. 18 zu § 5 BetrVG 1972), soweit es sich nicht um ein freies Beschäftigungsverhältnis nach § 39 Abs. 1 Satz 1 StVollzG handelt (LAG Baden-Württemberg NZA 1989, 886).
40(b) Beamte, Richter und Soldaten leisten zwar Arbeit im Dienste eines anderen, nicht aber aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags, sondern aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses, das durch einen Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) begründet wird (vgl. Art. 33 Abs. 4, 97, 12a GG). Für sie gelten die Beamten- und Richtergesetze des Bundes und der Länder bzw. das Soldatengesetz. Eine Ausnahme hiervon sieht § 5 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 3 BetrVG vor, wonach Beamte, die in privatrechtlich organisierten Betrieben tätig sind (z. B. Deutsche Telekom AG, Deutsche Bahn AG) betriebsverfassungsrechtlich als Arbeitnehmer gelten.
Beispiel: Die Justizsekretärin ist Beamte, der Justizangestellte ist Arbeitnehmer.
41(c) Familienangehörige des Arbeitgebers sind zum Teil kraft Gesetzes zur Arbeitsleistung verpflichtet und insoweit nicht Arbeitnehmer: Kinder (§ 1619 BGB) sowie der Ehegatte (wegen Beistandspflicht gem. § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das gilt regelmäßig auch dann, wenn nahe Angehörige mitarbeiten, die dazu gesetzlich nicht verpflichtet sind, oder wenn gesetzlich verpflichtete Angehörige über diese Verpflichtung hinaus tätig sind. Jedoch kann bei Vorliegen besonderer Umstände die Auslegung ergeben, dass ein Arbeitsvertrag gewollt ist. Dann ist der Angehörige auch Arbeitnehmer (beachte aber § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG; Rdnr. 996).
42(d) Sog. „Ein Euro-Jobber“, d. h. Arbeitsuchende, die im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten verrichten und hierfür nach § 16d Abs. 7 Satz 1 SGB II zusätzlich zum Arbeitslosengeld II eine Mehraufwandsentschädigung erhalten, sind keine Arbeitnehmer. Grundlage der Arbeit ist ein Verwaltungsakt, so dass kein privatrechtlicher Vertrag geschlossen wird (vgl. ausdrücklich § 16d Abs. 7 Satz 2 Hs. 1 SGB II). Gemäß § 16d Abs. 7 Satz 2 Hs. 2, Satz 3 SGB II sind aber die Arbeitsschutzvorschriften, das BUrlG und die Grundsätze über die Haftungsbeschränkung im Arbeitsverhältnis entsprechend anzuwenden.
Im Fall b handelt es sich um eine familienrechtlich begründete Mitarbeit. Dann entfallen Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge; die an F gezahlten Beträge sind keine Löhne, sondern private Entnahmen und deshalb steuerlich nicht abzugsfähig. Ist aber ein Arbeitsvertrag geschlossen, hat F als Arbeitnehmerin z. B. Anspruch auf Lohn und Urlaub. Die Löhne sind als Betriebsausgaben steuerlich abzugsfähig; Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge sind zu zahlen.
43(2) Es muss die Leistung von Diensten geschuldet sein; der Arbeitsvertrag stellt also einen Unterfall des Dienstvertragesdar. Dieser ist ein gegenseitiger Vertrag, in dem sich der eine Teil zur Leistung der versprochenen Dienste und der andere zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 611 Abs. 1 BGB bzw. § 611a Abs. 2 BGB).
Der Arbeitsvertrag ist deshalb von anderen Verträgen zu unterscheiden, bei denen es sich nicht um Dienstverträge handelt:
44(a) Der Auftrag (§ 662 BGB) richtet sich auf eine unentgeltliche Geschäftsbesorgung, während beim Arbeitsvertrag die Arbeitsleistung gegen Entgelt erbracht wird. Werden jedoch unentgeltliche Dienste in abhängiger Stellung geleistet, können Arbeitnehmerschutzvorschriften gleichwohl entsprechend anzuwenden sein. Fehlt eine Vereinbarung über die geschuldete Vergütung, so schließt dies ebenfalls die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts nicht zwingend aus. Vorrangig ist vielmehr zu prüfen, ob nicht gemäß § 612 Abs. 1 BGB eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, weil die Dienstleistung nach den Umständen nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
45(b) Beim Werkvertrag (§ 631 BGB) ist der Unternehmer „zur Herstellung des versprochenen Werkes“ gegen Vergütung verpflichtet; geschuldet wird ein bestimmter Erfolg, vgl. § 631 Abs. 2 BGB (Maßanzug, Fall a), während bei Arbeitsverträgen nur die Tätigkeit als solche geschuldet wird (BGHZ 151, 330). Steht der Leistungspflichtige allerdings in persönlicher Abhängigkeit vom Dienstberechtigten, so kann auch die Vereinbarung einer Erfolgsverantwortung des Dienstpflichtigen selbstverständlich nicht die Geltung des Arbeitsrechts verhindern. Der Vertrag ist dann ein Arbeitsvertrag (Rechtsformzwang). Ein anschauliches Beispiel hierzu liefert BAG NZA 2013, 1348. Aktuell werden Werkverträge aus arbeitsrechtlicher Sicht in einem anderen Kontext problematisiert (dazu Rdnr. 78 f.). Unternehmen (Auftraggeber) vergeben im Rahmen von Werkverträgen Aufträge an andere Unternehmen (etwa aus der IT-Branche), die sodann ihre Arbeitnehmer zur Erfüllung des Werkvertrages in den Betrieb des Auftraggebers entsenden. Dort arbeiten die Arbeitnehmer des Werkunternehmers sodann nach außen kaum unterscheidbar neben den Arbeitnehmern des Auftraggebers (sog. „on site“ Werkverträge). Übt der Letztgenannte auch gegenüber den entsandten Arbeitnehmern ein arbeitsrechtliches Weisungsrecht aus, sind sie gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 5, §§ 9, 10 AÜG als seine Arbeitnehmer zu qualifizieren (vgl. dazu Henssler, RdA 2017, 83 ff.).
46(c) Beim Gesellschaftsvertragkann ein Gesellschafter zur persönlichen Mitarbeit (z. B. ein Rechtsanwalt in einer Sozietät als Gesellschaft bürgerlichen Rechts) und damit zur Leistung von Diensten verpflichtet sein (§ 706 Abs. 3 BGB). Diese erbringt er aber nicht für einen anderen, sondern zur Förderung eines gemeinschaftlichen Zweckes (§ 705 BGB). Es fehlt die für den Arbeitsvertrag typische persönliche Abhängigkeit des einen Vertragspartners.
Das gilt aber nur insoweit, als der Gesellschafter in dieser Eigenschaft tätig wird. Im Einzelfall kann durchaus neben der gesellschaftsvertraglichen Bindung zusätzlich ein Arbeitsverhältnis begründet werden (BAG NZA 2004, 1116; 1993, 862).
Beispiel: Der Buchhalter einer Kommanditgesellschaft, der er als Kommanditist angehört, ist als Buchhalter Arbeitnehmer, als Kommanditist Gesellschafter. Der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter einer Personen- oder Kapitalgesellschaft kann dagegen nicht gleichzeitig Arbeitnehmer der von ihm beherrschten Gesellschaft sein.
47(d) Schließlich müssen auch andere Rechtsgeschäfte (z. B. Vereinsbeitritt, Behandlungsvertrag) ausscheiden.
Beruht die Dienstleistung vorwiegend auf Beweggründen karitativer oder religiöser Art(z. B. bei Ordensschwestern, Diakonissen), wird sie nicht aufgrund eines Dienst- oder Arbeitsvertrags, sondern aufgrund der Mitgliedschaft in einer entsprechenden karitativen oder religiösen Vereinigung erbracht (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG). Das gilt allerdings nur dann, wenn durch die Begründung vereinsrechtlicher Arbeitspflichten keine zwingenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften (objektiv) umgangen werden (BAG NZA 1995, 823: Arbeitsverhältnis bejaht bei hauptamtlich tätigem außerordentlichen Mitglied von Scientology, anders aber dann NZA 2002, 1412).
Die Rote-Kreuz-Schwester, die in einem von ihrer Schwesternschaft betriebenen Krankenhaus tätig wird (Fall c), ist aufgrund der Zugehörigkeit zu ihrer Schwesternschaft (also als Vereinsmitglied) nach deutschem Recht nicht aufgrund eines Arbeitsvertrags zur Arbeitsleistung verpflichtet (BAG NZA 1996, 33). Deshalb ist sie zum Betriebsrat nicht wählbar, wohl dagegen eine freie Krankenschwester. Die Gestellung einer Rote-Kreuz-Schwester an ein freies Krankenhaus ist aufgrund europarechtlicher Vorgaben (EuGH NZA 2017, 41 „Ruhrlandklinik gGmbH“) gleichwohl ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung (BAG NZA 2017, 662) (Fall c).
48Wird jemand vorwiegend aus medizinischen oder erzieherischen Gründen beschäftigt, arbeitet er nicht aufgrund eines Dienstvertrags, sondern allenfalls aufgrund eines Behandlungsvertrags, jedenfalls ohne Entlohnung (vgl. auch § 5 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG).
Beispiele: Kranke in Krankenanstalten oder Entziehungsanstalten; Beschäftigung Langzeiterkrankter zur Wiedereingliederung, § 74 SGB V (dazu BSG NZS 2008, 160). Schwerbehinderte werden in Behindertenwerkstätten regelmäßig im Rahmen eines sog. Werkstattverhältnisses tätig (ArbG Kiel, DB 2015, 2643).
49(3) Es muss sich um Arbeit in persönlicher Abhängigkeit handeln. Dieses für den Arbeitnehmerstatus wichtigste Merkmal unterscheidet den Arbeitsvertrag vom in § 611 BGB geregelten selbstständigen Dienstvertrag. Der Arbeitnehmer unterliegt in zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Hinsicht den Weisungen des Arbeitgebers. Der Selbstständige (selbstständige Gewerbetreibende und freiberuflich Tätige) verfügt dagegen im Wesentlichen frei über seine Tätigkeit und Arbeitszeit (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Die auf Dauer angelegte Tätigkeit für einen anderen nimmt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, frei über seine eigene Arbeitskraft anderweitig zu verfügen und so seinen Lebensunterhalt zu sichern. Seine daraus folgende besondere Schutzbedürftigkeit spiegelt sich mit der Einführung des § 611a BGB erstmals auch im Gesetz wieder.
Die Unterscheidung zwischen selbstständigem Dienstvertrag und Arbeitsvertrag ist in vielfacher Hinsicht bedeutsam: Nur für den Arbeitsvertrag sind z. B. Tarifrecht (vgl. aber § 12a TVG), Betriebsverfassungsrecht, Kündigungsschutzrecht, Arbeitszeitrecht von Bedeutung. Lohnsteuer- und gesetzliche Sozialversicherungspflicht kommen ebenfalls grundsätzlich nur beim Arbeitsvertrag in Betracht, wobei der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Beschäftigten nicht mit dem arbeitsrechtlichen des Arbeitnehmers identisch ist (dazu Wank, RdA 2020, 110, 113). In der Praxis führt diese unterschiedliche Anknüpfung immer wieder zu unnötiger Verunsicherung.
50Maßgebliches Kriterium für die Unterscheidung des Arbeitsvertrags vom freien Dienstvertrag ist die Unselbstständigkeit. Das Gesetz stellt ebenso wie die höchstrichterliche Rspr. für das Arbeitsverhältnis auf eine typische persönliche Abhängigkeit ab; diese ergibt sich in erster Linie aus dem Umfang der Weisungsgebundenheit (vgl. § 106 GewO). Weisungsgebunden ist gemäß § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB, wer – im Gegensatz zum Selbstständigen – nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit selbst bestimmen kann (vgl. auch § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Als weiteres wichtiges Indiz war die Eingliederung des Beschäftigten in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation anerkannt (BAG NZA 1992, 407; 1995, 622; 2002, 963; 2007, 1072; 2012, 731; 2013, 903). Sie wird allerdings in § 611a BGB nicht erwähnt und stellt jedoch kein eigenständiges Merkmal neben der persönlichen Abhängigkeit dar. Im Grunde lässt sich feststellen, dass bei tatsächlich praktizierter Weisungsgebundenheit der Arbeitnehmerstatus auch ohne eine betriebliche Eingliederung regelmäßig anzunehmen ist. Bei einer betrieblichen Eingliederung sind jedoch die Anforderungen an die Weisungsgebundenheit geringer. Die persönliche Abhängigkeit ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände zu ermitteln. Ist der zu Dienstleistungen Verpflichtete vertraglich berechtigt, seine Leistungen durch von ihm ausgewählte Dritte erbringen zu lassen, so liegt in der Regel (vgl. aber Rdnr. 80) kein Arbeitsverhältnis vor (BAG NZA 2002, 787).
51Beispiele für einen selbstständigen Dienstvertrag: Vertrag zwischen Arzt und Patient über die Heilbehandlung, zwischen Rechtsanwalt und Mandant über die Vertretung in einem Rechtsstreit, zwischen Architekt und Bauherrn über die Bauaufsicht; Handelsvertretervertrag (§ 84 Abs. 1 HGB, Brox/Henssler, Handelsrecht, Rdnr. 235).
Beispiele für einen Arbeitsvertrag: Vertrag zwischen Assistenzarzt und Krankenhaus; Vertrag zwischen einem Rechtsanwalt, der in der Rechtsabteilung eines Unternehmens tätig ist, und dem Unternehmer (sog. Syndikusanwalt; dazu Henssler/Prütting/Prütting, BRAO, 5. Aufl., 2019, § 46 Rdnr. 11 ff.); Vertrag zwischen Lizenzfußballspieler und dem Fußballverein (BAG NJW 1982, 788); Vertrag eines kaufmännischen Angestellten (Handlungsgehilfen, vgl. § 59 HGB, Brox/Henssler, Handelsrecht, Rdnr. 237); Vertrag einer Cutterin bei einer Rundfunkanstalt (BAG NZA 2013, 903).
Im Fall a ist der Lohn für Januar (aus dem Arbeitsvertrag) beim Arbeitsgericht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG), der Lohn für die Flickarbeit und für den Maßanzug (jeweils aus einem Werkvertrag) beim Amtsgericht einzuklagen.
52Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses kommt es nicht auf eine wirtschaftliche, sondern auf eine persönliche Abhängigkeit an (BAG AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BGH NZA 2002, 1086).
Beispiele: Der Inhaber einer kleinen Wäscherei arbeitet seit einigen Jahren nur noch mit einem großen Hotel zusammen. Von diesem ist er zwar wirtschaftlich abhängig; für einen Arbeitsvertrag fehlt es jedoch an einer persönlichen Abhängigkeit (vgl. BAG AP Nr. 37 zu § 611 BGB Abhängigkeit bezügl. Kantinenpächter). Die wirtschaftliche Abhängigkeit kann dazu führen, dass einzelne Arbeitsgesetze anzuwenden sind (sog. arbeitnehmerähnliche Personen; vgl. Rdnr. 88). Der Chefarzt eines Krankenhauses ist hinsichtlich seiner ärztlichen Tätigkeit nicht an Weisungen (etwa des Krankenhausträgers) gebunden; er ist aber von den im Krankenhaus getroffenen organisatorischen Maßnahmen abhängig. Deshalb ist ein Arbeitsvertrag zu bejahen (BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; NZA 2000, 427). Allerdings erklärt das Arbeitsrecht ausdrücklich bestimmte Schutzvorschriften für unanwendbar auf Chefärzte, so § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG für das Arbeitszeitrecht.
Ob die Fernsehreporterin Arbeitnehmerin oder freie Mitarbeiterin ist (Fall d), hängt nicht davon ab, wie die Vertragsparteien ihr Rechtsverhältnis bezeichnen; entscheidend ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit. Erwartet der Vertragspartner eine ständige Dienstbereitschaft, verfügt er über die Arbeitszeit wie ein Arbeitgeber, ist die Mitarbeiterin in ihrer Entscheidung über die Ablehnung einzelner Aufträge nicht frei, so spricht das für einen Arbeitsvertrag (vgl. etwa BAG AP Nr. 12, 21, 26, 35 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Allerdings haben die Gerichte bei der Entscheidung, ob ein Arbeitsvertrag mit der Rundfunkanstalt vorliegt, die Einwirkung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) zu berücksichtigen; dieses erstreckt sich auf das Recht, dem Gebot der Vielfalt der zu vermittelnden Programminhalte auch bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Rundfunkmitarbeiter Rechnung zu tragen, die bei der Gestaltung der Programme mitwirken (BVerfGE 59, 231; BAG RdA 2000, 361 mit Anm. Rüthers).
53Mit dem durch die Indizien der Weisungsgebundenheit und – allerdings nur eingeschränkt – demjenigen der Eingliederung in den Betrieb konkretisierten Kriterium der persönlichen Abhängigkeit lassen sich viele Fälle sachgerecht zuordnen. Im Wirtschaftsleben bilden sich aber ständig neuartige Betätigungsformen heraus, bei denen die klassischen Abgrenzungskriterien versagen.
Beispiele: Ein EDV-Spezialist erstellt in Kundenbetrieben für die elektronische Datenverarbeitung Programme; er nimmt die einzelnen Aufträge entgegen, richtet sich aber bei deren Erledigung zeitlich nach den Wünschen der Kunden. – Ein Projektleiter soll innerhalb einer bestimmten Zeit eine zusätzliche Fertigungsstraße einrichten. Hinsichtlich der Organisation der Arbeit wird ihm freie Hand gelassen.
Hier verliert die Weisungsgebundenheit hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsausführung an Bedeutung. Im Fall des EDV-Spezialisten besteht zudem nur eine lockere Bindung an den Betrieb; es fehlt die räumliche Einbindung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation; er benötigt zur Erledigung der Aufträge allein sein Fachwissen. – Andererseits unterliegen auch Selbstständige Weisungen ihres Vertragspartners (z. B. der Rechtsanwalt bei der Frage, ob Berufung eingelegt werden soll, oder der Werkunternehmer hinsichtlich der Ausführung des Werkes, vgl. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB). Schwierig ist die Abgrenzung insbesondere bei Soloselbstständigen, die nicht ihrerseits Mitarbeiter beschäftigen.
54Auch Scheinselbstständige sind Arbeitnehmer. Es geht dabei um Tätigkeiten, die nur scheinbar selbstständig ausgeübt werden, während es sich in Wirklichkeit um weisungsgebundene Arbeit handelt (dazu Wank, DB 1992, 90; Gerber, Die Scheinselbstständigkeit im Rahmen des Einzelarbeitsvertrages, 2005). Im Wirtschaftsleben ist bereits seit längerem die Tendenz zu beobachten, einzelne Glieder der Produktionskette oder sie umlagernde Bereiche (Reinigung, Bewachung, Transport, Lagerhaltung, Auftragsbeschaffung) auszugliedern, teils werden die Tätigkeiten sogar ehemaligen Arbeitnehmern wegen ihrer betriebsspezifischen Kenntnisse übertragen, allerdings im Rahmen eines selbstständigen Dienstvertrages oder Werkvertrages.
55Beispiele: Ein LKW-Fahrer mietet von seinem bisherigen Arbeitgeber den von ihm gefahrenen LKW und führt für diesen nun als „Selbstständiger“ Frachtaufträge aus. Ein Weinhersteller verpachtet „selbstständigen“ Weinhändlern fertig eingerichtete Ladenlokale; in den Verträgen verpflichten sich die Weinhändler, Richtlinien über das Warenvertriebssystem, die Preisgestaltung, Buchführung bis hin zu bestimmten Ladenöffnungszeiten einzuhalten (vgl. BAG NZA 1991, 141).
Diese Personen sind formal als Selbstständige tätig. Sie übernehmen nicht selten auch ein echtes unternehmerisches Risiko. Dem steht aber wegen der engen Vorgaben des Vertragspartners kein nennenswerter eigener Gestaltungsspielraum gegenüber, der ein Auftreten am Markt und damit eine echte Gewinnchance zuließe. Die unternehmerische Organisationsgewalt verbleibt vielmehr bei dem Vertragspartner.
Kann z. B. der EDV-Spezialist ohne weiteres einzelne Aufträge ablehnen, spricht dies gegen eine Arbeitnehmerstellung. Auch bei für eine Plattform tätigen Crowdworkern wird es wegen der fehlenden Leistungspflicht regelmäßig an der Arbeitnehmereigenschaft fehlen (LAG München NZA 2020, 316). Ist ein Produktionsleiter zur Erledigung des Auftrags auf die Arbeitgeberorganisation (Arbeitnehmer, Arbeitsgerät) angewiesen, fehlt dagegen die einen Selbstständigen kennzeichnende eigene Organisationsgewalt; er ist Arbeitnehmer. Bei dem LKW-Fahrer und den Weinhändlern ist darauf abzustellen, ob sie auch für andere Auftraggeber tätig werden, werbend am Markt auftreten, über eine eigene Organisation (sächliche, persönliche, immaterielle Betriebsmittel) verfügen und ihnen bei der Erledigung der Aufträge hinsichtlich Kalkulation und Gestaltung so viel Spielraum verbleibt, dass eine unternehmerische Gewinnchance besteht.
56Kein Arbeitsvertrag ist regelmäßig der (gesetzlich nicht geregelte) Franchisevertrag. Der Franchisenehmer ist zwar häufig an ein ins Einzelne gehendes Organisations- und Marketingkonzept des Franchisegebers gebunden und insoweit dessen Überwachungs- und Weisungsrecht unterworfen. Er wird aber im eigenen Namen und für eigene Rechnung tätig und ist deshalb typischerweise Selbstständiger (Einzelheiten: Horn/Henssler, ZIP 1998, 598). Die umfassenden Kontrollrechte des Franchisegebers können allerdings im Einzelfall eine so starke wirtschaftliche und sogar persönliche Abhängigkeit des Franchisenehmers begründen, dass dieser zumindest als arbeitnehmerähnliche Person (BAG NZA 1999, 53; vgl. Rdnr. 91), wenn nicht gar als Arbeitnehmer anzusehen ist (BAG NZA 1997, 399; 1997, 1126; BGH NZA 2000, 390; BGHZ 140, 11).