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4.Zeitarbeit

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74Beim sog. Leiharbeitsverhältnis stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit dessen Einverständnis (§ 613 Satz 2 BGB) für eine bestimmte Zeit einem anderen zur Arbeitsleistung zur Verfügung. Dieser andere („Entleiher“) erhält damit Arbeitgeberfunktionen. Denn er hat während der Dauer dieser „Leihe“ den Anspruch auf die Arbeitsleistung; ihm steht das Weisungsrecht zu; ihn treffen auch die Schutzpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer. Andererseits bleibt das Arbeitsverhältnis mit dem „Verleiher“ bestehen; dieser ist weiterhin zur Lohnzahlung verpflichtet. Einzelheiten ergeben sich aus den getroffenen Abmachungen. Der Begriff Leiharbeit ist bei näherer Betrachtung völlig verfehlt, weil er den Arbeitnehmer zum verleihbaren Gegenstand degradiert; besser ist daher der Begriff der „Zeitarbeit“. Von Seiten der Gewerkschaften wird bewusst der abwertende Begriff der Leiharbeit verwendet, während die Branche selbst von Zeitarbeit spricht. Eine pauschale Abwertung vernachlässigt, dass die Zeitarbeit empirisch nachweisbar positive Effekte für den Arbeitsmarkt hat.

75Bei einem echten Zeitarbeitsverhältnis wird der Arbeitnehmer nur vorübergehend „ausgeliehen“ (z. B. ein Baggerführer mit dem für kurze Zeit vermieteten Bagger). Beim unechten Zeitarbeitsverhältnis dagegen wird der Arbeitnehmer (z. B. eine Schreibkraft) von einem Zeitarbeitsunternehmen schon mit dem Ziel eingestellt, ihn gewerbsmäßig an andere zu überlassen (Arbeitnehmerüberlassung). Die gewerbsmäßig betriebene Arbeitnehmerüberlassung, auf die sich auch international tätige Großfirmen spezialisiert haben, kann zu besonderen Schutzbedürfnissen der „verliehenen“ Arbeitnehmer führen. Dieser Wirtschaftszweig hatte sich, nicht zuletzt verursacht durch die engmaschigen Regulierungen des deutschen Arbeitsrechts und durch den Versuch, den hohen Arbeitskosten bestimmter Tarifbereiche zu entgehen, relativ stark ausgeweitet. Aktuell liegt sein Anteil in Deutschland allerdings bei lediglich 2 %, ist also relativ gering. Den europaweit aus dem Anwachsen der Zeitarbeit entstehenden Problemen wollen die Richtlinien 91/383/EWG (ABl. vom 29.7.1991 Nr. L 206/19) sowie 2008/104/EG (ABl. vom 19.11.2008 Nr. L 327/9) und auf nationaler Ebene das mehrfach, zuletzt 2017 grundlegend novellierte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) begegnen.

76Der deutsche Gesetzgeber sah in der Leiharbeit, nachdem er sie jahrzehntelang als eher unerwünschte Entwicklung sehr restriktiv behandelt hat, für eine gewisse Zeit sogar eine Lösung der Arbeitsmarktprobleme. So wurden im Zuge der sog. Hartz-Gesetze verschiedene Anreize geschaffen, um die Beschäftigung von Arbeitslosen über sog. Personalserviceagenturen (PSA) und Zeitarbeitsfirmen zu erleichtern (dazu Wank, RdA 2003, 1, 6 ff.). Auch wurde die Möglichkeit eröffnet, durch Tarifverträge von dem Grundsatz „equal pay“ bzw. „equal treatment“, also der Gleichbezahlung und -behandlung der überlassenen Arbeitnehmer mit der Stammbelegschaft, abzuweichen. Zuletzt wurden die Anforderungen an die Leiharbeit wieder kontinuierlich erschwert. Nachdem die Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG im Jahr 2011 bereits zu einer Re-Regulierung beitrug (dazu Hamann, RdA 2011, 321), wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit Wirkung zum 1.4.2017 in wesentlichen Teilen novelliert (dazu Lembke, NZA 2017, 1). Der Gesetzgeber verfolgte mit der Reform 2017 das Ziel, die Zeitarbeit auf ihre Kernfunktionen zurückzuführen. So wurde in § 1 Abs. 1b AÜG zum Schutz der Arbeitnehmer eine (tarifdispositive) Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten festgelegt. Nach ersten Bewertungen der beteiligten Akteure führt diese Maßnahme jedoch nicht zu signifikant besseren Übernahmechancen der eingesetzten Arbeitnehmer. Demnach erleichtert die Höchstüberlassungsdauer selten eine dauerhafte Anschlussbeschäftigung beim Entleiher, sondern führt in der Regel allenfalls zur Vereinbarung eines befristeten Arbeitsvertrages. Im Vergleich zu der sichereren unbefristeten Beschäftigung bei einem Zeitarbeitsunternehmen finden sich die Betroffenen so in tatsächlich prekären Beschäftigungsverhältnissen wieder.

77In § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist mit der Novelle 2017 erstmals eine Definition der Arbeitnehmerüberlassung enthalten. Zeitarbeit liegt vor, wenn Arbeitgeber als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit überlassen. Satz 2 präzisiert, dass Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen werden, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen. Sind die Voraussetzungen der Zeitarbeit gegeben, bedarf der Verleiher nach dem AÜG einer Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit (§§ 1 ff. AÜG). Bei unerlaubter Überlassung sind sowohl der Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher als auch der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers mit dem Verleiher unwirksam (vgl. § 9 Nr. 1 AÜG); zum Schutz des Arbeitnehmers wird jedoch ein Arbeitsvertrag mit dem Entleiher fingiert (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG).

78Der Verleiher hat die üblichen Arbeitgeberpflichten, der Entleiher vornehmlich Schutzpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer (vgl. § 11 Abs. 6 AÜG). Im Baugewerbe ist die Arbeitnehmerüberlassung gem. § 1b AÜG eingeschränkt, weil in diesem Bereich besonders schwerwiegende Missstände festgestellt wurden. Die Arbeitnehmerüberlassung zwischen verschiedenen Unternehmen desselben Konzerns ist gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG in der Regel – mit Ausnahme weniger Vorschriften – nicht an den Maßstäben des AÜG zu messen (Konzernprivileg). Von dem Grundsatz „equal pay“ gibt es gem. § 8 AÜG nur noch in begrenztem zeitlichem Umfang die Möglichkeit tariflicher Abweichung. Ein Tarifvertrag kann für bis zu 9 Monate nach der Überlassung abweichende Arbeitsbedingungen vorsehen. Alternativ können die Tarifvertragsparteien eine stufenweise Heranführung an ein gleichwertiges Entgelt vereinbaren, die jedoch nach spätestens 15 Monaten ihren Abschluss finden muss. Die Festlegung, welches Entgelt „gleichwertig“ ist, obliegt dabei den Tarifvertragsparteien (hierzu Thüsing/Beden, NZA 2018, 404).

79Auf die zunehmende Stärkung der Position der Leiharbeitnehmer durch den Gesetzgeber reagierte die Praxis u. a. mit dem grundsätzlich unbedenklichen Abschluss von Werkverträgen mit Fremdpersonal. Dieses Vorgehen birgt allerdings Risiken: Kommen die Gerichte im Falle einer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmer des Werkunternehmers in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und dort weisungsgebunden, und deshalb gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 als Leiharbeitnehmer anzusehen sind, greift § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG mit der Folge, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem (Schein-)Werkbesteller fingiert wird. Im Zuge der Novelle 2017 wurde in § 1 Abs. 1 Satz 5, 6 AÜG eine Kennzeichnungs- und Konkretisierungspflicht aufgenommen, um Vermeidungsstrategien einzuschränken. Eine Evaluation des AÜG ist für den Zeitraum ab 2020 geplant, aufgrund der vorgesehenen Dauer von 26 Monaten kann mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse erst für das Jahr 2022 gerechnet werden.

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