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Rückkehr nach Tsorf

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Die Sonne stand hoch am Himmel als Evol den letzten Hügel überwunden hatte. Hinter ihr lag die Hügellandschaft von Tsorf, welche an der Grenze zum südlich gelegenen Fürstentum Ruof begann. Die Wälder Ruofs gingen an diesem Platz in die mit saftigem Gras bewachsenen Hügel Tsorfs über. Es schien als hätte die Natur selbst diese Grenze gezogen.

Viel wichtiger war aber was vor ihr lag. Von diesem letzten Hügel aus konnte sie in einiger Entfernung das Schloss von Tsorf, die Residenz des Königs, sehen. Hinter dem Schloss konnte Evol noch die Ausläufer der nördlichen Gebirgskette sehen, welche noch nie ein Mensch bisher überwunden hatte. Auf dem kleinen See nahe der Burg spiegelte sich das klare Blau des wolkenlosen Himmels wieder. Die Schlossbewohner verwendeten den See als Wasserquelle um Speisen zuzubereiten, Wäsche zu waschen oder um das Schloss selbst zu reinigen. Dabei wurde peinlich genau darauf geachtet, dass das Schmutzwasser nicht zurück in das Gewässer gelangte. Grund dafür war, dass der See keinen Abfluss hatte. Er wurde von einer kleinen unterirdischen Quelle gespeist, welche gerade ausreichte um das entnommenen Wasser wieder zu ersetzen. Dadurch konnte sich der See aber auch nur in begrenztem Ausmaß selbst reinigen. Man erzählte sich, dass die Sauberkeit des Sees hochgehalten wird, seit wegen zu starker Verunreinigung einmal die Pest das Schloss und seine Bewohner heimgesucht hatte.

Das Schloss selbst war schlicht gehalten. Evol hatte schon manchen Reisenden getroffen, der es gar als langweilig bezeichnete. Das Gemäuer war ein länglicher Quader an dessen vier Ecken jeweils ein runder Turm mit Befestigungsanlagen aufragte. Die Mauern waren stabil gebaut und das Tor gut befestigt. Verglichen mit all den Schlössern der Fürstentümer des angrenzenden Königreichs war es wohl das zweitkleinste. Das kleinste Schloss war die Residenz des Nachbarfürsten von Regnad.

Der Anblick des kleinen Schlosses verschaffte ihr Erleichterung. Angenehme Erinnerungen stiegen in ihr auf und verdrängten die Strapazen der Reise

Evols Pferd schnaubte erschöpft. Weißer Schaum troff aus dem Maul des Schimmels auf den Boden. Sanft drückte sie der Stute die Fersen in die Flanken. Der Schimmel trabte müde auf das Schloss zu. Sie hasste es, wenn Reiter ihre Tiere den ganzen Weg über hetzten ohne Pausen zu gönnen. Nun hatte Evol dasselbe tun müssen, da ihre Nachrichten von größter Wichtigkeit waren.

Gleich nachdem Sie aus dem Wald geritten war, hatte sie ihr Pferd zu Höchstleistungen angetrieben um den Weg nach Tsorf so schnell wie möglich zurückzulegen. Bei einem Stallmeister in der nächstgelegenen Stadt hatte sie ihr altes Pferd gegen ein neues getauscht. Wenn der ansässige Stallmeister zusätzliches Geld für den Tausch wollte, hatte sie aus einem Beutel mit Goldmünzen bezahlt, der ihr erst später aufgefallen war. Ihr erstes Pferd dürfte wohl einem hohen Befehlshaber gehört haben.

Von dem Geld hatte sie sich auch neue Kleider gekauft. Der alte zerfetzte Kapuzenmantel, welchen sie von den schwarzen Soldaten bekommen hatte, war durch bequemes Reitergewand aus braunem Leder und einfachen Stoffen ausgetauscht worden.

Sie musste noch öfters ihre Pferde wechseln und hielt dabei immer nach dem Tier mit der besten Ausdauer Ausschau. Aber mit jedem Tier, welches Sie bis zum Letzten antrieb war ihr schlechtes Gewissen gewachsen. Ihr jetziges Reittier hatte diese Behandlung lange mitgemacht, aber kurz vor dem Ende der Hügellandschaft von Tsorf war klar geworden, dass es nicht mehr konnte. Zu mehr als diesem leichten Trab ließ sich der Gaul nicht mehr antreiben.

Evol tat das Tier leid. Vorsichtig beugte sie sich zu einem Ohr der Stute vor. Eine Strähne ihres weißblonden Haares löste sich aus dem Pferdeschwanz den sie sich gemacht hatte und fiel auf den Hals des Pferdes, welches mit einem Zucken auf die Berührung antwortete.

„Gleich hast du es geschafft und wenn wir erstmal im Schloss sind werde ich dem Stallknecht sagen, dass er dich wie eine Kaiserin unter den Pferden behandeln soll. Was hälst du davon?“

Der Schimmel schnaubte. Ob er damit auf ihre Worte reagiert hatte oder es einfach nur so getan hatte, konnte Evol nicht sagen, jedoch wertete sie es als Zustimmung.

Gähnend lehnte sie sich in ihrem Sattel zurück. In den letzten Tagen hatte sie nur geschlafen wenn es nötig war. Eines Nachts war sie in vollem Galopp kurz weggenickt und wäre dabei um ein Haar aus dem Sattel geflogen. So wenig Schlaf war sie nicht gewohnt.

Langsam aber sicher näherten sich Pferd und Reiterin dem Schloss. Im näheren Umkreis des Schlosses wuchs außer Gras nichts. Dies hatte einen guten Grund. Das Fürstentum Tsorf lag weit im Norden und deshalb wurde es hier sehr früh im Jahr kalt. Mitte Herbst machten sich die Hofmagier daran das Schloss zu erweitern. Allerdings nutzten sie dazu keine Steine, sondern reines Eis. Es dauerte dann nicht lange und die Burg erstrahlte in einer Pracht, der nicht einmal das Schloss des Hochkönigs in Latípac das Wasser reichen konnte.

Tsorfs Schloss wurde dabei um eine starke Befestigungsmauer erweitert und bildete damit einen Hof für das Schloss. Diese Eismauer wurde mit Befestigungstürmen bestückt, welche den runden Ecktürmen aus Stein glichen. Bei Bedarf wurde sogar noch ein zweiter, kleinerer Verteidigungsring um das ausgebaute Schloss gezogen. Das Steingebäude bildete das Zentrum der Eisbauten und wurde mit einem Eisanbau von mindestens gleicher Größe ergänzt, dem Eispalast wie er gerne genannt wurde. Die Einrichtung der neuen Räumlichkeiten bestand dabei ebenfalls größtenteils aus gefrorenem Wasser.

Trotz der Fertigung aus Eis war in den Eisräumen nicht mehr Kälte zu spüren als in den Steinräumlichkeiten des Schlosses. Die Magier von Tsorf waren Experten im Umgang mit dem Eis und konnten seine Eigenschaften auf jede erdenkliche Weise verändern. Sogar das Schüren eines Feuers in einem Eiskamin oder das Schlafen in einem Eisbett war ohne unerwünschte Nebeneffekte möglich.

Am Frühlingsende wurde die Konstruktion dann wieder schrittweise abgetaut. Bei Bedarf konnte die Anlage aber das ganze Jahr über aufrechterhalten werden. Da dies aber in Zeiten des Friedens nicht notwendig war und dazu außerdem viel magische Energie benötigte, speziell während der warmen Jahrenszeiten, hatte der König von Tsorf verfügt, dass die restliche Zeit der Steinaufbau reichen musste.

Auch Evol war eine Eismagierin. Sie war zwar nicht die beste am Hof, aber nahe dran und das obwohl sie erst seit kurzem als Frau und nicht mehr als Mädchen behandelt wurde. Ihr war es aber nie besonders wichtig gewesen die Beste zu werden, tatsächlich hatte sie den Unterricht von aggressiveren Spielarten der Eismagie nur ungern besucht. Sie sah wenig Nutzen darin, abgesehen davon andere Lebewesen zu verletzen oder gar zu töten. Allein den Gedanken daran fand sie abstoßend.

Die zweite Art der Zauberei, auf welche sich die Eismagier von Tsorf meisterlich gut verstanden, war die Barrieremagie. Dies hatte Gründe, an welche sie im Moment jedoch keinen Gedanken vergeuden wollte.

Mittlerweile hatte Evol das Schlosstor erreicht. Müde winkte sie einem der Wachmänner am offenen Tor zu. Der Soldat trug wie alle Schlosswachen einen silbernen Brustharnisch und einen spitz zulaufenden Stahlhelm. Die Stoffe, welche er trug waren in einem hellen Blau gehalten, entsprechend der Farben der Königsdynastie. In seiner Rechten hielt er eine Lanze. Für den Nahkampf hing auch noch ein Säbel an seinem Gurt. Der Mann selbst war bereits im fortgeschrittenen Alter. Das Haar, welches ihm ansatzweise in die Stirn hing, zeigte schon das erste Grau.

Als der Wachmann sie erkannt hatte, weiteten sich seine Augen. Hastig schritt er zum Tor und brüllte etwas Unverständliches bevor er zu ihr gelaufen kam. Evol stieg ab und musterte den anstürmenden Mann. Sie hatte ihn schon oft gesehen, seinen Namen hatte sie jedoch trotzdem wieder vergessen. Es gefiel ihr ganz und gar nicht mit jemandem zu sprechen, dessen Name sie vergessen hatte, da ihr das äußerst unhöflich vorkam. Doch noch ehe Evol überhaupt den Mund aufmachen konnte, plapperte der Torwächter wie ein Wasserfall los.

„Bei den Göttern, ihr seid wohlauf. Wo seid ihr gewesen, ihr hättet schon vor geraumer Zeit wieder hier sein sollen. Was ist geschehen? Warum habt ihr keine Nachricht geschickt?...“

Evol hob beschwichtigend die Hände um den Soldaten zu beruhigen. Der ließ sich durch die Geste nicht bremsen. Entweder wollte er nicht aufhören zu reden oder er hatte es einfach nicht wahrgenommen. Sie tippte auf Letzteres.

„Wir waren krank vor Sorge. Ihr wart wie vom Erdboden verschluckt. Seid ihr von Räubern belästigt worden? Seht Ihr, das passiert wenn man ohne Eskorte auf Reisen geht. Warum besteht Ihr nur immer darauf, dass…“

„Ich denke du vergisst gerade, wem du hier Vorschreibungen machen willst. Du solltest dich etwas zügeln, mein Lieber.“

Der Soldat hielt in seiner Predigt inne und blickte in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. Unmittelbar hinter ihm stand ein kleiner, leicht untersetzter Mann in fleckigem, braunem Arbeitsgewand. Der Stallmeister war älter als der Wächter und trug sein ergrautes Haar schulterlang. Vereinzelt konnte Evol Stroh in seinen Haaren erkennen. Auch sein kurzer Bart war davon nicht verschont geblieben.

Unverzüglich wandte sich der Wachsoldat wieder Evol zu und senkte seinen Kopf. Doch noch bevor er seine Entschuldigung hervorbringen konnte, schnitt Sie ihm das Wort ab.

„Schon vergessen. Ich muss den König sprechen, es ist dringend.“

Der Stallmeister war in der Zwischenzeit an die Seite von Evols Stute getreten und streichelte das Tier. Sogar auf diese Entfernung drang der starke Geruch von Stall in ihre Nase.

Kurz konnte sie erkennen, dass der Soldat mit sich selbst haderte ehe er antwortete.

„Ich habe Befehl dafür zu sorgen, dass der König nicht gestört wird. Seine Majestät meinte er wolle seine Ruhe haben und…“

Der Stallmeister drehte sich um und starrte dem Mann eindringlich in die Augen. Der Torwächter brach ab um erneut anzusetzen. Offenbar schien er sich eines Besseren besonnen zu haben.

„Verzeiht. Ich meine natürlich ich werde ihn sofort benachrichtigen, sofern Ihr es wünscht.“

Evol legte den Zeigefinger an ihre Unterlippe und überlegte. Wenn der König nicht gestört werden wollte, dann hatte das sicher seine Gründe. Vertrauenswürdig waren alle Bediensteten des Schlosses, doch diese Nachricht war von besonderer Wichtigkeit und bedurfte zudem einer strikten Geheimhaltung. Das wiederum traute sie nicht allen Schlossbediensteten zu. Schließlich fasste sie einen Entschluss.

„Nein, nein. Er hat recht. Wenn der König nicht gestört werden will, dann möchte ich ihn auch nicht stören. Könnt ihr bitte den Kanzler herbringen, ich werde derweil mein Pferd im Stall austauschen.“

Die Augen des Mannes wurden groß.

„Ihr reist schon wieder ab? Wohin reitet Ihr. Nehmt Ihr diesmal eine Eskorte mit?“

Wieder starrte der Stallmeister den Soldaten unverhohlen an. Dieser ließ seinen Blick von Evol zum Stallmeister wandern und dann wieder zurück zu ihr. Dann räusperte er sich und rannte in das Schloss.

„Tut mir leid wegen ihm. Er ist ein guter und zuverlässiger Kerl, aber er neigt dazu sich einfach zu viele Sorgen zu machen. Vielleicht ist er aber auch gerade deswegen ein so guter Wachsoldat.“

Der Stallmeister übernahm die Zügel und führte den Schimmel am Schloss entlang zu den Ställen, welche sich an einem Ende des rechteckigen Gebäudes befanden. Evol folgt ihm. Sie war müde, doch froh für eine Augenblick den Sattel verlassen zu können.

„Ich muss aber zugeben, dass ich mir ebenfalls Sorgen um Eure frühe Abreise mache.“

„Bitte nicht schon wieder diese höfliche Anrede, ich fühle mich dabei nicht wohl wenn du so mit mir sprichst. Dafür kenne ich dich schon zu lange. Außerdem lege ich ohnehin keinen Wert darauf, das weißt du doch.“

Leise seufzte der Stallmeister.

„Du solltest aber Wert darauf legen. Hast du den Wachmann gesehen? Sein Verhalten war unangemessen, beinahe respektlos. Solch ein Verhalten förderst du damit. Sogar mir schenkt er mehr Respekt und das, obwohl ich nur der verflixte Stallmeister bin. Ich weiß ich bin nicht dein Vater, aber das hindert mich nicht daran immer wieder zu predigen.“

Der Stallmeister schenkte ihr ein etwas faltiges Grinsen, ein weiterer Beweis seines Alters.

„Du und Vater seid euch gar nicht so unähnlich.“

„Das werte ich als Kompliment.“

Nun war es Evol die lächelte.

„So war es auch gemeint, Esroh“

Die beiden traten durch die Stalltür. Die Ställe des Hofes waren nicht besonders groß. Obwohl Tsorf ein selbständiges Königreich war, hatte es ebenfalls den Vertrag zur solidarischen Armeebeschränkung unterschrieben, der an die Fürstentümer des benachbarten Hochkönigreiches gerichtet war.. Dadurch benötigte man auch keine Armeepferde. Die Kaserne des Schlosses war schon lange in andere, nützlichere Räumlichkeiten umgewandelt worden. Der König von Tsorf bediente sich lieber der Diplomatie als der militärischen Gewalt.

Der Schimmel wurde in eine leere Box geführt. Evol tätschelte noch ein letztes Mal den Kopf der Stute, bevor sie sich nach einem anderen Reittier umsah.

„Kannst du bitte dafür sorgen, dass die Stute eine Woche lang deine beste Behandlung erfährt? Sie musste viel durchmachen.“

Esroh brummte zustimmend und nahm das Pferd genauer in Augenschein. Dabei schnalzte er missbilligend mit der Zunge.

„Seit wann reitest du deine Pferde so hart, Evol. Das Tier ist am Ende seiner Kräfte.“

Sie hielt inne und wandte sich Esroh mit schuldbewusster Miene zu.

„Ich habe es nicht gerne getan, aber es musste sein. Die Informationen, die ich habe sind dringend. Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, dann hätte ich meine Reittiere gerne geschont. Die Götter wissen, dass ich mir Vorwürfe mache.“

Esroh blickte sie an, dennoch lag in seinem Blick keine Schuldzuweisung. Der Stallmeister hatte schon öfters Botenpferde wieder auf Vordermann gebracht, da diese häufig bis zur Erschöpfung geritten wurden.

„Ich wollte damit nicht sagen, dass du es gerne getan hast. Seit ich mich erinnern kann, hast du dich schon als kleines Mädchen gut mit Pferden verstanden. Was ist also so wichtig, dass du deine Pferde plötzlich so antreibst? Hat das vielleicht auch etwas mit deinem baldigen Aufbruch zu tun?“

Erleichtert, dass Esroh sie nicht verurteilte, setzte sie ihre Runde im Stall fort und blieb schließlich vor einem hellbraunen Pferd stehen. Der Fuchs war hochgewachsen und hatte einen weißen Fleck an der Stirn. Evol liebte diesen Fleck bei Pferden.

„Ja, ich werde dir gleich alles erzählen, dir und dem Kanzler. Ihr sollte dann dem König berichten.“

Der Fuchs blähte seine Nüstern als sie sanft mit ihrer Hand über den Kopf des Pferdes fuhr. Sie hörte wie Esroh pfeifend die Luft ausstieß

„Ich denke ich nehme das hier. Mach es bitte reitfertig für mich. Ich werde vor dem Schlosstor mit dem Kanzler auf dich warten. Bitte mach schnell, ich habe es eilig.“

„So schnell wie es geht.“

Sie schenkte dem Stallmeister ein entschuldigendes Lächeln und machte sich dann auf den Weg zurück zum Haupttor des Schlosses. Alle Vorkehrungen für eine schnelle Weiterreise waren getroffen. Dadurch, dass der König beschäftigt war, musste sie auch nicht persönlich den Vorfall im Wald schildern. Dies war zwar mit einem gewissen Risiko behaftet, verschaffte ihr aber etwas mehr Zeit um zurückzureiten und den jungen Mann aus dem Wald zu finden. Wo sollte sie überhaupt beginnen? Sie hatte keine Ahnung, doch darüber konnte sie sich während des Rückwegs noch Gedanken machen. Die Anreise bei diesem Tempo hatte sie über zwei Wochen gekostet, in dieser Zeit würde ihr schon etwas einfallen. Trotz ihrer Müdigkeit hielt sie es keinen Moment länger aus auf einem Fleck zu verweilen.

Vor dem Tor konnte Evol den Kanzler erkennen. Er hatte kurzes dunkelblondes Haar und dunkle blaue Augen, wie die meisten Menschen in Tsorf. Der Kanzler war in eine hellblaue Robe aus feinen Stoffen gekleidet, welche an den Ärmeln mit dem Wappen des Herrscherhauses, einer silbernen Schneeflocke auf hellblauem Hintergrund, bestickt war. Sonstige Verzierungen suchte Evol vergebens auf dem Gewand.

Aus der Ferne konnte sie an seinen Bewegungen sehen, dass er ziemlich ungeduldig war. Mit verschränkten Armen ging er in zügigem Schritt immer wieder dieselbe Strecke auf und ab. Sowie er sie erblickte, blieb er stehen und nahm eine neutrale Stellung ein. Bald hatte Evol ihn erreicht.

„Kanzler, ich freue mich, dass ihr etwas Zeit für mich erübrigen könnt. Wir warten nur noch kurz auf den Stallmeister. Er bringt mir mein…“

„Bin schon zur Stelle.“

Evol machte auf dem Absatz kehrt und blickte geradewegs auf die Nüstern des braunen Fuchses. Das Pferd schnaubte unsicher. Esroh stand neben dem Pferd und hielt es an den Zügeln.

„Das ging schnell.“

„Wie von Euch gewünscht.“

Sie machte eine etwas säuerliche Miene, ob der höflichen Anrede Esrohs. Aber vor dem Kanzler war Förmlichkeit angebracht, das verstand sie. Jedenfalls redete sie sich das ein.

Esroh trat neben den Kanzler wobei ihm das Pferd ohne Widerstand folgte. Als der Stallmeister neben dem Kanzler stand, fiel ihr erneut das Alter von Esroh auf. Der Kanzler war zwar ebenfalls schon im fortgeschrittenen Alter, aber er wirkte vergleichsweise jung gegen Esroh.

„Also gut, ich habe eine Nachricht für den König. Sie ist äußerst wichtig und dringend. Deshalb bitte ich euch, dass ihr sie ihm so schnell wie möglich mitteilt. Die Nachricht ist aber vorerst nur für den König bestimmt. Die beste Möglichkeit ist euch meine Erlebnisse mit Magie zu übertragen. Der König wird sie deuten können. Sollte einem von euch etwas passieren muss der andere alles daran setzten dem König die Botschaft zu überbringen. Seid ihr dazu bereit?“

Beide nickten ohne zu zögern. Beim Kanzler wusste sie, dass er diese Prozedur im Zuge seiner Position schon öfter durchzuführen hatte. Der Stallmeister dagegen konnte mit Magie nicht viel anfangen. Er hatte eingewilligt, weil er Evol vertraute, dessen war sie sich sicher. Das wusste sie zu schätzen.

„Gebt mir bitte beide eure Hände.“

Die Männer taten wie ihnen geheißen wurde. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Gedanken. Langsam öffnete sie ihren Geist und ließ ihre Erinnerungen durch die Hände in das Bewusstsein der beiden Männer strömen. Das führte auch dazu, dass sie alles selbst nocheinmal durchleben musste. Die Gefangenschaft im Holzkäfig, ihre Befreiung durch den jungen Mann. Sie konnte erkennen, dass sie ihm lange nachgesehen hatte, nachdem er sie befreit hatte und dann zurück auf das Schlachtfeld gelaufen war, das Pferd, welches sie losgebunden hatte, der Tod von Naidraug, ein Mann den sie sehr gemocht hatte, der Beinahe-Tod des tapferen jungen Mannes, der Ausbruch des Feuervogels, das Ende der Soldaten, die Flucht ihres Pferdes und die Entführung durch den geheimnisvollen Krieger. Als sie sich sicher war, dass die beiden Männer alle wichtigen Informationen empfangen hatten, unterbrach sie vorsichtig die Verbindung und ließ ihre Hände los. Ihre eigenen Hände zitterten leicht. Dies war vermutlich einige der intensivsten und zugleich traurigsten Erfahrungen, die sie bisher gemacht hatte.

Esroh war noch etwas benommen und musste ein paar Mal blinzeln um sich seiner Umgebung wieder bewusst zu werden. Der Kanzler dagegen starrte sie mit leicht offenem Mund an.

„War das das was ich glaube, dass es ist?“

Evol erwiderte den Blick des Kanzlers. Sie wiegte den Kopf hin und her.

„Das wird der König sagen können. Aber ich denke schon.“

Der Kanzler nickte kurz, Esroh hatte dagegen immer noch mit seiner Wahrnehmung zu kämpfen. Dies war völlig normal für Menschen welche erstmals Erinnerung anderer empfangen hatten. Manche reagierten heftiger als andere darauf. Man erzählte sich sogar von einer Frau, welche nach einer Gedankenübertragung drei Tage lang für betrunken gehalten wurde, bevor erkannt wurde, dass sie lediglich Gedanken empfangen hatte.

Evol löste sanft Esrohs Hand von den Zügeln des Fuchses und stieg mit einer schnellen Bewegung auf das Pferd. Das Tier war gut abgerichtet, denn es zeigte keine Anzeichen von Verunsicherung obwohl gerade ein unbekannter Reiter in den Sattel gestiegen war.

Sie richtete ein letztes Mal den Blick auf den Kanzler und Esroh, welcher sich nun zu ihrer Erleichterung wieder vollkommen unter Kontrolle hatte.

„Ich werde versuchen so schnell wie möglich mit dem jungen Mann wieder zurück zu sein. Sorgt bitte dafür, dass der König die Nachricht erhält.“

Beide Männer neigten das Haupt als sie dem Pferd die Fersen in die Flanken trieb. Das Tier wiehert und preschte in vollem Galopp davon.

Evols Gedanken verweilten noch kurz beim Schloss, ihrem Bett und der Möglichkeit eines heißen, entspannenden Bades bevor sie sich wieder nach vorne in weite Ferne richteten. Sie wäre gerne noch eine Weile in Tsorf, ihrer Heimat, geblieben, doch ihre Sorge um die Kommenden Ereignisse ließ ihr keine Ruhe.Wo sollte sie anfangen zu suchen? Welchen Weg sollte sie einschlagen? Am besten in dem kleinen Wäldchen wo der Feuervogel ausgebrochen war. Danach würde sie schon die richtige Spur finden. Darauf vertraute sie.

Das Erwachen des Phoenix

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