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Von der Schule ins Leben

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Nach der Volksschule in Weil am Rhein besuchte ich die sogenannte S-Klasse, das war ein anschließender höherer Zug der Schule, wo wir Englisch und Französisch lernten. Ich habe gar nicht so viele Erinnerungen an die Schulzeit, aber eine, wo ich mit meinem Gerechtigkeitssinn starr aneckte, ist nicht nur mir im Gedächtnis. Der Vikar, den wir im katholischen Religionsunterricht hatten, war ein Sadist, der im Winter »ungehörige« Schüler mit zwei Wintermänteln bekleidet an der Heizung stehen ließ, dazu mussten sie mit ausgestreckten Armen in jeder Hand einen Schulsessel tragen … Unvorstellbar!

Als ein Schüler gegen solche Behandlung schüchtern protestierte, bekam er eine Ohrfeige, dass das Blut aus der Nase spritzte. Ich stand auf, ging zum Rektor der Schule und erzählte ihm den Vorfall. Mehr habe ich nicht gebraucht. Der Rektor brüllte mich so zusammen, dass ich Knieschlottern bekam.

»Und es war doch so«, beharrte ich.

Ein paar Wochen später war der Vikar nicht mehr an der Schule. Und der Schulkollege, für den ich mich eingesetzt habe, der Raiman Wolfi, besucht mich heute noch und wir denken immer an den Vorfall.

Unser Klassenlehrer war ein frankophiler kleiner Schwabe namens Kälber, der bezüglich des Theaterspielens zweifellos einiges bei mir in Gang gesetzt hat. Er gab mir Hauptrollen, auch als wir in französischer Sprache spielten, ich war der Père Noël im Weihnachtsmärchen. Denn wir spielten auch für die Kinder der französischen Besatzungssoldaten und ihre Familien, die ihre eigene Grundschule und ihren eigenen Kindergarten hatten. Sie revanchierten sich mit Einladungen in ihre Schule.

Als ich mich in der Schule eines Tages in Mathematik an der Tafel enorm blamierte und zwar so, dass die ganze Klasse vor Vergnügen gluckste, ließ mich »der Kälber« in der nächsten Stunde ein Gedicht aufsagen. Damit konnte ich vor der Klasse glänzen und ich erinnere mich genau, welches Gedicht das war – mit dem Hunnenzug von Börries Freiherr von Münchhausen konnte ich wirklich Eindruck schinden:

Finsterer Himmel, pfeifender Wind,

wildöde Heide, der Regen rinnt,

von fern ein Schein, wie ein brennendes Dorf,

mattdüstrer Glanz auf den Lachen im Torf.

Da plötzlich ein stampfendes, dumpfes Geroll,

wie drohenden Wetters steigender Groll,

und lauter und lauter erdröhnt die Erde

vom stürmischen Nahn einer wilden Herde …

Es ist ein ebenso romantisches wie dramatisches Gedicht. Ich hatte damals im Radio gehört, wie Will Quadflieg den Feuerreiter von Eduard Mörike vortrug, dramatisch klar, dann ganz leise, wie eine ferne Glocke: »Hinter’m Berg, hinter’m Berg, brennt es in der Mühle!« Und am Schluss ganz stimmlos: »Husch! Da fällt’s in Asche ab …«

Ich war ganz begeistert davon und versuchte Quadfliegs Stil zu kopieren. Irgendwie dürfte mir das ganz gut gelungen sein, denn die Schulkameraden, die in der Mathematik-Stunde über mich gelacht hatten, hörten mir mit offenen Mündern zu. Die Scharte der Rechenstunde war ausgewetzt.

Es war ein echtes Erfolgserlebnis, und wahrscheinlich hat das meinen Wunsch, Schauspieler zu werden, in mir erweckt oder gefördert – und ich fühlte erstmals, wie das ist, wenn man sein Publikum »packt«.

Meine Mutter hat großen Anteil daran, dass ich für alle Künste sensibilisiert wurde: Es war toll, wie sie mit mir, sobald die Grenze offen war, nach Basel ging, da war ich zehn oder elf Jahre alt. Sie zeigte mir sozusagen ihre Heimatstadt und erzählte mir deren Geschichte, sie ging mit mir in die Museen. Naturhistorisches interessierte mich besonders, die Millionen Jahre alte Erdgeschichte, die Mammuts, die Versteinerungen – ich sammle Steine bis heute.

Aber Mutter ging auch mit mir in das Kunstmuseum Basel, wo man Bilder jener Maler sehen konnte, die in der Nazi-Zeit als »entartet« gegolten hatten und die von Basel aufgekauft worden waren – Klee, Kirchner, Marc, Nolde, Kandinsky und andere Große, das waren »Kinderfreunde« von mir und ich begrüße sie immer von Neuem, wenn ich nach Basel komme. Da hing ja auch die Windsbraut von Kokoschka. Ich hatte damals natürlich keine Ahnung, dass die Frau an seiner Seite auf dem Gemälde Alma Mahler war … Geradezu unheimlich schien mir die Realistik, mit der Holbein den Leichnam Christi im Grabe malte. Er hatte eine Wasserleiche, die schon längere Zeit im Rhein lag, ohne Wissen der Behörden wiedergegeben, auch das wusste meine Mutter.

Ich habe seit damals eine große Liebe zur Malerei, bin später in meinem Leben immer wieder eigens zu großen Ausstellungen gefahren und werde nie aufhören, die Basler dafür zu bewundern, dass sie per Volksabstimmung einen Harlekin von Picasso gekauft haben.

Als es dann an die Berufswahl ging, habe ich, weil ich gut zeichnen konnte, eine Zeit lang erwogen, vielleicht Designer, sprich Musterzeichner, zu werden – aber da, wo ich lebte, also am Rhein, bot sich eine Lehre als Speditions- und Reedereikaufmann an.

Als ich eine Lehrstelle in der Basler Lagerhaus und Speditions GesmbH. fand, war das eine sehr gute Sache für mich. Es war gar kein Problem, für einen Deutschen in Basel eine Ausbildung zu machen. Die Praxis ging dort Hand in Hand mit einer in Abendkursen abgehaltenen Schule auf Universitätsbasis, wo man sich die Lehrer aussuchen konnte, wobei die sehr strengen keinesfalls die Unbeliebtesten waren – das waren eben die Könner.

Was soll ich sagen? Nicht eben, dass diese Dinge mich übertrieben interessiert haben, aber ich lernte gezielt für die Schlussprüfungen, nicht zuletzt mit der Unterstützung meiner Mutter, die diktierte und abhörte und so eine Riesenhilfe für mich war.

Meine Freunde habe ich in diesem relativ kurzen Endspurt schon gar nicht mehr gesehen. In der Schule hatte ich ja nie viel gearbeitet, entweder habe ich etwas von selbst begriffen oder gar nicht. Aber hier merkte ich, dass etwas dabei herauskommt, wenn man lernt, und ich bekam die zweitbeste Note von mehreren hundert Absolventen. Ich hätte jetzt in der Schweiz als Grenzgänger aus Deutschland weiterarbeiten können, meine Firma lag ja nur 20 Minuten mit dem Fahrrad von unserem Haus entfernt, nur eben, dass eine Landesgrenze dazwischen lag.

Aber eines war mir und auch meinen Freunden klar: nur nicht zur Bundeswehr! Die Freunde zerstreuten sich – nach Berlin, dort wurde man nicht eingezogen, einer ging nach Kanada und wurde Millionär, einer schaffte es in Südamerika. Ich hingegen wollte nach Paris. Denn Frankreich hat mir schon immer viel bedeutet.



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