Читать книгу "Soll ich sagen?" - Heinz Zuber - Страница 20

Chez Michou

Оглавление

Am Fuß des Montmartre liegt Place Pigalle. Von dort geht eine Direttissima mit vielen Stufen zum Place du Tertre, wo ich Karikaturen gezeichnet habe.

Dieser Weg beginnt in der Rue des Martyrs zwischen den zwei berühmtesten Transvestitenlokalen der Welt. Links »Madame Arthur«, das älteste und wohl weltweit berühmteste Kabarett dieser Art. Und genau gegenüber machte in den 1950er-Jahren ein cleverer junger Mann, der selbst berühmte Damen parodiert hatte, ein modernes Konkurrenzunternehmen auf: »Chez Michou«.

Michou, im Zivilleben immer blau gekleidet, mit riesigen blauen Brillen und auffallend blondem Haupthaar, ist heute 85 Jahre alt und ein hoch geehrter Mann. Zu seinen jeweiligen runden Geburtstagen veranstaltet das französische Fernsehen für ihn riesige Shows mit unzähligen Prominenten aus Kunst und Politik. Er ist außerdem Mitglied der Ehrenlegion und sowohl mit Madame und Monsieur Pompidou als auch mit Madame und Monsieur Sarkozy eng befreundet. Wie ich später erfahren habe, war Michou auch das Vorbild für den Nachtclubbesitzer Georges in Ein Käfig voller Narren.

Bei meinem Paris-Aufenthalt in den 1960er-Jahren hatte ich gehört, dass neben vielen Prominenten auch Jacques Brel dort immer wieder auftaucht. Den hätte ich gerne kennengelernt. So wagte ich mich in die Höhle des Löwen. Sozusagen im Vorzimmer der Kabarett-Bühne gab es eine kleine Bar mit vernünftigen Preisen, dort konnte man ein Bier trinken.

Jacques Brel habe ich nicht kennengelernt, aber den Chef persönlich, der reizend war. Schon bei meinem zweiten Auftauchen wurde ich sehr nett empfangen. Man nannte mich »Le petit Allemand barbu«, der kleine Deutsche mit Bart.

Und beim dritten Mal bekam ich Hauspreise, worüber ich sehr froh war. Ich bin dann allerdings nicht mehr sehr oft hingegangen, da Jacques Brel offenbar nicht jeden Abend dort verbrachte.

Ich hatte Michou, dem Chef, aber gesagt, ich würde ins Hospital Saint-Lazare gehen müssen, um auf Krankenkassenkosten meinen Leistenbruch reparieren zu lassen, den ich mir beim Butterpakete-Werfen in meiner Speditionsfirma erworben hatte.

Das Spital hatte einen guten Ruf, ich bin hervorragend gepflegt worden, allerdings lag man in einem riesigen Krankenhaussaal mit einem Mittelgang, nur mit Vorhängen von anderen Patienten abgetrennt. Untertags waren die Vorhänge zurückgezogen, und man konnte den ganzen Saal überblicken.

Zwei Tage nach der Operation, ich lag im Bett, denn Aufstehen nach so einer OP tut ganz schön weh, ging die große Flügeltür auf und herein kam Michou mit vier seiner Darsteller. Sie suchten den kleinen bärtigen Deutschen.

Michou in Blau, alle in guten Anzügen, mit einem riesigen Blumenstrauß, Süßigkeiten und netten Geschenken und vor allem einem enormen »Hallihallo« und »Tatütata«, Küsschen rechts, Küsschen links. Der Auftritt war klasse. Der ganze Saal und das Personal staunten.

Ich freute mich natürlich sehr, aber irgendwie habe ich auch bedauert, dass man in einem Spitalsbett nicht in den Erdboden versinken konnte. Ich glaube, ich habe danach höchstens noch einmal das Lokal besucht, was mir heute eigentlich leid tut.

Ich habe Michou gegoogelt und fand auf den Fotos eine berühmte österreichische Besucherin: Conchita Wurst.

Voilà!

Am Abend des denkwürdigen Besuchs von Michou und seinen Stars – oder höchstens in der nächsten Nacht – öffnete sich die Tür des Krankensaals wieder, die Lichter flammten auf und hereingerollt kamen mindestens fünf Schwerstverletzte, grässlich blutende Algerier, die notversorgt wurden.

Die OAS, rechtsradikale Gegner des algerischen Freiheitskampfes, hatte mit Maschinenpistolen wahllos in ein algerisches Lokal geschossen. Das Blut rann in großen Lachen auf den Boden.

Wenn ich an die lustige Begebenheit mit Michou denke, fällt mir leider auch immer dieses grässliche Ereignis ein.



Подняться наверх