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Die Lehrer am Seminar
ОглавлениеDas Burgtheater war in der Lehrerschaft reich vertreten, aber besonders bewundert und verehrt habe ich die Grande Dame der »Josefstadt«, Vilma Degischer. Sie war in allem, was sie tat, so selbstverständlich und richtig, dass man gar nicht wusste, wie sie es machte, so perfekt zu sein. Selbst wenn sie in den Sissi-Filmen die »böse Schwiegermutter« spielte, war sie dezent, nobel und geradezu erschreckend glaubhaft.
Ich war sehr stolz, als sie mir eine liebenswürdige Karte schrieb, in der sie mir alles Gute wünschte.
Ich muss sagen, dass ich allen Lehrern viel verdanke. Fred Liewehr hat viel für mich getan, indem er sich für das Stipendium für mich einsetzte. Susi Nicoletti, aus deren sachlicher Kritik man viel lernen konnte, hat mir nach einem Chanson-Abschlussabend dann einige Wege geebnet, vor allem den zum Fernsehen. Eduard Volters, in dessen Regie ich sogar den Napoleon spielen durfte (in Shaws Der Mann des Schicksals), hat den Anstoß für meine beiden ersten Engagements am Burgtheater gegeben.
Max Reinhardt Seminar: Fernando Arrabal, »Picknick im Felde«. Mit Hans Neuenfels (ganz links; Regie), Peter Panhans, Heinz Trixner, Lore Stefanek , Günter Haider und Peter Neubauer (vorne von links nach rechts)
Kitty Stengel, die aus dem Kreis der »Scala« und Karl Parylas kam, ließ ihre Schüler immer wieder den Osterspaziergang aus Faust durchspielen. Dadurch waren sehr viele beschäftigt, aber das gefiel den jungen, ehrgeizigen Talenten gar nicht, denn jeder angehende Schauspieler möchte natürlich die großen Rollen studieren. Aber als Anfänger bekommt man am Theater natürlich auch solche Rollen wie die im Osterspaziergang, das wissen die jungen Schauspieler nur noch nicht. Kitty Stengel brachte einem bei, wie man richtig zuhört, wie man richtig einsetzt, wie man wie ein Haftelmacher aufpasst, um exakt auf sein Stichwort zu reagieren.
Sprechunterricht hatte ich bei Vera Balser-Eberle, die damals schon eine Legende war und deren Sprechtechnisches Übungsbuch eine Art Bibel für angehende Schauspieler und auch alle Sprechlehrer war. Sie hörte mich und wusste, dass sie meinen süddeutsch-schweizerischen Akzent, die »Ei-s« und »Au-s«, ausmerzen musste, was ihr auch gelungen ist. Im Übrigen brachte sie einen dazu, auf ganz einfache Sachen zu achten – dass ein »k« kein »g« ist und so weiter.
Ich bin auch in späteren Zeiten, als ich nicht mehr am Seminar war, zu ihr gegangen, um die eine oder andere Rolle mit ihr durchzuarbeiten. Den Märchenerzähler in der Schneekönigin beispielsweise – das war eine Riesenrolle mit sehr viel Text, da braucht man Rat. »Atme halt hier«, meinte sie, »denk einmal nach, hab nicht alles so parat, wenn du redest« und viele solcher Selbstverständlichkeiten, die man im Grunde eh weiß, aber eben …!
Balser-Eberle saß bei jeder Burgtheater-Produktion im Zuschauerraum und überprüfte die Verständlichkeit. Sie tat es unaufdringlich, aber die Zeiten änderten sich, eines Tages hat man das nicht mehr geschätzt, sondern eher missachtet. Man merkte es dann auch bei manchen Vorstellungen …
Vera Balser-Eberle war eine elegante Dame, die auch noch toll aussah, als sie 1982 krank im Spital lag.
Ich habe sie besucht und versuchte ihr einzureden, sie würde sicher bald wieder draußen sein.
»Heinz, da irrst du dich, es wird bald Schluss sein«, sagte sie – und lächelte.
»Sagen Sie nicht solche Sachen«, entgegnete ich.
»Du weißt ja nicht, wie alt ich bin«, erklärte sie.
Wenig später ist sie gestorben – mit 85 Jahren.
Das Schwäbische, das sie mir in meiner Sprachmelodie abgewöhnt hat, musste ich mir übrigens wieder zurückholen, als ich in der Regie von Hans Hollmann 1997 am Zürcher Schauspielhaus ein weiteres Mal den Ajaxerle in Raimunds Der Bauer als Millio när spielte, denn der wollte die »Ei-s« und »Au-s« wiederum ganz prononciert. »Das ist das Wesentliche an diesem schrecklichen Dialekt!«, sagte er. Der Bühnenmeister der Produktion sah irritiert drein – er kam aus Stuttgart.
Aber Hollmann hatte nicht ganz unrecht, er brachte mich auf eine neue Farbe dieser von mir oft gespielten Rolle.
Weitere berühmte Lehrer waren Hans Jaray und Otto Schenk, der deshalb so beliebt war, weil er so viel über das Theater wusste und erzählen konnte. Und Helmut Schwarz, dem Direktor des Hauses, verdankte ich, dass ich schon im zweiten Jahr des Studiums auf »echten« Bühnen spielen durfte, was normalerweise streng verboten war. Er hat mir auch mein erstes Engagement im Theater der Jugend bei Direktor Peter Weihs vermittelt.
Ich habe viel gelernt und es genossen, mich mit Dingen zu beschäftigen, die mir neu waren oder die ich vernachlässigt hatte, Philosophie etwa oder Geschichte. Was ich allerdings nicht konnte und nicht erlernte, war das Fechten. Wenn Ellen Müller-Preis mir ein Florett in die Hand drückte, habe ich nur abwehrend die Hände gehoben, als würde sie mich mit einem Revolver bedrohen. Aber wozu sollte ich es brauchen? Ich wollte ja kein Hamlet sein. Mit Ellen Müller-Preis hatte ich trotzdem immer ein sehr gutes Verhältnis.
Apropos Hamlet – ich weiß noch genau, als ich den Film mit Laurence Olivier sah, fand ich ihn natürlich fantastisch, aber die Rolle, die mich am meisten interessierte, war der Totengräber. Den hatte ich nie gespielt und war meinem verehrten Kollegen Peter Matić sehr dankbar, als er einmal für drei Vorstellungen ausfiel und ich so diesen Totengräber in Brandauers Hamlet-Inszenierung spielen durfte. Ich habe mit Begeisterung in der Erde gewühlt, Yoricks Schädel hervorgeholt und Shakespeares schönen Text gesprochen …
Eva Zilcher, die auch Lehrerin am Seminar war, fragte mich einmal: »Was stellst du dir eigentlich vor, was du spielen wirst?«
Ich antwortete: »Rollen, wie der Schauer sie macht.«
Johannes Schauer war ein rundlicher, hervorragender Komiker des Hauses.
Eva Zilcher sah auf meine schlanke Figur und meinte: »Das wirst du wohl nie spielen.«
Oh, Eva, wie haben Sie sich geirrt!
Der tolle Bühnenschauspieler Erich Ponto, der im Film ganz großartige Chargen verkörperte, hat einmal den schönen Satz gesagt: »Keine Rolle ist zu klein, um nicht gespielt zu werden.« Daran hielt ich mich. Ich dachte mir, dass man ja alle möglichen Typen braucht im Theater und im Film – ich wollte einfach leben können von meinem Beruf, war überzeugt, dass ich Talent habe und wusste, dass ich Menschen zum Lachen bringen und manchmal auch rühren kann.
Ich war hoffnungsvoll.