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Susi Nicoletti

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Die Nicoletti oder die Susi, je nachdem, wie gut man sie kannte, war unbestritten die graue Eminenz am Max Reinhardt Seminar.

Sie hat sich für ihre Schüler eingesetzt und jene, die sie mochte und die sie talentiert fand, wurden weiterempfohlen und hatten ganz sicher Vorteile.

Zunächst hatte ich keinen besonderen Kontakt zu ihr, aber nach einem Aufritt in ihrem Musical- und Chansonabend fand sie mich gut und hat mich weiterempfohlen. Das war der Grundstein zu meiner ganzen TV-Karriere.

Mir klingen immer wieder Sätze, die ich von ihr hören konnte, in den Ohren. Ein ganz wichtiger, den ich gerne besser beherzigt hätte, wenn’s nur gegangen wäre, betraf Schlauheit, Eloquenz, die Fähigkeit, sich beliebt zu machen und sich zu präsentieren. Sie meinte dazu: »Das gehört alles zum Talent.« Ein anderer: »Wenn du gut bist, schneiden sie dich vom Galgen ab.«

Sie hatte unglaubliche Verbindungen und nutzte sie auch im Ernstfall. Da jeder gerne gefördert wird, kam in Schülergesprächen immer wieder der Name »Susi« oder »die Nicoletti« vor. »Die Nicoletti hat gesagt …«, »Die Susi macht jetzt …«

Hans Neuenfels, schlank, groß, hochintelligent und immer ein bisschen exaltiert, stürmte einmal in den Raum, in dem ich eine Rolle übte. Er kam ohne anzuklopfen herein und stieß aufgeregt den Satz hervor: »Wo ist die Nicoletti?«

Ich fühlte mich von dem Überfall in meiner Arbeit gestört und antwortete sicher unfreundlich: »Weiß ich doch nicht.«

Darauf Neuenfels, meinen Tonfall imitierend: »Weiß ich doch nicht, weiß ich doch nicht – diese Frau ist meine Zukunft«, und knallte die Tür zu.

Mir ging diese Nicoletti-Verehrung ein wenig auf die Nerven und ich habe absolut laut und angeberisch verkündet: »Was wollt ihr eigentlich? Wer ohne Nicoletti keine Karriere macht, der macht mit der Nicoletti auch keine.«

Soviel ich weiß, hat man es ihr kolportiert, aber ich hatte keine merkbaren Nachteile. Sie konnte schrecklich sein, wenn sie jemanden nicht mochte.

Ich habe sie als Persönlichkeit sehr bewundert, aber wie alle auch ein wenig gefürchtet, und manche ihrer Aussprüche haben sich einfach bei mir festgesetzt.

Im Eingangsbereich des Salzburger Festspielhauses beim Pförtner kam ich zufällig dazu, wie sie ein eleganter Herr stürmisch begrüßte. Sie sah mich und sagte zu mir und zwar so, dass es alle Umstehenden und sicher auch der stürmische Herr hören konnte: »Es ist halt ein Jammer, dass man als Schauspieler so ein gutes Ohr für falsche Töne hat.«

Einer Schülerin bei einem Chansonabend erklärte sie als Regieanweisung für das Lied einer Femme fatale: »Mein Gott, sei nicht so steif, so etwas muss man spielen, wie man einen Schwulen imitiert.«

Das hat sie in ihren Rollen, glaube ich, auch öfter getan, besonders im Film. Als ihre Lieblingsrolle im Kino bezeichnete sie die Madame Houpflé in Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, wo sie Horst Buchholz genussvoll bittet, sie – und das im Negligé – zu bestehlen und auszurauben. Sie war wirklich zum Niederknien.

Manche haben ihr übel genommen, dass sie in den Tollen Tan­ ten-Filmen mit Peter Alexander mitgemacht hat, aber sie sagte ganz offen: »So etwas tut man für Geld.«

Der grandiose Bühnenschauspieler Günther Lüders, der auch in fast jedem deutschen Heimatfilm als Komiker auftrat, antwortete auf die Frage »Warum?« einmal: »Schauen Sie, ich habe einen neuen Gartenzaun gebraucht, und diese Darbietung wird schon längst vergessen sein, da steht mein Zaun immer noch.«

Da irrte Lüders, er hatte nicht mit dem Fernsehen gerechnet. Die meisten dieser Komödien werden immer wieder gesendet, aber wer weiß, ob sein Zaun heute noch steht. Nur, das für mich Interessante an diesen Filmen sind genau diese Komikerszenen, sie machen das Ganze nicht nur erträglich, sondern manchmal absolut sehenswert.

So geht es mir mit Susi Nicoletti in dem Film Die Deutschmeis­ ter. Da liefert sie als gelangweiltes altes Mädchen die Studie einer naiven, aber blasierten Wiener Aristokratin ab, und schon ihretwegen schaue ich mir den Film im Fernsehen an, wenn er wiederholt wird.

Manche Sätze von Susi Nicoletti waren schon recht heftig. Als eine Schülerin sich bei ihr beklagte, ein Agent wolle sich wohl ungerechtfertigt an einem Vertrag beteiligen und dafür kassieren, meinte sie ganz ruhig: »Reg dich nicht auf, solche Leute benützt man und dann wirft man sie weg.«

Im Einzelunterricht sagte ich einmal den privaten Satz, er hat sich wohl auf die Szene bezogen: »Man muss doch einen Menschen haben, auf den man sich verlassen kann.« Darauf zischte Susi böse: »Hast du das?« Ich sagte: »Ich glaube, ja.« Und sie machte eine wegwerfende Bewegung, als ob sie das nicht glauben könne. Ich hatte wohl einen Schmerzpunkt bei ihr berührt.

Damals kannte ich schon meinen Freund Michael, er war als Jus-Student kurz vor der Promotion, und ich stand kurz vor der Abschlussprüfung als Schauspieler.

Seit dieser Zeit sind wir eng befreundet und für diese Freundschaft bin ich sehr dankbar. Michael hat seine Promotion absolviert, aber ich die Abschlussprüfung als Schauspieler nicht; da mir ein paar Tanz- und Gymnastikstunden fehlten, sollte ich das ganze Semester wiederholen. Das habe ich selbstverständlich nicht getan, denn ich hatte mein Engagement am Theater der Jugend, wo ich sehr viele und auch gute Rollen gespielt habe.

Als ich dann bei der österreichischen Erstaufführung der Pub­ likumsbeschimpfung von Peter Handke in der Regie von Hans Hollmann einen sehr großen Erfolg hatte, erzählte mir Susi, sie hätte ihren Schülern gesagt: »Seht euch den an, da könnt ihr sehen, was man am Seminar lernen kann.« Allerdings hatte ich noch immer keine Abschlussprüfung als Schauspieler.

Bei einer der letzten Aufführungen von Publikumsbeschimp­ fung kam beim Applaus der Präsident der Schauspielergewerkschaft, Wolfgang Hebenstreit, auf die Bühne und drückte mir das Gewerkschaftsbuch in die Hand – man hatte mir die Prüfung geschenkt.



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