Читать книгу "Soll ich sagen?" - Heinz Zuber - Страница 15

Kuss-Kuss

Оглавление

Als ich in meiner Pariser Zeit noch in der Transportfirma Henri Rüegg gearbeitet habe, versuchte ich manchmal, mich von Bircher Müesli zu ernähren, um für andere, vor allem kulturelle Ereignisse französische Francs übrig zu haben. Auf Dauer hält das aber, glaube ich, niemand aus, man bleibt hungrig und wird trotzdem dick davon, und im Übrigen hatte ich von der Alliance française ja einen Studentenausweis und mit diesem ist man eigentlich auch mit einem kleinen Budget in alle »Spectacles« hineingekommen. Neben Theater und bildender Kunst hat mich vor allem Film interessiert, zum Beispiel das neue französische Kino, die sogenannte Nouvelle Vague, aber vor allem auch die zu Klassikern gewordenen Filme, wie jene von René Clair und Marcel Carné in den kleinen Kunstkinos, von denen es heute noch in Paris sehr viele gibt.

Neu für mich war allerdings die Einrichtung Cinémathèque française, ein Filmmuseum – das hatte ich nicht gekannt und so etwas war in den Sechzigerjahren meines Wissens im deutschsprachigen Raum auch nicht zu finden.

Geradezu unglaublichen Zulauf hatten damals deutsche Stummfilme von G. W. Pabst oder F. W. Murnau, alle diese Meisterwerke in Schwarz-Weiß, die im Buch des Soziologen Siegfried Kracauer Von Caligari bis Hitler beschrieben waren und die von der Filmhistorikerin Lotte Eisner vor den Nazis gerettet und auf deren Initiative in dieser Filminstitution archiviert worden sind.

Die Theorie Siegfried Kracauers war, verkürzt gesagt, dass dem Film etwas Prophetisches innewohnt, da er ja genau die Tendenzen der Zeit aufgreift und widerspiegelt, die unterschwellig im Publikum längst vorhanden sind.

Das eklatanteste Beispiel dafür ist Fritz Langs Metropolis, der die Unheimlichkeit eines totalitären Staates visionär beschreibt. Wie wir alle wissen, ist diese Vision ja in viel schrecklicherer Form tatsächlich wahr geworden. Manchmal erschrecke ich daher, wenn ich heute lese, wie erfolgreich in unserer Zeit Katastrophenfilme sind …

Aber ich habe hier von Bircher Müesli und kleinem Budget zu schreiben begonnen. Wenn man also knapp bei Kasse ist, muss man eben schauen, wie man geschickt durchkommt. Und da ich immer gerne gegessen habe, wusste ich bald billige Studentenkneipen zu finden, in denen man auch mit kleinem Portemonnaie hervorragend essen konnte; das war vor allem im Quartier Latin, in der Nähe der Sorbonne.

Allerdings, die für mich köstlichste wie preisgünstigste Mahlzeit gab es in einem kleinen Restaurant in der Nähe des Place Pigalle, wo man das eigentlich nicht vermuten würde, denn dort ist im Prinzip alles auf Touristennepp ausgerichtet. Mein kleines Bistrot wurde von einer algerischen Familie geführt und hatte die gleichen schreierischen Reklametafeln, welche die Gäste anziehen sollten, wie alle Restaurants in dieser Gegend; aber, oh Wunder, die Speisen, der Wein, das ganze Ambiente war einfach perfekt oder, genauer gesagt, war einfach, aber perfekt und die Wirtsfamilie zudem noch ganz reizend.

Wenn ich einmal sehr hungrig war oder ein wenig Familienanschluss brauchte, ging ich dorthin und bestellte Couscous. Man konnte essen so viel man wollte, mit Huhn oder Lammfleisch, mit mittelscharfer Soße oder Sauce piquante. Harissa, die Teufelswürze, lernte ich dort kennen und arabische Musik habe ich hier auch lieben gelernt.

Jetzt Filmschnitt. Zirka zehn Jahre nach meiner Pariser Zeit, also etwa 73 des vorigen Jahrhunderts, buchte ich von Wien aus einen sehr günstigen Ferienflug nach Nordafrika, nicht nach Algerien, sondern nach Hammamet in Tunesien. In Wien gab es damals meines Wissens kein einziges nordafrikanisches Lokal, und so etwas wie Couscous war überhaupt nicht bekannt. Geschweige denn, man hätte den Couscous-Grieß, den man heute in jedem Supermarkt bekommt, irgendwo erhalten, selbst am Naschmarkt nicht, wo es heute wirklich alles zu kaufen gibt, was die internationale Küche bietet. Also habe ich das köstliche Gericht aus meiner Speisekarte und meinem Gehirn gestrichen.

In Hammamet, oh Freude, fand man selbstverständlich überall Couscous, in den Restaurants und am Markt sah man Couscous-Grieß in handlichen Kilopackungen, aber das Schönste, es gab natürlich auch die Couscous-Töpfe aus Aluminium für fünf Liter Inhalt mit einem Aluminium-Sieb als Einsatz und dem entsprechenden Deckel.

Ich war glücklich. Ich kaufte den Topf, zehn Ein-Kilo-Packungen Couscous-Grieß, damit würde ich in Wien treffliche nordafrikanische Einladungen veranstalten. Das Fleisch, Huhn oder Lamm, und das dazugehörende Gemüse, Karotten, Kichererbsen und Möhren, würde man ja in Wien kaufen können.

Beim Rückflug freute ich mich schon auf meine nordafrikanische Küche zu Hause. Erster Schock am Flughafen: Mein Gepäck hatte zehn Kilogramm Übergewicht – die Couscous-Packungen! Billigflug ade! Ich weiß nicht mehr, wie teuer es war, aber es war sehr teuer. Ich glaube, teurer als der ganze Flug.

Trotzdem war ich guten Mutes, ging in Wien zum Naschmarkt, kaufte Lammfleisch und Gemüse; Gewürze gab es dort immer schon, aber Kichererbsen?

»Waaaas wollen Sie?«, fragte die erste Standlerin.

»Kichererbsen!«

Die Reaktion war: verschämtes Gekicher der Verkäuferin.

»Was bitte?«

»Kichererbsen!«

Unverschämtes Gekicher von allen Umstehenden.

Frage aus dem Hintergrund des Verkaufslokals: »Wos wü der?«

»Khihihihihichererbsen.«

Wo immer ich es versuchte, die Verkäufer oder die Verkäuferinnen hielten sich die Bäuche vor Lachen.

Die Forscheren fragten nach: »Wozu brauchen Sie denn das?«

Ich versuchte zu erklären: »Ich möchte eine arabische Speise kochen: Couscous!«

»Uaaaaaaaa!«

Mit diesem Wort hatte ich nun einen vollen Lacherfolg. Kuss-Kuss!

Es war, als hätte ich gesagt, ich möchte einen Pornofilm drehen.

Solche Reaktionen wünscht man sich auf dem Theater.

Die Zeiten haben sich geändert, heutzutage bekommt man alles, was man für Couscous braucht, die exotischsten Gewürze, Harissa und natürlich auch Kichererbsen, in jeder Billa- oder Spar-Filiale. Und selbstverständlich auch die Köstlichkeiten, die aus Kichererbsen produziert werden – Kichererbsenpüree, genannt Hummus, und Falafel, die famosen vegetarischen Fleischlaberln.

Haya Molcho, die Gattin Samy Molchos, des wunderbaren Pantomimen, hatte eine geniale Geschäftsidee und einen internationalen Erfolg mit diesen Spezialitäten.

Samy Molcho war übrigens auch Lehrer am Max Reinhardt Seminar. Seine Tierpantomimen, zum Beispiel die eines fliegenden Vogels, waren einfach genial. Aber seine Frau ist offenbar auf dem besten Weg, mit ihren Produkten ihrem Gatten den Ruhm streitig zu machen.

Man kann heutzutage in Wien in gemütlichen Naschmarktbeiseln selbstverständlich Couscous bestellen – ich tue das auch manchmal, wenn ich in der Nähe bin, zum Beispiel auf dem Weg in das Österreichische Filmmuseum in der Albertina, sozusagen der Cinémathèque Autrichienne, der österreichischen Cinemathek. Dorthin gehe ich immer wieder, um einen alten französischen Film in Originalversion anzuschauen und mein Französisch aufzufrischen.

Dann stelle ich mir manchmal vor, ich verlasse das Kino, bin plötzlich in Paris und gehe eben – auf einen Couscous!



Подняться наверх