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Le Mont-Saint-Michel
ОглавлениеEs muss im Jahr 1956 gewesen sein, als ich, noch als Schüler, in den großen Ferien für vier Wochen nach Frankreich trampte. Dabei hatte ich ein Bild vor Augen: Le Mont-Saint-Michel, Abtei und Städtchen auf der Felseninsel zwischen der Bretagne und der Normandie. Dieses Wunderwerk von Romanik und Gotik, das auf einem Felsen mitten im Meer auftaucht und geheimnisvoller und grandioser wird, je näher man ihm kommt, hatte ich auf einem Kalenderbild gesehen. Und es hatte mich so fasziniert, dass ich einfach dorthin musste.
Der Mont-Saint-Michel, da musste ich einfach hin – per Autostopp, mit fünfzehneinhalb Jahren.
Ich fuhr über Paris und übernachtete in Jugendherbergen. Was es bedeutete, als Deutscher elf Jahre nach Kriegsende durch Frankreich zu trampen, hatte ich mir gar nicht überlegt. Ich gebrauchte mein Französisch und wurde überall gut aufgenommen.
Wenn es keine Jugendherberge weit und breit gab, klopfte ich an Pfarrhäuser und sprach einfach fremde Menschen an mit der Frage, wo man billig schlafen könnte. In Morlaix, einer Kleinstadt in der Bretagne, sprach ich eine ältere Frau an, die eine typisch bretonische Tracht trug. Sie unterhielt sich mit mir, fragte mich aus, wollte viel wissen, vor allem, warum ich nach Frankreich gekommen sei. Schließlich lud sie mich zu sich nach Hause ein und meinte, ich würde sie an ihren Sohn erinnern.
Sie wohnte in einem schmalen, alten Haus, das an ein Schiff erinnerte. Ihr Mann war anfangs gar nicht begeistert, dass seine Frau da einen jungen Fremden mitbrachte, wurde aber bei näherer Bekanntschaft netter. Sie luden mich zum Essen ein und ich lernte erstmals Crêpes bretonnes kennen. Die Frau führte mich in das Zimmer ihres Sohnes und ich schlief wunderbar.
Erst am nächsten Morgen gestand mir meine Gastgeberin, dass ihr Sohn tot sei – von den Deutschen erschossen. Ich hatte nicht den Mut, nach den näheren Umständen zu fragen …
Ich habe die Bretagne seither oft besucht und stehe nach wie vor in Kontakt mit Freunden, die dort leben. Als ich als 15-Jähriger dorthin trampte, um den Mont-Saint-Michel zu sehen, hatte ich meine Eltern angeschwindelt, ich führe zur Tante Amalie an den Bodensee. Denn erlaubt hätten sie mir diesen Ausflug nach Frankreich, jung wie ich war, sicher nicht.